Sägen
am eigenen Ast

Spielgeld (11) Die Ticketpreise für Bundesligaspiele werden immer teurer – und drohen die Kluft zwischen oben und unten im Fußball weiter zu vergrößern

Von Marie Gogoll

„Ticketpreise machen die Kommerzialisierung des Fußballs für jeden hautnah erfahrbar“, sagt der Sportsoziologe Harald Lange. Das ist für regelmäßige Sta­di­on­be­su­che­r*in­nen natürlich nichts Neues, schließlich belasten die Ticketpreise im Profimännerfußball die Portmonees ihrer Fans von Jahr zu Jahr mehr. Laut der Agentur PR Marketing aus Rheine, die Berichte über Ticketpreise gebündelt und daraus eine Übersicht erstellt hat, sind die Preise für die günstigste Dauerkarte in der Ersten Bundesliga zwischen 2009 und 2019 um rund 15 Prozent gestiegen. Die günstigsten Tickets sind in der Regel Stehplatzkarten. Deren Preise haben sich laut Agenturbericht auch in der Zweiten Bundesliga sukzessive erhöht, nämlich um rund 16 Prozent zwischen den Jahren 2011 und 2019.

Rund ein Drittel der Einnahmen macht der Ticketverkauf in einer regulären Saison beim Hamburger SV aus. Dass der Verein wirtschaftliche Interessen verfolgt und auch auf die Ticketeinnahmen angewiesen ist, versteht Simon Philipps von der Fanorganisation HSV Supporters Club. Trotzdem dürften die Tickets nicht immer teurer werden. „Je teurer die Tickets, desto mehr Menschen werden aus dem Stadion ausgeschlossen“, so Philipps. Als Argument für die Preiserhöhung werde oft betont, dass ja auch andere Freizeitaktivitäten teurer würden. „Aber ins Stadion zu gehen, ist eben etwas anderes als ein Kinobesuch“, so Philipps. „Das Stadion ist für viele Menschen ein Zuhause. Und es ist einer der letzten Orte, an dem Leute aus unterschiedlichsten Verhältnissen aufeinandertreffen.“ Eine Selektion durch die Eintrittspreise würde deshalb die soziale Verantwortung des Fußballs gefährden, meint Philipps.

Ein Stadionbesuch lasse sich nicht wie jedes andere Produkt vermarkten, sagt auch Harald Lange von der Universität Würzburg. „Schließlich ist der Fußball vor allem deshalb so wertvoll, weil er ein gesellschaftliches Kernthema geworden ist“, so Lange. „Wir alle reden über Fußball und pumpen ihn mit Bedeutungszuschreibungen auf. Nur deshalb ist er so interessant, dass man ihn kommerziell ausbeuten kann.“

Würden mehr und mehr Menschen durch steigende Ticketpreise vom Stadionbesuch ausgeschlossen, würde diese gesellschaftliche Relevanz auf Dauer bröckeln, meint Lange. Die Strahlkraft und den Wert des Fußballs habe man zwar immer für selbstverständlich gehalten, „aber wenn der Fußball zu einer elitären Veranstaltung wird und sich seiner Basis beraubt, sägt er selbst an dem Ast, auf dem er so fröhlich sitzt“, so Lange. Wie fragil die Bedeutung des Fußballs für die Gesellschaft ist, habe sich gerade auch in der Zeit der Geisterspiele gezeigt.

Die eineinhalb Jahre Pandemiefußball hätten zu einer Entfremdung der Fans geführt, meint HSV-Fan Philipps. Das läge nicht nur an den fehlenden Stadionbesuchen, sondern auch an leeren Versprechungen von Verbänden, bei der Finanzierung des Fußballs umzudenken. „So etwas wirkt sich natürlich negativ auf die gesellschaftliche Verankerung des Fußballs aus“, sagt der Soziologe Harald Lange. Das alles verkörpere eine Entwicklung, in die sich auch die kontinuierlich steigenden Ticketpreise einreihten.

„Die Kluft zwischen denen da oben und hier unten wächst im Fußball immer mehr“, so Lange. Die Pandemie habe dies noch sichtbarer gemacht. Lange bezweifelt deshalb, dass der Fußball „nach Corona“ jemals wieder die Bedeutung haben wird, die er davor hatte. Simon Philipps sieht in der Abkehr vom Fußball allerdings auch keine Lösung. „Wenn dich etwas stört, kannst du als Fan ja nicht einfach sagen: Gut, dann gehe ich nicht mehr dahin. Du kommst davon ja nicht einfach so los, es ist ein Teil von dir“, so Philipps. „Wir müssen uns deshalb dafür einsetzen, dass wir nach Corona wieder wie früher in die Stadien können.“ Das schließe auch den Kampf um bezahlbare Tickets ein. Ein Stadionbesuch müsse für alle möglich sein, unabhängig vom Kontostand.