Surfer über Lage in Afghanistan: „Ein Vehikel für Freiheit“

Afridun Amu trat für Afghanistan bei der Surf-WM an. Er beklagt: Deutsches Wahlkampfkalkül habe eine lebensbedrohliche Lage am Hindukusch geschaffen.

Afridun Amu

Der afghanische Surfer Afridun Amu nach dem Training in Berlin Foto: Sebastian Wells/Ostkeuz

taz: Herr Amu, Sie machen sich für die Petition „Luftbrücke für Afghanistan: Rettung ALLER gefährdeten Menschen jetzt!“ stark. Unter anderem werden in diesem Aufruf an die Bundesregierung Sport­le­r:in­nen als Gefährdete aufgeführt. Im Jahr 2012 haben Sie in Afghanistan den Surfverband gegründet, Sportstrukturen mitaufgebaut. Was wissen Sie über die Gefährdungslage von Sport­le­r:in­nen vor Ort?

Afridun Amu: Mir ist es ganz wichtig, erst einmal klarzustellen, dass für mich aktuell der Sport in Afghanistan sekundär ist. Es geht um Menschenleben und darum so viele gefährdete Menschen wie möglich da rauszuholen. Allzu viel möchte ich dazu aber auch deshalb nicht sagen, weil das für die Betroffenen zu gefährlich sein könnte.

Sie sind in Kabul geboren und in Deutschland aufgewachsen. Wie kamen Sie auf die Idee, das Surfen in Afghanistan zu fördern?

Meine Eltern sind in Afghanistan sozialisiert worden. Bei uns zu Hause wurde die afghanische Identität sehr kultiviert und gelebt. Das hat mich stark geprägt. Ich bin studierter Jurist und Kulturwissenschaftler und wollte danach schon immer in der Entwicklungszu­sammenarbeit in Afghanistan tätig sein. Ich habe festgestellt, dass ich mit meiner Passion dem Surfen viel bewirken kann beim Aufbau ziviler Strukturen. Andere Organisationen haben zuvor gezeigt, dass man gerade über den Sport in Afghanistan sehr viel erreichen kann. Kindern wird ein Raum gegeben, Kind sein zu dürfen. Und über den Sport können auch Bildungsangebote gemacht werden.

Welche Bedeutung hat der Sport in Afghanistan?

Viele kennen noch die Bilder aus der Zeit zwischen 1996 und 2001, als die Taliban schon einmal in Afghanistan regiert haben. Fußballstadien wurden für Exekutionen genutzt. Sport, selbst das Fußballspielen auf der Straße, war verboten. Danach hat es eine Gegenbewegung gegeben. An jeder Ecke Afghanistan wurde Sport getrieben. Alle afghanischen Athletinnen und Athleten wurden unterstützt. Sport wurde ein Stück weit auch als Normalität gesehen in diesem Land, das so lange in einem Ausnahmezustand, im Krieg, in der Isolation gelebt hat.

ist 1987 in Kabul geboren. Amu ist studierter Jurist und Kulturwissenschaftler, war für die Max-Planck-Stiftung für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit in der Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan tätig und unterrichtet derzeit an der Universität Potsdam am Hasso-Plattner-Institut. Im Jahr 2012 gründete er in Afghanistan einen nationalen Surfverband und gewann drei Jahre später die erste nationale Meisterschaft. Im Mai 2017 ist er für Afghanistan bei der Surf-Weltmeisterschaft angetreten und scheiterte im Mai 2021 in El Salvador bei derQualifikation für die Olympischen Spiele in Tokio.

Der Sport war also auch ein Medium, den Freiheitsdrang auszuleben.

Definitiv. Das sieht man gerade am Beispiel von Sportlerinnen, bei denen der Sport besonders stark als Vehikel für Freiheit dient. Das ist nicht nur in Afghanistan, sondern auch in Iran und vielen anderen Ländern so. Damit wird ein Stück weit Freiheit erkämpft und symbolisiert.

Wie erfolgreich war der Versuch, das Surfen in Afghanistan zu etablieren. Wie viele Mädchen konnten für den Sport begeistert werden?

Bei den ersten national anerkannten Meisterschaft 2015 waren sechs Teilnehmerinnen dabei. Das war ein guter Start. Am Anfang waren die Interessentinnen vor allem Exilafghaninnen. Aber das Interesse und der Austausch war von Beginn an sehr groß. Wir haben versucht, das Schritt für Schritt aufzubauen. Wir waren mit höchsten Sportfunktionären der ehemaligen Regierung, wie man leider nun sagen muss, in Kontakt. Aber jetzt geht es nicht um den Sport, wir müssen so viele Menschenleben wie nur möglich retten. In Deutschland wurden möglich Vorkehrungen bewusst verschlafen.

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Wie meinen Sie das?

Die Verantwortlichen in der Regierung hatten die Hoffnung, dass die Einnahme Afghanistans durch die Taliban erst nach der Bundestagswahl stattfinden wird, damit man im Wahlkampf um das Thema herumkommt.

Es wird von einer Fehleinschätzung gesprochen. Man habe nicht vorausgesehen, dass die Taliban so schnell das ganze Land einnehmen würden.

Es war klar, dass es zu der Katastrophe kommen wird, man hat nur gehofft, dass es nach der Wahl passiert. Alle Informationen lagen vor. Das weiß ich mit Gewissheit. Während meiner Zeit in der Entwicklungszusammenarbeit hatte ich sehr viel Kontakt mit deutschen Di­plo­ma­t:in­nen. Man weiß ja heute auch, dass die deutsche Botschaft in Afghanistan schon vor diesem Szenario gewarnt hatte. Jetzt sind alles so überrascht, weil systematisch beschönigt wurde.

Inwiefern?

Schon seit Jahren, vor allem aber in den letzten Wochen wurde ein falsches Bild von Afghanistan erstellt. Ich weiß, dass es Druck innerhalb des Auswärtigen Amts gab, dass diejenigen, die für die Lageberichte zuständig waren, nicht ganz so negativ oder krass formulieren. Die Zuständigen folgen dem, um ihre Karriere nicht zu gefährden. Im Endeffekt passiert das, was ­Alexander Gauland beim Einzug der AfD in den Bundestag gesagt hat.

Nämlich?

Dass man die anderen Parteien vor sich hertreiben werde und das Land aus der Opposition heraus verändern werde. Die Bundesregierung hat aus der Angst heraus nicht gehandelt, der AfD könnte im Wahlkampf ein Thema zugespielt werden.

Die Bundesregierung verweist darauf, andere hätten die Lage auch falsch eingeschätzt.

Wir müssen schauen, über welches Versagen wir sprechen. Dass Afghanistan den Bach runtergeht nach 20 Jahren ist ein Versagen der ganzen Weltgemeinschaft. Wenn es um die Rettung der Ortskräfte geht, geht es vor allem um ein deutsches Versagen. Die Amerikaner haben schon seit Wochen angefangen, mehr und mehr Ortskräfte rauszuholen, die Kanadier haben genau das umgesetzt, was unsere Petition fordert. Die Franzosen haben gerade Sammelstellen in Afghanistan, wo die Ortskräfte zusammenkommen, damit sie dann von da aus zum Flughafen kommen.

In den letzten Tagen hat man begonnen zu handeln.

Es gibt aber noch keine richtige Luftbrücke, wie es dargestellt wird, sondern es werden sporadisch Flugzeuge von Taschkent nach Afghanistan verschickt, aber das reicht noch lange nicht. Es müssten deutlich mehr Bemühungen stattfinden. Es sollte doch zumindest die Aufgabe der Bundesregierung sein, den Leuten, die seit Jahren, Jahrzehnten geholfen haben, da zu arbeiten, wenigsten denen zu helfen. Das ist schon eine moralische Verpflichtung.

Wie wird das Geschehen von den Menschen, mit denen Sie in Afghanistan in Kontakt stehen, wahrgenommen?

Die Leute sind panisch. Zu Recht! Den Versprechungen der Taliban, die sich an so vielen Verbrechen schuldig gemacht haben, kann man nicht vertrauen. Ich habe Freunde, die versuchen, Fotos, Dateien zu löschen. Sie löschen alles Mögliche, aus dem hervorgehen könnte, dass sie mit westlichen Organisationen kooperiert haben, damit sie untertauchen können. Auf der anderen Seite geht damit die Möglichkeit verloren, falls es doch noch zu größeren Rettungsaktionen kommen sollte, nachzuweisen, dass sie für ausländische Organisa­tio­nen tätig waren. Und es passieren traurige Dinge.

Zum Beispiel?

Ein ehemaliger Arbeitskollege von mir, eine Ortskraft in Afghanistan, bat mich erst, neben seiner Familie auch seine alleinstehende Schwester auf eine Liste für die Luftbrücke aus Afghanistan aufzunehmen, weil Frauen unter den Taliban nur mit männlicher Begleitung auf die Straßen dürfen. Ein paar Stunden später schickte er mir eine Nachricht, ich solle seine Schwester doch nicht auf die Liste schreiben. Er wollte für den Fall, dass nur wenige gerettet werden können, nicht den Platz von seiner Frau und seinen Kindern gefährden.

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