Berlins neue Mitte: Ist die neue Altstadt vom Tisch?

Oder droht auch Berlin die weitere Disneylandisierung? Ob der Beschluss des Abgeordnetenhauses umgesetzt wird, muss gut beobachtet werden.

Bürgerinnen und Bürger wünschen hier einen Ort, an dem die Stadt auch Luft holen darf Foto: dpa

Es gibt immerhin einen Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses. Im Frühjahr 2016 verabschiedete das Berliner Parlament zehn Leitlinien, die zuvor in zahlreichen Diskussionen und Werkstätten erarbeitet worden waren. „Alte Mitte. Neue Liebe“ hieß das Beteiligungsverfahren. Es sollte einen seit der Wende schwelenden Streit beenden: Soll die Berliner Altstadt zwischen Marienkirche und Rotem Rathaus wieder aufgebaut werden? Oder soll der Raum, der zu DDR-Zeiten vom Fernsehturm bis zum Marx-Engels-Forum an der Spree entstanden war, aufgewertet werden?

Fünf Jahre später haben nun auch Preisrichterinnen und Preisrichter entschieden. Ein grünes Band soll das Rathausforum mit dem Marx-Engels-Forum verbinden, zur Spree ist eine Freitreppe geplant. Es ist der Gegenentwurf zum grauen Umfeld des Humboldt-Forums, betont die Architektenkammer – und mahnt zur Eile bei der Umsetzung. Auch Bausenator Sebastian Scheel (Linke) warnt davor, „den langwierigen, demokratischen Prozess mit Füßen zu treten“.

Sind diese Sorgen berechtigt, könnte die neue Altstadt doch noch kommen? Schon Berlins inzwischen in den Ruhestand verabschiedete Senatsbaudirektorin Regula Lüscher warnte, dass die Fertigstellung des Humboldt Forums eine neue Diskussion über die Rekonstruktion der Berliner Altstadt auslösen könnte. Denn die Debatte schwelte immer weiter. Je unübersichtlicher das Leben in den Metropolen wird, desto größer das Bedürfnis nach einer „heilen“ Stadtwelt, die meist nur einer Fantasie des Alten entspringt.

Berlin konnte, vom Humboldt Forum abgesehen, dieser Versuchung bislang widerstehen. Anders als in Dresden, wo der Neumarkt und die Frauenkirche mit großer Entschiedenheit wieder aufgebaut wurden, war die Bewahrung der Ostmoderne in Berlin nicht nur das Anliegen einiger Ostalgiker, sondern auch junger Studierender der Architektur und von Aktivistinnen und Aktivisten. Diese besetzten den Palast der Republik oder Plattenbauten in Hellersdorf.

Die „Generation Alex“

„Generation Alex“ nannte die taz diese Bewegung, die nicht rückwärtsgewandt war, sondern in der Weitläufigkeit der Nachkriegsarchitektur auch ein Statement gegen die Durchkapitalisierung der Stadt sah. Denn nichts anderes waren Projekte wie der Dresdener Neumarkt: Disneyland gewordene Investorenträume.

In Berlin wurde stattdessen Wert darauf gelegt, was die Menschen vor Ort sagen. So folgte auf „Alte Mitte. Neue Liebe“ ein weiteres Werkstattverfahren, bei dem es auch um die Anbindung der benachbarten Quartiere und um den Verkehr ging. Im Wettbewerb zur Freiraumgestaltung, den nun das Büro RMP Stephan Lenzen gewonnen hat, werden die Wünsche der Bürgerinnen und Bürger nach einem Ort, an dem die Stadt auch Luft holen darf, konsequent umgesetzt.

Dies infrage zu stellen, würde nicht nur das Parlament brüskieren, sondern auch die Menschen, die sich engagiert haben. Entwarnung ist dennoch nicht angesagt, eher erhöhte Wachsamkeit. Denn am 26. September könnten neue Mehrheiten neue Begehrlichkeiten wecken. Dass sich eine Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey nicht an Absprachen hält, hat sie nicht nur beim Canceln der Bauordnung in letzter Sekunde gezeigt. Sie hat auch bereits angekündigt, das Votum eines Volksentscheids nicht anerkennen zu wollen.

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Jahrgang 1963, ist Redakteur für Stadtentwicklung der taz. Weitere Schwerpunkte sind Osteuropa und Brandenburg. Zuletzt erschien bei Bebra sein Buch "Morgenland Brandenburg. Zukunft zwischen Spree und Oder". Er koordiniert auch das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. Uwe Rada lebt in Berlin-Pankow und in Grunow im Schlaubetal.

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