„Bild“ im linearen Fernsehen: Tauziehen mit Raubkatzen

„Bild Live“ will „Deutschlands Newssender“ sein. Inhaltlich gibt es aber Gefühle und Politik in Großbuchstaben.

Paul Ronzheimer und Armin Laschet

Kanzlerkandidat Laschet bekam bei „Bild Live“ vage Fragen gestellt Foto: Michael Kappeler/dpa

Das Wort „Nachrichtensender“ ist für „Bild Live“ zu hoch gegriffen, so viel ist nach einer Woche klar. Der Axel Springer Verlag wirbt für sein neues 24-Stunden-Fernsehprogramm zwar als „Deutschlands Newssender“. Aber der Nachmittag ist gestopft mit Reality-TV.

Da versucht ein Paar, bewaffnet mit einem Bagger, sich selbst einen Pool zu bauen, und scheitert dabei an so manch einem Baum. Auf den Poolbau folgen Autos, Bier und Grillen. „Heiligs Blechle – Deutschlands Autotempel“, „Deutschland im Glutrausch – Grillen extrem“ oder in „Deutsches Bier – Das große Brauen“. Viel geht es um Männer, die leidenschaftlich am Werk sind beim Bruzzeln und Brauen. Eher als auf den Bedarf nach einem deutschen Newssender zu reagieren, wirkt „Bild Live“ wie ein minimal mehr auf Information gebürstetes Mischprogramm der Privatsender RTL und ProSieben.

Rund um die Uhr auf Nachrichtenereignisse reagieren, wie es ein Newssender täte, ist mühsam, kostenaufwendig und wirtschaftlich kaum rentabel. Stattdessen setzt „Bild Live“ auf die starken Zeiten Vormittag und Abend. Höchstens eine Fähigkeit, schneller auf Breaking News zu reagieren als zum Beispiel ARD und ZDF, könnte der Sender noch unter Beweis stellen. Ansonsten hat man das alles schon, im deutschen Fernsehen. Bloß etwas weniger hektisch.

Seit Ende vergangenen Jahres war klar, dass der Berliner Springer-Verlag sich mit einem weiteren TV-Sender im linearen Programm etablieren will. Für „Bild Live“ kam extra der Provokations-Moderator Claus Strunz in die Chefredaktion, die Ressourcen des bislang eher billig wirkenden „Bild Live“-Streams am Abend wurden ausgebaut.

Wackelige Kamera und unpassender Text

Dennoch fällt das Programm in Sachen Qualität weiter extrem auseinander. Da wackelt immer mal die Kamera, Schrift wird zu kurz eingeblendet, Text passt nicht zum gesprochenen Inhalt. Den Bild-Zeitungsjournalist*innen, die zum Teil durchs Programm führen, mangelt es an Kamerapräsenz und Sprechausbildung, das wirkt unbeholfen und verspannt, was das Dranbleiben bei einigen Sendungen selbst für Bild-Fans anstrengend machen könnte.

Das Herzstück des Senderauftakts waren Interviews mit den Kanzlerkandidaten Laschet und Scholz am Sonntagabend. Die Interviews mit den verbliebenen Kandidaten waren in ihrer Gehetztheit ermüdend, die in Großbuchstaben versprochenen „Richtigen Fragen“ wirkten unvorbereitet und vage: „Herr Laschet, was geht Ihnen da durch den Kopf?“ Annalena Baerbock hatte eine Einladung ausgeschlagen, aus der Grünen-Zentrale heißt es dazu, man habe Prioritäten setzen müssen.

Bei der Premiere des Abendtalks „Viertel nach acht“ am Montagabend wirkte dann auch Jürgen Trittin reichlich deplatziert, so wie der unsympathische Junge, dem Mama befohlen hat, zum Geburtstag einzuladen. „Zu brandheißen Themen“ (Bild) wie Terrorgendern, Impfzwang und Blumen von Putin fand denn auch nicht das „grüne Urgestein“ (Bild) Trittin, sondern ausgerechnet Thomas Gottschalk die richtigen Worte, er hätte „nicht gedacht, dass mir ausgerechnet eine Gesprächsrunde bei Bild die Augen öffnet“.

Etwas besser läuft die Morningshow von 9 bis 14 Uhr, die verwirrenderweise auch „Bild Live“ heißt und durch die ein Team ausgebildeter Fern­seh­mo­de­ra­to­r*in­nen führt. Da gibt es zu aktuellen Themen Gespräche mit Expert*innen, Live-Interviews, etwa mit dem Außenminister, und Fluff-Geschichten über Bodybuilder beim Tauziehen gegen Raubkatzen.

Deutsches Fox News?

Die Interviews mit Laschet und Scholz sahen laut Quotenmessung um die 100.000 Menschen, das ist nicht schlecht, aber auch kein furchteinflößender Angriff aufs lineare TV. Die Erste Ausgabe der Morningshow sahen dagegen zwischen 20.000 und 50.000, was in diesem Zeitraum recht gut ist.

Zu den unabhängig gemessenen Quoten kommen noch all jene, die „Bild Live“ auf der Bild-Webseite streamen. Zu diesen Abrufen macht Springer keine Angaben. Um zu analysieren, wie sich „Bild Live“ auf dem neuen Terrain lineares TV schlägt, reichen jedoch die frei verfügbaren Daten. Dazu muss man aber abwarten, was passiert, wenn sich der Rummel um den Launch gelegt hat.

Kurz gesagt bietet „Bild Live“ in Sachen Produktionsqualität ein Spektrum von annehmbar bis peinlich. Inhaltlich ist es genau, was man von Bild kennt. Gefühle, Fluff, Sport und Politik in Großbuchstaben. Keine Gefahr einer Produktenttäuschung.

Zwei Moderatoren

Thomas Kausch (früher ARD/ZDF) und Sandra Kuhn (früher RTL) Foto: Jörg Carstensen/dpa

Aber egal, wie viel Häme man wegen der Moderation, den Gästen oder den wiederkehrenden Auftritten von Reiner Calmund auch über „Bild Live“ ausgießen mag: Wichtig ist am Ende anderes. Nämlich ob „Bild Live“ ein deutsches Fox News wird, wie manche schon raunen. Und das hängt von mehreren Faktoren ab. Zum einen Vertrauen. Fox News sprachen in den USA 2020 in einer Umfrage 43 Prozent der US-Amerikaner*innen ihr Vertrauen aus. Der Berichterstattung der Bild-Zeitung vertrauen laut Reuters Institute gegenwärtig 19 Prozent der Deutschen.

Erwartbares Bashing

Zweitens die Frage, wer dort auftritt. Im US-Wahljahr 2020 diskutierte die Demokratische Partei, ob man den Sender aufgrund seiner engen Verbindungen zur Trump-Regierung im Wahlkampf boykottieren sollte. Fox News wie auch Bild leben nicht zuletzt durch ihr Image, nah an den Mächtigen zu sein. Ein Boykott von Bild seitens linker Po­li­ti­ke­r*in­nen allein könnte allerdings den Effekt haben, den Sender gerade eben mehr zu einem Fox News zu machen – also einem Sender, der vor allem die rechte Seite der Politik für die rechte Seite des Publikums abbildet.

Und drittens die Frage, wie viel der Bild-Kampagnenjournalismus woanders aufgegriffen wird. Auch eine engagierte Gegenrede kann eine Verstärkung sein. Dasselbe gilt für routinierte Häme. Am Wirkungsvollsten gegen Bild ist nicht erwartbares Bashing, sondern nach wie vor: ein fundiertes und diverses journalistisches Gegenprogramm. Zum Beispiel: ein Newssender.

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