CDU und Rot-Rot-Grün: Eine reine Verzweiflungstat

Die CDU unterstellt Olaf Scholz eine Vorliebe für ein Linksbündnis. Aber vor Rot-Rot-Grün muss niemand Angst haben – und es ist unrealistisch.

Olaf Scholz (SPD) vor einem roten Hintergrund

Olaf Scholz beim Wahlkampf in Berlin Mitte am 27. August Foto: Britta Pedersen/dpa

Das Schreckgespenst Rot-Rot-Grün ist ein Klassiker im Instrumentenkasten der CDU. Neuerdings versuchen die Konservativen, sogar Olaf Scholz eine Vorliebe für die Linkspartei anzudichten. „Scholz quatscht die Leute voll, damit sie einsteigen, ihm also die Stimme geben“, sagt Generalsekretär Paul Ziemiak. „Und dann werden sie abgezockt, indem es eine linke Republik gibt mit einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei.“

Ernsthaft? Mit Olaf Scholz (sic!) droht der Sozialismus? Diese Vorstellung ist so realitätsfremd, dass sie fast lustig ist. Als SPD-Generalsekretär unter Schröder verteidigte Scholz die Agenda 2010, als Arbeitsminister organisierte er das grundvernünftige Kurzarbeitergeld, als Finanzminister verliebte er sich in die Schwarze Null. Scholz hat das linksrevolutionäre Potential einer Büroklammer – und die SPD ist die staatstragendste Partei der Welt. Hinter ihm wartet ja keine fünfte Kolonne, sondern kreuzbrave Politpragmatiker wie Hubertus Heil, Rolf Mützenich oder Lars Klingbeil.

Auch Rot-Rot-Grün wäre keineswegs ein Weltuntergang. Dieses Bündnis könnte unsere Gesellschaft an vielen Stellen modernisieren und an die Post-Corona-Wirklichkeit anpassen. SPD, Grüne und Linke haben vor allem in sozialen und finanzpolitischen Fragen Schnittmengen. Ein Mindestlohn von 12 Euro würde Millionen Menschen helfen; von der Steuerpolitik würden Normal- und Niedrigverdiener profitieren, also die wahre Mitte der Gesellschaft. Selbst die moderate Vermögensteuer, die SPD und Grüne vorschlagen, würde das Aufgehen der Schere zwischen Arm und Reich nur verlangsamen, aber nicht stoppen.

Die rituelle Angstmache der CDU gehört fast zu jedem Bundestagswahlkampf, seitdem Peter Hintze in den 90ern die Rote-Socken-Kampagne erfand. Never change a winning game – das mag sich Ziemiak denken. Aber im aktuellen Fall ist sie vor allem Ausdruck von Verzweiflung. Der Kanzlerkandidat ist eine Fehlbesetzung, die CDU ist bei wichtigen Themen blank, Söder stichelt aus München, Abgeordnete, die um ihr Mandat fürchten, sind in Panik. 22 Prozent, das ist aus Sicht der Union die Todeszone.

Die Mitte ist klüger, als die Union denkt

Scholz zieht im Moment ältere WählerInnen von der CDU zur SPD hinüber, und auf manchen mag die Rote-Socken-Drohung sogar Wirkung haben. Aber sie wird die CDU nicht retten, denn die moderne, bürgerliche Mitte ist klüger, als die Union denkt. Wenn die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock in Hamburg, in einer der reichsten Städte Deutschlands, für die Vermögensteuer wirbt, bekommt sie Applaus. Wenn Robert Habeck bei Maybrit Illner fordert, die Schuldenbremse für neue Investitionen zu lockern, stimmen ihm namhafte Ökonomen zu.

Es spricht eben viel dafür, in einer Nullzinsphase Geld in Lade­infrastruktur oder Bahnstrecken zu stecken. Rot-rot-grüne Politik wäre also oft näher an der Realität als das Steuersenkungsmantra der CDU. Laschet sendet an der modernen Mitte vorbei. Statt plumpe Angstmache zu betreiben, müsste er anschaulich erklären, wie er Wohlstand und Klimaschutz vereinen oder die Digitalisierung voranbringen möchte.

Er könnte neue Leute ins Scheinwerferlicht rücken, etwa die kluge Integrations-Staatssekretärin aus NRW, Serap Güler. All das tut Laschet nicht. Stattdessen lässt er Friedrich Merz laufen, der ­gegen einen imaginierten Genderzwang kämpft. Solche Prioritäten muss man sich leisten können.

Vollends absurd wird die Rote-Socken-Kampagne der CDU durch die politische Realität. Natürlich springt Scholz nicht über das Stöckchen, eine Mitte-links-Koalition auszuschließen (und er tut gut daran). Aber er will die Ampel mit der FDP. Auch die Grünen-Spitze hegt eine Abneigung gegen Rot-Rot-Grün – und tendiert zur CDU. Und die Linke hat mit ihrer Enthaltung zur Bundeswehr-Luftbrücke in Afghanistan bewiesen, dass ihr Klemmbrett-Dogmatismus wichtiger ist als die Rettung von Menschenleben. Nein, vor Rot-Rot-Grün muss keiner Angst haben. Dafür sorgen die Beteiligten schon selbst.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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