Coronapandemie in Kuba: Infiziert beim Schlangestehen

Vor einem Jahr galt Kuba als Musterland der Pandemiebekämpfung. Mehrere Impfstoffe wurden entwickelt. Doch jetzt steigen die Zahlen.

Zwei Männer und zwei Frauen auf Stühlen mit Gesichtsmasken warten

Warten auf die Impfung in Havanna Foto: Agencia EFE/imago

HAMBURG taz | Die Zahlen vom Sonntag sind gravierend: 7.950 Neuinfektionen und 77 an Covid-19 Verstorbene meldete Francisco Durán García, leitender Epidemiologe im kubanischen Gesundheitsministerium, gegenüber dem offiziellen Onlineportal Cubadebate.

Die panamerikanische Gesundheitsorganisation (OPS) stuft die Situation als besorgniserregend ein. Kuba habe nicht nur die höchste Infektionsquote der Karibik, sondern auch Lateinamerikas. Das hängt auch mit der ökonomisch schwierigen Situation der Insel zusammen. Das lange Schlangestehen für knappe Lebensmittel trage zum Anstieg der Infektionen bei, so Ciro Ugarte von der OPS gegenüber der Nachrichtenagentur Efe.

Hinzu kommt, dass die Delta­variante bei rund 60 Prozent der Infektionsfälle in der kubanischen Hauptstadt nachgewiesen werde, gefolgt von der Beta­variante, so Ileana Morales Suárez, Direktorin im Gesundheitsministerium auf einer Pressekonferenz Anfang August. Besonders betroffen sind die Hauptstadt Havanna mit mehr als 1.600 Infektionsfällen und die beiden im Zentrum der Insel gelegenen Städte Cienfuegos mit 1.071 und Ciego de Ávila mit 798 Fällen.

Längst sind die Kapazitäten der Krankenhäuser überschritten. In Ciego de Ávila wurden ein Motel und eine Militäreinrichtung geöffnet, um Patienten aufzunehmen. Betten und Equipment sind laut der regionalen Tageszeitung El Invasor auf dem Weg.

Das einzige Land Lateinamerikas mit eigenen Impfstoffen

Parallel dazu hat die Regierung in Havanna die Geschwindigkeit der Impfkampagne merklich erhöht. 10,828 Millionen Dosen der drei in Kuba eingesetzten Impfstoffe Abdala, Soberana 02 und Soberana Plus sind bis zum 3. August auf der Insel verabreicht worden. 2,646 Millionen Ku­ba­ne­r*in­nen haben die vorgeschriebenen drei Dosen erhalten, knapp 3,3 der 11,2 Millionen Bewohner zumindest die erste.

Kuba hat als einziges Land der Region bereits im Mai 2020 auf die Entwicklung eigener Impfstoffe gesetzt und entschieden, weder Impfstoffe zu importieren noch sich an der internationalen Impfstoffplattform Covax zu beteiligen.

Eine überraschende Entscheidung, die aber nachvollziehbar ist, wenn man weiß, dass bereits zu Beginn der 1980er Jahre begonnen wurde, einen eigenen pharmazeutisch-biotechnologischen Forschungssektor aufzubauen. Die historische Entscheidung geht auf die Revolutionsikone Fidel Castro zurück, der damals die Interferon-Produktion in Kuba initiierte und hoffte, mit diesen Präparaten das Wundermittel gegen Krebs auf der Insel zu produzieren.

Seitdem hat sich der pharmazeutische Forschungs- und Produktionssektor zur Insel der Innovation auf Kuba gemausert. Impfstoffe gegen Hepatitis, gegen Hirnhautentzündung und eine ganze Reihe von Krebspräparaten sind neben vielem anderen entwickelt worden.

Wirken Kubas Impfstoffe gegen die Deltavariante?

Das Herz des innovativen Sektors befindet sich im Westen Havannas, wo das Finlay Institut, das Zentrum für Gentechnik und Biotechnologie (CIGB) und etliche andere Forschungseinrichtungen angesiedelt sind. Dort wird in Pilotanlagen auch produziert.

Bis zu 100 Millionen Impfstoffdosen will die Insel laut Vicente Vérez, Direktor des Finlay Instituts, bis zum Jahresende herstellen. Ein engagiertes Ziel, angesichts der Tatsache, dass in Kubas Krankenhäusern der Notstand herrscht. Nahtmaterial, Impfspritzen, aber auch Antibiotika und Schmerzmittel sind inselweit überaus knapp und angesichts chronisch leerer Kassen dürfte auch der Import von Vorprodukten für die Produktion der proteinbasierten kubanischen Impfstoffe alles andere als einfach sein.

Zudem erschwert das auf ein historisches Maximum verschärfte US-Embargo den Import von Anlagen, Maschinen und selbst der kleinen Glasfläschchen, in denen die Impfstoffe ausgeliefert werden.

Kubas Vakzine sind proteinbasiert und keine modernen mRNA-Impfstoffe, aber mit einer Wirksamkeit von 92 Prozent von Soberana 02 und 92,28 Prozent von Abdala im Prinzip auch international konkurrenzfähig. Im Iran, wo die Phase-III-Tests mit Soberana 02 unter anderem liefen, hat der Impfstoff eine Notfallzulassung erhalten – genauso wie in Kuba und Venezuela.

Noch fehlt die formelle WHO-Registrierung. Doch entscheidend ist derzeit die bange Frage, ob die kubanischen Vakzine auch gegen die sich weiter ausbreitende Deltavariante wirksam sind. Dazu gibt es bisher keine verlässlichen Daten, aber schlechte Anzeichen.

Denn nach Angaben des Gesundheitsministeriums waren 42 Prozent der Infizierten bereits mit drei Dosen geimpft und hatten auch die 14 Tage bis zur vollständigen Wirkung hinter sich. In Havanna liegt diese Zahl sogar bei 72 Prozent. Das ist eine schlechte Nachricht für das Gesundheitssystem der Insel, aber auch für deren Ökonomie. Diese Daten könnten auch den potenziellen Export kubanischer Vakzine gefährden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.