Afghanische Ortskräfte in Deutschland: Sicher, aber verzweifelt

Mehrere Tausend afghanische Ortskräfte sind in Deutschland. Ihre Sorgen bleiben – denn viele mussten Familienmitglieder zurücklassen.

Ein Mann mit einem rucksack geht an einem Flughafen an Soldaten vorbei. Im Hintergrund ein Bus

Gerettet: Dieser Afghane hat es in einen Evakuierungsflug der USA geschafft Foto: Sra Jan K. Valle/U.S. Air/Zuma/imago

BERLIN taz | Die 127 Afghan:innen, die im Übergangswohnheim Marienfelder Allee im Süden Berlins Schutz vor den Taliban erhalten haben, sind dankbar – ihre Sorgen und Ängste sind dennoch geblieben. Das wird bei jedem Wort klar, das die rund 20 früheren Ortskräfte an diesem Donnerstagvormittag an Eva Högl richten, die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages.

Högls Aufgabe besteht eigentlich darin, sich für das Wohl der Bundeswehrsoldaten einzusetzen. Doch nun sitzt die SPD-Politikerin in einem großen Saal mit dunklem Holzinventar und fragt, wie es den Ortskräften in Deutschland geht, die jahrelang für die Bundeswehr gearbeitet haben. „Ich bin hier, um von Ihnen zu hören, wie ich Sie unterstützen kann.“

Herr Nabizada, Ortskraft

„Sie sind in Gefahr, weil ich für die Bundeswehr gearbeitet habe“

Was die Wehrbeauftragte in den kommenden zwei Stunden zu hören bekommt, ist eine Mischung aus höflichem Dank und verzweifelten Bitten. „Wir sind in Sicherheit, aber nur wir mit unseren Kernfamilien“, sagt etwa Herr Nabizada, ein Mann in Jeans und schwarzem Hoodie. Von 2003 bis 2021 hat Nabizada als Dolmetscher für verschiedene Ausbildungsprogramme der Nato-Mission Isaf in Masar-i-Scharif gearbeitet, mehrere Jahre auch für die Bundeswehr. Seine Eltern und drei seiner Brüder werden von den Taliban gesucht, sie verstecken sich nun in und um Kabul. „Sie sind in Gefahr, weil ich für die Bundeswehr gearbeitet habe“, sagt Nabizada.

Der 38-Jährige ist zum Sprechen aufgestanden wie ein Schulkind. Eine Sprachmittlerin übersetzt seine Worte: „Deshalb bitten wir Sie, holen Sie unsere ganzen Familien nach Deutschland.“

Nur die Kernfamilie darf mit

Seit 2013 sind nach Angaben der Bundesregierung 4.800 Ortskräfte und ihre Familien eingereist, nach einem vereinfachten Visaverfahren noch einmal 2.500. Von den 3.849 Afghan:innen, die in den vergangenen zwei Wochen von den Bundeswehr evakuiert worden sind, sind laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) weitere 138 Ortskräfte und 496 Angehörige.

Sie alle erhalten eine Aufenthaltserlaubnis nach Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes. Das heißt: Sie dürfen für zunächst drei Jahre im Land bleiben und in der Zeit bereits arbeiten oder eine Ausbildung beginnen. Ob auch die übrigen evakuierten Af­gha­n:in­nen diesen Status erhalten oder ins Asylverfahren müssen, werde derzeit geprüft, teilt ein Bamf-Sprecher mit.

Die meisten der 127 Af­gha­n:in­nen im Übergangswohnheim Marienfelder Allee sind bereits vor August eingereist. Eine entsprechende Aufnahmezusage haben alle erhalten, sagt die Leiterin der Einrichtung, Uta Sternal, vom Internationalen Bund (IB). Deshalb hätten die Familien auch Anspruch auf Leistungen vom Jobcenter oder Sprachkurse, so Sternal. Dennoch seien einige enttäuscht von der Bundesregierung: „Viele Familien mussten ihre Kinder, Geschwister und Eltern zurücklassen, weil sie nur die Kernfamilie mit nach Deutschland nehmen durften.“

Hat Seehofer Wort gebrochen?

Tatsächlich erhalten Ortskräfte lediglich für Ehepartner und minderjährige Kinder eine Einreiseerlaubnis nach Deutschland – obwohl sich Bund und Länder auf der Innenministerkonferenz Mitte Juni darauf verständigt haben, dass auch die volljährigen Kinder von Ortskräften einreisen sollen dürfen.

Das bestätigte auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vor gut zwei Wochen auf einer Pressekonferenz. Eine volljährige Tochter bei der „Umsiedlung nach Deutschland“ nicht von der restlichen Familie zu trennen bezeichnete Seehofer als „Verpflichtung“.

Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, wirft Seehofer deshalb „Wortbruch“ vor. „Sein Ministerium macht nicht, was er als Minister verspricht“, sagt Burkhardt der taz. Ähnlich kritisch sieht er, dass die Bundesregierung mit dem Ende der Evakuierungen auch keine neuen schutzbedürftigen Af­gha­n:in­nen mehr registriert.

Eine Politik, für die sich auch Eva Högl vor den Ortskräften rechtfertigen muss – auch wenn sie nicht gekommen ist, „um über die große Politik“ zu reden, wie sie gleich zu Beginn sagt. „Das ist die große Schwierigkeit, dass wir die Familie, die Sie mit nach Deutschland nehmen können, auf die Kernfamilie begrenzen“, sagt Högl. Sie könne leider „in den konkreten Fällen nichts entscheiden“, wolle sich aber bei der Bundesregierung für eine erweiterte Familienaufnahme einsetzen.

Für die langjährige Ortskraft der Bundeswehr Nabizada ist Högls Besuch enttäuschend. „Wir haben gedacht, die Bundeswehr würde sich um uns und um unsere gefährdeten Familienmitglieder kümmern“, sagt er. Und um die Flugkosten. Für sich, seine Frau und seine sechs Kinder hat er 7.000 US-Dollar bezahlt – jetzt hat er Schulden.

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