Vor der Bundestagswahl: Kan­di­da­t:in­nen im Klimacheck

Die Initiative #wählbar2021 durchleuchtet die Klima-Ambitionen aller potenziellen Abgeordneten. Das soll auch neue Allianzen im Bundestag fördern.

Mann mit blauem Schirm und der Aufschrift: Klimakrise steht - im Hintergrund die mit Kunstblut verzierte Fassade der CDU

Demonstration vor der CDU-Parteizentrale in Berlin am 17. August 2021 für mehr Klimaschutz Foto: Christoph Soeder/dpa

BERLIN taz | Am 17. August steht Phillipp George mit etwa 1.000 Demonstrierenden vor der CDU-Parteizentrale in Berlin. Um ihn herum wehen die Fahnen und Plakate von Greenpeace und Fridays for Future oder Extinction Rebellion. Die Menschen zeigen der Union die „rote Klimakarte“ und propagieren eine „Klimawahl 2021“.

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Wäre die Demonstration nur hier bei der CDU, dann wäre George gar nicht gekommen. Doch ein weiterer Zug steht vor dem Willy-Brandt-Haus der SPD, später trotten sie gemeinsam zur Zentrale der Grünen. George ist kein Demonstrant. Er will informieren. Auf einer Bühne stellt er sein Projekt „#wählbar2021“ vor.

„Wir haben 19 Maßnahmenpakete, vom Tempolimit bis zur Bilanzierung von Treibhausgasen in der Lieferkette und klimaschonender Landnutzung erarbeitet“, erklärt er. Zu denen haben er und seine Mit­strei­te­r:in­nen alle Kan­di­da­t:in­nen für den Bundestag um Stellungnahme gebeten.

„Der Erfolg hat uns selbst überrascht“, sagt George. Schon mehr als die Hälfte der befragten Po­li­ti­ke­r:in­nen hat mitgemacht. Das Ziel: Wer sich fürs Klima interessiert, soll prüfen können, wen aus seinem Wahlkreis er in den Bundestag schickt – und zwar genauer, als der Blick in die Wahlprogramme der Parteien es zulässt.

Laschet, Scholz und Lindner haben nicht geantwortet

Das Ganze beginnt mit den Spit­zen­kan­di­da­t:in­nen und einer kleinen Enttäuschung: Armin Laschet für die CDU/CSU, Olaf Scholz für die SPD und Christian Lindner für die FDP haben noch keine Antworten. Annalena Baerbock für die Grünen und Janine Wissler für die Linken haben den Fragebogen hingegen ausgefüllt.

Danach kann man entweder die ganze restliche Liste durchgehen oder per Schnellsuche seinen HeimatkandidatInnen auf den Zahn fühlen. Es geht dabei ins Detail: Die 19 Thesen etwa zu CO2-Preis, Klimabildung in Schulen, Tempolimit, Industriepolitik, Wasserstoff, Klimaschutz als Rechtspflicht des Staates, Kreislaufwirtschaft oder Abbau von Subventionen enthalten jeweils noch mehrere konkrete Forderungen.

Kandidat:innen, die noch nicht geantwortet haben, sind dennoch aufgeführt – und per Knopfdruck können Wäh­le­r:in­nen eine vorformulierte E-Mail an diejenigen erstellen und zum Mitmachen auffordern.

Hinter der Aktion steht der Verein „CO2-Abgabe e. V.“. Dessen Geschäftsführer Jörg Lange arbeitet in einem Ingenieurbüro und hat auch mit Umwelt- und Klimapolitik zu tun. „Dabei bin ich immer wieder auf bürokratische Hindernisse gestoßen“, sagt er. Seine Erkenntnis: Klimapolitische Veränderung geht nur in den Parlamenten. Und wie die kommenden Abgeordneten im Bundestag handeln, sei entscheidend.

„Klimapolitik muss im nächsten Bundestag parteiübergreifend gelingen“, sagt Lange. So entstand die Idee, an alle potenziellen Abgeordneten einzeln zu schreiben, um Gemeinsamkeiten unabhängig der Parteizugehörigkeit zu finden.

Gefragt wurden die Parteien aus dem Bundestag, aber auch kleinere Bewerber wie die ödp oder „die Basis“. Die AfD haben die Organisatoren weggelassen. „Da die Partei Klimapolitik insgesamt ablehnt, macht es keinen Sinn, sie zu fragen“, sagt Lange.

Nach aktuellem Stand haben von den großen Parteien 243 Grüne (80 Prozent der Befragten), 177 So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen (59 Prozent), 170 Linke (58 Prozent), 134 Liberale (45 Prozent) und 13 Christ­de­mo­kra­t:in­nen (4 Prozent) mitgemacht. Sie haben den Maßnahmen zugestimmt oder geschrieben, unter welchen Bedingungen sie den Paketen zustimmen würden, und erklärt, warum sie nicht oder anders an die Themen herangehen würden.

Unerwartete Gleichgesinnte ausfindig machen

Das Ziel der Organisation ist, die einzelnen Kandidierenden gemäß ihrem Gewissen zu befragen. Je­de:n einzeln also. Viele Grüne, vor allem die Top-Leute, haben trotzdem eine gemeinsame Antwort formuliert. „Wir GRÜNE wollen die Emissionen im Gütertransport deutlich senken“, schreiben zum Beispiel gleich mehrere wörtlich.

Was Lange noch auffällt: Kandidierende der CDU/CSU positionieren sich kaum. Die Union habe eine gemeinsame Antwort angeboten, allerdings mit selbstbestimmten Schwerpunkten, sagen die Initiatoren. „Dabei hoffen wir“, sagt Jörg Lange, „dass sich gerade auch die Kandidierenden der Union selbst positionieren und nicht auf die Parteiposition zurückziehen.“

Zwei allerdings stechen heraus: Philipp Albrecht aus Oldenburg und Diana Stöcker aus Lörrach. Beide sind progressiv eingestellt, Letztere schließt sogar ein Tempolimit nicht aus. Von ihren für die Union untypischen Gemeinsamkeiten erfuhren sie durch das Projekt. Denn so soll es gerade nach der Wahl laufen: Abgeordnete, die eigentlich ähnliche Meinungen haben, aber nichts voneinander wissen, sollen zueinander finden.

Denn nach der Wahl soll die Arbeit erst richtig losgehen. Dann wollen Lange und seine Mit­strei­te­r:in­nen sämtliche Antworten auswerten, sortiert nach den letztlich gewählten Bundestagsabgeordneten. „Wir werden nach Mehrheiten für geeignete Maßnahmen suchen“, erklärt Lange. Sofern vorhanden, werde man die jeweiligen Po­li­ti­ke­r:in­nen dann darauf hinweisen: ein Service fürs Netzwerken, um klimapolitisch komplexe Themen vielleicht auch über Parteigrenzen hinweg zu bearbeiten.

Zusammengestellt hat die Maßnahmen Lange selbst. „Man könnte sich mit jedem einzelnen Paket tagelang beschäftigen“, sagt er. Er sagt, er habe das Fachwissen vieler seiner Un­ter­stüt­ze­r:in­nen gebündelt. Dazu zählen etwa Monika Griefahn, Greenpeace-Mitgründerin und ehemalige SPD-Umweltministerin von Niedersachsen, die Ökostrom-Unternehmerin Ursula Sladek, der Umweltwissenschaftler Ernst von Weizsäcker.

Bei der „Klimawahl“-Demo in Berlin kommt die Idee von #wählbar 21 gut an: „Wählbar ist eigentlich niemand wirklich“, sagt Helen. Trotzdem findet sie, dass es eine „Klimawahl 2021“ wird, wie ihr Schild Auskunft gibt. „Weil diese Regierung als eine der letzten noch wirklich etwas verändern kann.“ Auch Sophie, 21 Jahre alt und Erstwählerin, ist von den regierenden Parteien enttäuscht. Von #wählbar2021 denkt sie, dass es wirklich ein Mittel sein könnte, um die einzelnen Abgeordneten besser einschätzen zu können.

Die In­itia­to­r:in­nen wünschen sich nicht nur mehr Mitarbeit in der Politik – sondern auch bei den Menschen an den Wahlurnen. „Es machen noch nicht so viele Wäh­le­r:in­nen mit, wie wir uns das wünschen würden“, sagt Lange. Das sieht auch sein Mitarbeiter Philipp George so, der bei der Demo wirbt: „Wir sind sozusagen wie der Wahl-O-Mat, nur mit einem klimapolitischen Fokus.“ Damit je­de:r weiß, wer eigentlich wählbar ist. Und dass Klimapolitik alle angeht.

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