Memoiren von Musikmanager Alan McGee: War das wirklich ich?

Oasis-Entdecker Alan McGee schildert in „Randale, Raves und Ruhm“ die Story seines Labels Creation und einer sagenhaften Managerkarriere.

My Bloody Valentine 1990 in Scharzweiß vor einer Wand

My Bloody Valentine 1990 vlnr: Kevin Shields, Colm Ó Cíosóig, Bilinda Butcher, Debbie Googe Foto: Steve Gullick

Der Schotte Alan McGee gilt neben Malcolm McLaren als der wichtigste Popmanager Groß­britanniens. Um nur einige seiner Großtaten zu nennen: Der Gründer des Labels Creation hat die Band Oasis aus Manchester per Zufall entdeckt, hat die Mitte der 1980er als „neue Sex Pistols“ gefeierte Band Jesus and Mary Chain aus einem Vorort von Glasgow gemanagt, wird gemeinsam mit der Londoner Band My Bloody Valentine als Co-Erfinder des Genres Shoegaze genannt und hat mit der Band Primal Scream ­Rock-’n’-Roll-Attitüde mit Rave-Euphorie zusammengedacht.

Der Verlag Matthes und Seitz hat jetzt McGees im Original bereits 2013 erschienene Autobiografie auf Deutsch veröffentlicht, Titel: „Randale, Raves und Ruhm. Storys eines Labelmachers“. Parallel läuft seit März in Großbritannien der auf dem Buch basierende, mit Dokumaterial unterfütterte Spielfilm „Creation Stories“ von Regisseur Nick Moran, für den der Schriftsteller Irvine Welsh das Drehbuch geschrieben hat und Danny Boyle („Trainspotting“) als Produzent verantwortlich zeichnet.

Meine erste persönliche Begegnung mit Alan McGee fand im Sommer 1988 statt, zu einem Zeitpunkt, an dem er mit Jesus and Mary Chain zwar schon einige „Randale“ hinter sich hatte, „Raves“ und internationaler „Ruhm“ aber noch vor ihm lagen. Erst in den neunziger Jahren sollte er mit dem Oasis-Megaerfolg und seiner aktiven Beteiligung an der Modernisierung der Labour Party („Cool Britannia“) die ganz große Bühne betreten, und Acid House hat er, wie er in seinem Autobiografie gesteht, leicht verspätet kapiert.

My Bloody Valentine im Squat

Ich verbrachte damals einige Wochen in einem besetzten Haus im Londoner Stadtteil Kentish Town, in dem unter anderem Kevin Shields und Colm Ó Cíosóig von My Bloody Valentine wohnten. Eines Tages quartierten sich dort zwei junge Frauen aus Leeds ein, die unbedingt und so schnell wie möglich Alan McGee kennen lernen wollten, um ihm ihre Band The Impossibles schmackhaft zu machen.

Alan McGee: „Randale, Raves und Ruhm. Storys eines Labelmachers“. Aus dem Englischen von Michael Kellner. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2021, 360 Seiten, 19,90 Euro

McGee galt damals in der Gitarrenpopszene als „Lichtgestalt“, wie der Journalist Christoph Dallach in seinem Vorwort zum Buch schreibt. Die Band Pooh Sticks hat das auf ihn zielende Begehren in dem Song „I Know Someone Who Knows Someone Who Knows Alan McGee Quite Well“ ironisch auf den Punkt gebracht.

Nach einem Creation-Abend mit The Weather Prophets und House of Love gab es dann zu Hause beim Schlagzeuger der Weather Prophets die Chance zum Kennenlernen. Jedoch lag McGee als teilnahmsloser Beobachter in Lederhose, Stiefeln und seiner notorischen Sonnenbrille auf dem Sofa. Die Impossibles waren von der unnahbaren Aura verschreckt, ihre Debüt-Single sollte dann doch nicht bei Creation erscheinen. Immerhin brachte mir dieser Abend eine Erkenntnis, mit der sich eine offene Frage aus „Randale, Raves und Ruhm“ beantworten lässt.

Rätselhafte Kevinitis

Seine popkulturellen Epiphanien schildert der Schotte Alan McGee maximal lakonisch

McGee rätselt nämlich, warum für das zweite My-Bloody-Valentine-Album so unendlich viele Studiotage und -nächte nötig waren, der obsessive Perfektionismus von Songwriter Kevin Shields – McGee spricht von einer rätselhaften „Kevinitis“ – habe ihn fast in den Ruin gestürzt. Welche Drogen, fragt er sich, waren da denn nur im Spiel? Der Grund, so weiß ich seit jenem Abend, war, dass Kevin Shields gerne Rotwein mit LSD kombinierte und dadurch in einen Zustand passiv-aggressiver Beratungsresistenz geriet.

Ich musste ihn an jenem Abend nach Hause eskortieren. Es dürfte gute Gründe gehabt haben, warum McGee, wie er sich leicht eingeschnappt erinnert, nie zu My Bloody Valentine nach Hause eingeladen wurde.

Drogen sind in „Randale, ­Raves und Ruhm“ ein zentrales Sujet. „Was immer gerade zu haben war, ich war dabei“, schreibt McGee und analysiert seinen exzessiven Konsum von Ecstasy, Speed, Acid, Koks und Jack Daniels rückblickend als unbewusste Selbstmedikation unerkannter Depressionen. 1994 kam es nach einer MDMA-Überdosis zum lebensgefährlichen und läuternden Zusammenbruch, just, als Oasis mit „Definitely Maybe“ auf Platz Eins der britischen Charts landeten, was der Manager in der Klinik teilnahmslos zur Kenntnis nahm.

Potrait von Alan McGee mit orangefarbener Sonnenbrille

Alan McGee gilt als einer der wichtigsten Pop-Manager Großbritanniens Foto: Arnold Slater/getty images

Okkultes im Trainingsanzug

Im Film zum Buch werden die Drogentrips ähnlich wie in „Trainspotting“ bedrohlich farbenfroh bebildert. Nach zahlreichen Therapien ist McGee heute clean und lebt auf dem Land in Wales, wo er sich mit okkulter Literatur beschäftigt und Immobiliengeschäfte abwickelt. Nebenbei reist er, mit Bart und stets in Adidas-Trainingsanzug gekleidet, als DJ um die Welt.

Als Creation-Chef war McGee ein exzentrischer Hallodri, ein Aufschneider von entwaffnender Unseriosität, Poser und Genie in Personalunion. Das Label managte er wie ein „Diktator“ (O-Ton), disruptiv und nach dem Malcolm-McLaren-Motto „cash from chaos“, Verträge schloss er nie ab. Leider wird seine Überspanntheit im Film von Ewen Bremner allzu klamaukig, mitunter unsympathisch performt. Nachdem er mit seiner meines Erachtens sogar von ihm selbst unterschätzten Band Biff Bang Pow! erfolglos blieb, habe McGee irgendwann seine Kernkompetenz erkannt: „To make things happen!“.

Feedbackorgien und Saalschlachten

Legendär waren sein 1983 in einem Londoner Pub gegründeter „Living Room Club“ und die bewusst geschürten Ausschreitungen bei den Jesus-and-Mary-Chain-Konzerten, die oft in Feedbackorgien und Saalschlachten endeten, lustig die lebensgroßen McGee-Pappfiguren, die er zur Promotion für House of Love an Plattenläden verschickte. Natürlich war McGee kein unbewegter Beweger, er war angetrieben von dem, was um ihn herum passierte.

Seine popkulturellen Epiphanien schildert er maximal lakonisch. Die Sex Pistols veränderten „alles“, die TV Personalities „mein Leben“ und Acid House war „etwas Neues, etwas Unglaubliches“. Bei dem für ihn richtungsweisenden TV-Personalities-Gig 1982 standen mit Ed Ball und Joe Foster übrigens die zwei wichtigsten späteren Creation-Weggefährten auf der Bühne.

Es ist interessant zu erfahren, dass der Jesus-and-Mary-Chain-Sound ungewollt durch ein von Joe Foster falsch bedientes Mischpult entstanden ist und Oasis sich bei jenem Konzert in Glasgow, auf dem McGee sie entdeckte, gegen massive Widerstände als Vorband reingemogelt hatten. Die zahllosen Drogenanekdoten und die im Verlauf des Buches zunehmende Fixierung auf Erfolgsstorys und big names lassen aber leider die Frühgeschichte von Creation und die Bedeutung des Labels für die Indiepop-Szene der frühen und mittleren Achtziger in den Hintergrund treten.

„Der Geist des Punk und die Melodien des psychedelischen Pop der 1960er Jahre – darin bestand das Konzept“, schreibt McGee, der das Label nach seiner Lieblingsband der Sechziger und seine Gruppe Biff Bang Pow! nach einem Song derselben benannt hatte. Mit diesem Ansatz entstand aber weit mehr als nur bezaubernder Gitarrenpop, nämlich die neue, postmaskuline Subjektivität des Anorak tragenden, schwächlichen „Wimps“, der glücklich ist, wenn er traurig ist.

Vom Wimp zum Star

Schon bald blickte McGee nur noch verächtlich auf die in seinen Augen dogmatische Indieszene. „Uns interessierte Rock and Roll“, schreibt er mit großmäuliger Koketterie. Immer wieder betont er, wie wichtig ihm Geld und Erfolg waren und erklärt dies mit seinem Klassenhintergrund und den ärmlichen Verhältnissen, in denen er in Glasgow aufgewachsen ist. So erfahren wir zu wenig über die Indie-Ursuppe in Glasgow und London und viel über die Eskapaden seines Schulkameraden und lebenslangen Gefährten Bobbie Gillespie von Primal Scream, der vom Indie-Wimp zum Ravestar mutierte.

Auch der Größenwahn der Gallagher-Brüder kommt nicht zu kurz. Deren Erfolg sollte, so McGee, der „Sargnagel“ für das Label werden. Oasis, die das Label mit Ladkultur aufmischten, waren schlicht too much für das fragile Gebilde Creation. 1992 hatte McGee die Hälfte der Creation-Anteile an das Majorlabel Sony verkauft, nicht zuletzt wegen der durch die endlose Produktion des zweiten My-Bloody-Valentine-Albums angehäuften Schulden.

Wenn McGee von diesem und anderen Deals mit multinationalen Konzernen erzählt, dann ist „Randale, Raves und Ruhm“ auch ein Bericht aus den goldenen Zeiten des Musikbiz, in denen die Scheine noch locker saßen. 2000 sollte Creation dann geschlossen werden und McGee machte wenig später mit dem Label Poptones weiter.

Mit dem weltweiten Oasis-Erfolg war der ruhmsüchtige McGee zur allseits umschmeichelten Celebrity geworden. Mitunter schaut er in seinen lehrreichen und amüsanten, von Michael Kellner schwungvoll übersetzten Memoiren wie ein staunendes Kind auf sein vergangenes Selbst und scheint sich verblüfft zu fragen: War das wirklich ich, dessen Anrufbeantworter von der Boulevard-Zeitung News of the World gehackt wurde, weil ich mit Courtney Love befreundet war? Kann es wirklich sein, dass ich mit dem Kinderschänder Jimmy Savile bei Tony und Cherie Blair zu Tisch im Landsitz Checkers saß? Wurde mir wirklich das Management von Hall & Oates angeboten?

Man spürt gewisses Fremdeln mit der eigenen Persona, eine Einladung der königlichen Familie schlug er wegen seines Royalistenhasses denn auch aus.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.