Bildschirm-Proletarier allein zu Haus

Click­wor­ke­r:in­nen arbeiten im Homeoffice. Ihre Aufträge erhalten sie über mächtige Plattformen. Die Gewerkschaften tun sich schwer, ihnen zu helfen

Im Gegensatz zum malochenden Kohlekumpel, der die anderen Männer in der Grube seit Jahren kennt, sehen sich Cloud­wor­ke­r:in­nen fast nie in der Realität

Von Finn Walter

Proletarier sind stark, wenn sie sich organisieren. Das hatte Marx schon im 19. Jahrhundert erkannt. Immer mehr Menschen arbeiten aber unter Bedingungen, bei denen genau das nicht möglich ist. Besonders betroffen ist das sogenannte Clickworking. Unternehmen oder Privatpersonen vergeben dabei einzelne Aufträge über Internetplattformen an eine Armee von Soloselbstständigen. Diese werden vom Algorithmus der Plattformen nach Kundenbewertungen und Erfahrungen geranked. Teils müssen sie sich gegenseitig mit dem Honorar unterbieten, um an Aufträge zu gelangen – der Arbeitsmarkt in seiner Reinform.

Die Jobs reichen von einfachsten Adress-Recherchen über das Korrigieren von Texten bis hin zu hoch komplexen Programmieraufträgen. Dadurch variiert auch das Gehalt massiv. Während manche Clickwor­ke­r:in­nen deutlich unter dem Mindestlohn verdienen, haben andere einen Stundenlohn von 100 Euro oder mehr. Offiziell sind die Menschen aber Selbstständige. So verlangen es die Plattformen. Vom Gehalt gehen also noch Steuern, Sozialversicherungsbeiträge und Altersvorsorge ab.

Wie viele Menschen in Deutschland tatsächlich ihr Geld mit solcher Plattformökonomie verdienen, ist schwer abzuschätzen. Studien sprechen von etwas über 400.000 bis 2,7 Million Menschen, die einen großen Teil ihres Einkommens über eine plattformbasierte Arbeit beziehen. In die Zahlen fließen allerdings auch Menschen mit ein, die plattformvermittelte Arbeit in der realen Welt ausführen, zum Beispiel Lieferando-Fahrer:innen.

Mittlerweile haben auch Gewerkschaften das Problem erkannt. Die IG-Metall unterzeichnete 2016 mit Gewerkschaften aus den USA, Österreich und Schweden die Frankfurter Erklärung, in der bestimmte arbeitsrechtliche Mindeststandards gefordert werden. Aber hier geht das Problem bereits los. Wenn Gewerkschaften in einem Land zu stark werden und das Land bessere Rechte für Cloud­wor­ke­r:in­nen durchsetzt, können die Plattformen ihre Armee von Ich-AGs teilweise in einem anderen Land rekrutieren.

Immerhin haben 2017 einige deutsche Anbieter in Zusammenarbeit mit der IG-Metall einen Code of Conduct erarbeitet, in dem sie sich selbst zu Mindeststandards verpflichten. Laut IG-Metall gehören die Unternehmen, die den Code of Conduct unterzeichnet haben, auch zu den faireren Plattformen. Ebenfalls 2017 richtete die IG-Metall eine Informationsstelle ein, bei sich Platt­form­ar­bei­te­r:in­nen über ihre Rechte informieren können. Wie viele Menschen damit aber überhaupt erreicht werden, weiß niemand so genau.

Eine wichtige Grundlage für Arbeiterbewegungen war seit jeher der zwischenmenschliche, physische Kontakt der Arbeiter. Im Gegensatz zum malochenden Kohlekumpel, der die anderen Männer in der Grube seit Jahren kennt, sehen sich Cloud­wor­ke­r:in­nen aber fast nie in der Realität. Um Austausch zu fördern, erstellten manche von ihnen Facebook-Gruppen. Leider wird das nicht ausreichen, um den mächtigen Plattformen etwas entgegenzusetzen.

Der einzige Weg etwas zu ändern: Cloud­wor­ke­r:in­nen müssen sich organisieren, und zwar weltweit. Um es in den Worten von Marx zu sagen: Cloudworker:innen aller Länder, vereinigt euch!