Nachruf auf Jean-Luc Nancy: Der Tod ist kein Außen des Lebens

Jean-Luc Nancy war einer der Unaufgeregtesten der französischen Gegenwartsphilosophen. Nun ist er im Alter von 81 Jahren gestorben.

Jean-Luc Nancy hat eine Glatze und trägt eine Brille. Mit seinen Händen gestikuliert er

Jean-Luc Nancy 2009 in Berlin bei „Neue Philosophie am HAU“ Foto: Detlev Schilke

Jean-Luc Nancy, der am vergangenen Montag im Alter von 81 Jahren in Straßburg gestorben ist, war unter den französischen Philosophen seiner Generation wie Alain Badiou und Jacques Rancière der Unaufgeregteste.

Mit Rancière und Badiou teilte Nancy die lebenslange Verbundenheit mit dem Ereignis 1968. An 68 gab es für Nancy nichts zu revidieren. Es war ein Moment, in dem sehr viele richtige Fragen auftauchten, die es weiter in die Welt zu tragen galt.

1940 in Bordeaux geboren, lebte Nancy von der Mitte der 40er bis Anfang der 50er mit seinen Eltern in Baden-Baden, bevor die Familie über Bergerac in der Dordogne nach Toulouse zog. Das Deutsch, das Jean-Luc Nancy in Baden-Baden sprechen gelernt hatte, und der Widerstandsgeist der Dordogne, einer bergig-kargen Gegend, die immer Résistance-Frankreich war, bereiteten den Stoff vor, den Nancy in seinem Leben beackern sollte.

Früh durch den französischen Linkskatholizismus politisiert, schrieb er seine Magisterarbeit über Hegel und die Religion und seine Dissertation über Kant. Ab 1964 lebte und lehrte Nancy in Straßburg. Dort begründete Nancy zusammen mit seinem Lebensfreund Phi­lippe Lacoue-La­barthe die „Straßburger Schule“.

Einführung in das Denken Jacques Lacans

Mit Lacoue-Labarthe schrieb er die schönste Einführung in das Denken des Psychoanalytikers Jacques Lacan. „Vom Buchstaben. Zu Lacans Aufhebung der Philosophie“ heißt das Buch und konzentriert einen Baustein des Nancy’schen Kosmos: die Theorie der Psychoanalyse.

Über 200 Bücher zeugen von der immensen Produktivität Nancys. Freilich lassen sich seine Bücher sehr gut einzeln lesen, weil er nicht davon ausgeht, mit seinen philosophischen Erzählungen Rechenschaft von der Existenz der Welt als solcher ablegen, ihren Grund angeben und ihre Vernünftigkeit nachweisen zu können. Für Nancy sind das alles Dinge, die nicht möglich sind. Möglich ist es aber, in einem Denkprojekt die „Dekonstruktion des Christentums“ zu betreiben, wie ein Titel Nancys lautet.

Und diese Dekonstruktion läuft darauf hinaus, die Formel „Gott ist tot“ als ein urchristliches Motiv zu erkennen. Weil der eine Gott im Singular nur metaphorisch anderswo „lebt“, hängt der eine Gott immer am „Hierselbst“ dessen, der ihn ausspricht. Und weil es der menschliche Körper ist, der Gott ausspricht, ist Gott von Anfang an an die Endlichkeit gebunden. Indem das Christentum den Tod als Wahrheit des Lebens gedeutet hat, hat es den Tod damit ins Leben selbst hineingezogen. Der Tod ist kein Außen des Lebens, und damit hat man ein Grundmotiv Nancys beschrieben.

Lebendige Körper haben nur ein Leben, das endlich ist

Die Welt hat für ihn kein Außen, und die in ihr lebenden Körper teilen sich nicht in ein Innen und Außen. Die lebenden Körper sind mit ihren Öffnungen und Ausscheidungen immer beides: Innen und Außen und damit „in die Welt gesetzt, die sie selbst sind“. Das Leben der Körper ist einfach da, ohne Berechtigung und vor allem: ohne jeden Grund. Am Grund von Nancys Denken steht eine schlichte Tatsache: die lebendigen Körper haben nur ein Leben und dieses Leben ist endlich.

Das gilt auch für die berühmte Katze, denn Nancys Körpertheorie schließt Pflanzen und Tiere mit ein. In seiner Theorie des Körpers, entfaltet im Buch „Corpus“, beschreibt er einen Körper mit seinen Unwägbarkeiten, zufälligen Wucherungen und Affekten und ihren gedanklichen Verarbeitungen so, dass der Körper-Seele-Dualismus nicht überwunden werden muss, weil er in der Beschreibung bereits aufgelöst wird.

Es handelt sich um einen Körper, der singulär, einmalig ist, aber ohne Grund in der Welt, und dieser Körper merkt bei dem Versuch, sich einen Sinn zu geben, ziemlich schnell, dass Sinn nur erschaffen werden kann, wenn man ihn mit einem anderen teilen kann.

„Singulär plural sein“ heißt Nancys Formel für diesen Vorgang der Verknüpfung von Ich und Wir. Dass Nancy mit der Beschreibung der wellenden Bewegungen zwischen Ich und Wir zum großen Integrator des aktuellen Denkens werden konnte, wird mit „seinem“ Körper zusammenhängen. Seit 1992 lebte er nach einer Transplantation mit dem Herz eines anderen.

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