Ruhtriennale unter neuer Intendanz: Solo nicht ohne meinen Dildo

Die Ruhrtriennale hat eine neue Intendanz. Der Untergang in den Inszenierungen von Barbara Frey und Florentina Holzinger ist einmal leise, einmal laut.

Szene aus dem Stück

Still und stimmig ist die Iszenierung von „Der Untergang des Hauses Usher“ von Barbara Frey Foto: Matthias Horn

Barbara Frey kam zum Theater über den Umweg der Musik, der vielleicht gar kein Umweg ist. Denn sie begann als Drummerin in einer Rockband und schrieb Songtexte. Rhythmusgefühl ist im Sprechtheater eine häufig weit unterschätzte Gabe.

Frey gilt nicht als Bilderstürmerin, sondern steht für werkgerechte, präzise und musikalische Literaturadaptionen. Unaufgeregtes Schweizer Understatement ging ihrem Auftakt als neue Intendantin der Ruhrtriennale schon voraus, endlich einmal wurde nicht vorab ein Schwall theoretisierenden Konzept-Geschwurbels entfesselt, keine großsprechenden Reden, kein staatstragendes Tamtam. Stattdessen ein Konzert im Morgengrauen und dann „Der Untergang des Hauses Usher“.

Der Bühnenbildner Martin Zehetgruber hat die hohen Fenster der Maschinenhalle Zweckel lückenhaft mit Brettern vernagelt, sinkendes Abendlicht dringt noch dämmernd in den Raum. Rainer Küng taucht die mit Instrumenten, Stühlen und Büchern karg möblierte Szene in magisch-schummriges Licht. Es beginnt mit einem minimalistisch hämmernden Solo zweier Pianisten (Tommy Hojsa und Josh Sneesby), die eine immer gleiche Akkordfolge kaum merklich vom Diskant in tiefe Basslage verschieben.

In monoton rhythmisierter Slow Motion bewegt Frey dann ihr Personal aus sechs BurgschauspielerInnen (der Abend ist eine Koproduktion mit dem Wiener Burgtheater). In schwarzer Trauerkleidung schiebt sich die Truppe eng beieinander nach vorne. Dann beginnt eine Folge suggestiv aneinander gereihter Poe-Texte, die nicht nur von der düsteren Geschichte der kranken Zwillinge Roderick und Madeline und der Rückkehr ihrer Schwester aus dem Grab erzählen, sondern noch Weiteres aus dem Gesamtwerk Poes hinzuziehen.

Gehypte Extremperformerin

Das fabelhafte Ensemble zelebriert dieses Zeitlupentheater mit stummfilmhaft überzeichneter Expression. Das ist hoch virtuos gemacht und setzt nicht auf laute Schauereffekte, sondern hält konsequent die bedrohliche Stimmung eines namenlosen, nicht fassbaren Grauens, für das es keine Bilder gibt, weil es im Inneren wohnt. Die Stilisierung hat durchaus auch etwas Pathetisches in ihrer Dauerüberspanntheit, dennoch hat der Abend etwas Dringliches. Ob mit der Ausstellung lähmender Dauerangst Aktuelles gemeint ist, gar unser diffuses Krisengefühl, bleibt offen.

Als brüllend laute Antithese von Freys fein gezeichneter Arbeit zeigt sich dann erwartungsgemäß die neue Show der gehypten Extremperformerin Florentina Holzinger. „A divine comedy“ nimmt bestenfalls assoziativ Bezug auf Dantes „Göttliche Komödie“ und fährt in der Kraftzen­trale des Duisburger Landschaftsparks eine knapp zweistündige Nummernrevue ab, die von einer Rahmenhandlung nur dürftig zusammengehalten wird.

Eingestimmt von einer Handvoll selbstverständlich nackter Musikerinnen (elektronisch verstärkte Geigen, Cello, E-Piano), denen jeweils ein umgeschnalltes Skelett über die Schulter guckt, schickt eine Hypnose-Entertainerin eine Sechsergruppe (angeblich aus dem Publikum) in Fake-Hypnose und erweckt eine junge Frau (aus Holzingers Truppe) zu Dante, die sich dessen rote Kappe und Umhang greift und umgehend ihre Flatulenzen thematisiert. So lässt sie denn einen fahren, statt den berühmten Vers zu zitieren „Lasst, die Ihr eintretet, alle Hoffnung fahren“. Witzig? Geht so.

Es folgt ein Ballett der Dixie-Klos, dann nimmt langsam die Show der 22 Performerinnen an Fahrt auf. Alle sind nackt, wie es die Marke Holzinger verspricht, verschiedene Gewichts- und Altersklassen sind korrekt abgedeckt, es sind athletische Hürdenläuferinnen dabei, aber auch ältere, untrainierte Semester, sowie die über siebzigjährige Tänzerin Beatrice Cordua. Sie spielt eine an Parkinson erkrankte Tänzerin, die im Caddy hereinfährt und ihre oder eine Tänzerinnen-Lebensgeschichte erzählt.

Ein Dildo-Masturbationssolo

Das sind die sogar ansatzweise berührenden Momente dieses Abends, der sich in zähen Wiederholungen verliert und an seiner banalen Tonspur krankt, die aus der Welt der Hochkultur nur die abgenutztesten Motive zu zitieren weiß: Orffs „Carmina Burana“, den ikonischen Beginn von Beethovens Fünfter und den orgiastischen Schluss von Strawinskys „Sacre“ zum echten (?) Höhepunkt eines Dildo-Masturbationssolos.

Ansonsten spult die Nummernrevue ab: Immer wieder rauscht eine Cross-Maschine herein, Hürdenläuferinnen nehmen wieder und wieder Anlauf (ja ja, die Zurichtung weiblicher Körper), dann wird ekstatisch Holz gehackt, eine Body-Painting-Nummer wird zur großen Suhlerei. Frauenleiber rollen von Treppen herab und Dante veranstaltet ein kleines Kettensägenmassaker.

Die Produktion, die von der Ruhr­triennale aus auf die übliche Festivaltour geht, war als radikaler Totentanz geplant. Die Radikalität erweist sich jedoch als Behauptung, dem Abend fehlen Tempo, Dramaturgie, Stringenz und vor allem echte Härte. Wenn hier eine radikal-feministische Haltung versteckt ist, dann bestenfalls in bloß angedeuteter Selbstironie. 2007 inszenierte Jan Fabre bei der Ruhrtriennale einen furiosen Metamorphosen-Abend, der am Ende eine Lastwagenladung zertretener Blumen und ein betäubtes Publikum zurückließ. Damals waren auch Nackte auf der Bühne, niemand fand etwas dabei, während nun in Duisburg – was sicher als Erfolg gewertet wird – einige Abwanderungen zu bemerken waren. Großer Jubel der Szene-Entourage, höflicher Beifall vom Rest.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.