Speicherung von CO2 im Boden: Hoffen auf die Müllabfuhr

Die unterirdische Speicherung von Kohlendioxid war in Deutschland bisher tabu. Dabei setzt vor allem die Zementindustrie auf diese Technik.

Servictechniker befuellen am 9. September 2008 im Kohlekraftwerk Schwarze Pumpe in Spremberg einen Tankwagen mit fluessigem Kohlendioxid, dem Abbauprodukt der Kohleverbrennung.

Ein Tankwagen wird mit CO2 befüllt, das in einer Pilotanlage unterirdisch gespeichert wird Foto: Matthias Rietschel/ap

BERLIN taz | Gefühlige Musik, eine grüne Landschaft bei Sonnenuntergang. Dann rauchende Schlote eines Kraftwerks und ein Sprecher, der vor dem Klimawandel warnt. Schließlich ein Bild des ruhigen Meers und eine Animation, wie das CO2 ganz einfach in 1.500 Metern Tiefe im Meeresboden verschwindet. „Sind Sie bereit für diese Reise?“, fragt die sanfte Stimme. „Wir sind es!“.

Das ist das Werbevideo des „Greensand“-Projekts, das in der dänischen Nordsee einen großen Teil der Klimasorgen des skandinavischen Landes begraben will: CO2 aus Kraftwerken, Heizungen und Industrieanlagen soll ab 2025 eingeschlossen werden, bis zu 8 Millionen Tonnen im Jahr, ein Viertel der dänischen Emissionen.

Und das mit deutscher Hilfe: Diese Woche verkündete der Kasseler Energiekonzern Wintershall/Dea, man gehe in einem Konsortium dafür „in die Pilot-Injektionsphase“: Die Verträge sind gemacht, damit ab Ende nächsten Jahres das erste Klimagas probehalber in das ausrangierte Ölfeld Nini West in der Nordsee geleitet werden kann: „Sicher, kosteneffizient und umweltverträglich“ werde das Projekt laufen, verspricht Wintershall/Dea.

„Carbon Capture and Storage“ (CCS), das Abscheiden und Speichern von CO2, wird vor allem in der Industrie konkret geplant, Pilotprojekte werden gebaut, Gesetze angeglichen.

Die Zementindustrie rüstet auf

Politik und Umweltverbände halten das Thema vorsichtig aus dem Wahlkampf heraus, aber allen ist klar: Die neue Bundesregierung wird sich damit befassen müssen, wie ein Teil von unvermeidbaren CO2-Emissionen aus der Wirtschaft, vor allem der Zementproduktion, unschädlich gemacht werden soll. CCS, derzeit in Deutschland noch verboten, wird zumindest in der Industrie zu einer tragenden Säule der Klimaschutzstrategie. 2019 sagte Kanzlerin Angela Merkel, das Ziel der Klimaneutralität bedeute, „dass man CO2 auch speichern kann“.

Vor allem die Zementindustrie rüstet auf. Mit gutem Grund: In ihrer Produktion entsteht hochreines Kohlendioxid, das im Prozess bislang kaum zu vermeiden ist: pro Tonne Zement 0,8 Tonnen CO2. Anders als in Kraftwerken ist das Klimagas im Zementwerk leicht abzuscheiden. Es einzufangen, per Pipeline oder Schiff zu ausgepumpten Gasfeldern zu bringen und dort zu verpressen ist technisch machbar und bei Preisen von geschätzten 80 bis 110 Euro pro Tonne CO2 bald auch rentabel, wenn die CO2-Zertifikatspreise weiter steigen. Dazu gibt es Forschungsgelder, und die Industrie hofft auf „Klimaverträge“, die eventuelle Mehrkosten tragen könnten.

Die Hoffnung auf die CO2-Müllabfuhr zumindest in diesem Bereich ist weit verbreitet: Viele Studien zur Klimaneutralität rechnen damit, die „Klimapfade“ des Bundesverbands der deutschen Industrie ebenso wie das Gutachten für Fridays for Future, das schon 2035 bei Nullemissionen sein will. Die Studie „Klimaneutrales Deutschland“ der Denkfabrik Agora Energiewende und Stiftung Klimaneutralität kalkuliert konkret mit 73 Millionen Tonnen, 5 Prozent der deutschen Emissionen, die 2045 so unter die Erde gebracht werden müssten. Die Akademie für Technikwissenschaften fordert eine schnelle Debatte des Themas, das in Deutschland seit einem Pilotprojekt im brandenburgischen Ketzin und einem Verbot der Verklappung von CO2 in deutschen Böden seit 2012 eigentlich tot war.

Jetzt ist es wieder da. Im Juni ebnete die Bundesregierung den Weg, CO2 zur Speicherung ins Ausland zu bringen. Eine entsprechende Änderung des Londoner Protokolls zum grenzüberschreitenden CO2-Transport wurde ratifiziert. Auch in den Planungen der EU spielt CCS eine Rolle, sie treibt Pilotprojekte voran. Und der jüngste Bericht des Weltklimarats IPCC hat wieder gezeigt, dass die ehrgeizigsten Ziele, den Temperaturanstieg bei unter 2 Grad zu halten, in den meisten Rechenmodellen nur mit massivem Einsatz von „negativen Emissionen“ erreichbar sind – dem Pflanzen von Bäumen oder eben der industriellen Speicherung von CO2 im Boden.

Umweltverbände gespalten

Die wird in Europa an vielen Orten schon konkret geplant: In Dänemark, Norwegen und den Niederlanden arbeiten Firmen wie Wintershall/Dea an kommerziellen Anwendungen. Konzerne wie HeidelbergCement kündigen an, ihre Werke mit Demonstrationsanlagen auszustatten. Am Standort Hannover soll das Projekt LEILAC-2 bis 2025 jedes Jahr 20 Prozent des CO2, etwa 100.000 Tonnen, abscheiden. Und im Hafen von Rotterdam entsteht eine Pipeline, um das CO2 aus der Industrie vor der Küste zu versenken.

Weltweit laufen CCS-Pilotprojekte auf Hochtouren: Die Internationale Energieagentur IEA und viele WissenschaftlerInnen halten Klimaneutralität ohne CCS für „praktisch unmöglich“. Die IEA zählt mehr als 30 Projekte mit einer Gesamtinvestition von 27 Milliarden Dollar. Vor allem in den USA, China, Südkorea und Australien, aber auch in der EU: Die Kommission geht davon aus, dass 2050 in Europa etwa 550 Millionen Tonnen CO2 gespeichert werden müssen – im Wald oder über CCS. Deshalb gibt es Geld dafür im EU-Klimagesetz, über Forschungsprogramme und im Investitionsfonds des Emissionshandels. Das Vorzeigeprojekt für CCS ist seit 1996 das norwegische Projekt „Sleipner“. Dort verpresst der staatliche Ölkonzern Equinor CO2 in einem ausgedienten Gasfeld – bislang laut Untersuchungen weitgehend ohne Probleme. Am häufigsten findet CCS aber bisher bereits in der Öl- und Gaswirtschaft unter dem Kürzel EOR oder EGR Anwendung: Das Gas wird in alternde Reservoirs gepresst, um noch die letzten Gas- und Ölreserven auszubeuten. Das CO2 verschwindet damit zwar, macht aber neue fossile Brennstoffe möglich.

In Deutschland ist CCS seit 2012 praktisch verboten – die Umweltverbände liefen damals Sturm gegen befürchtete Umweltgefahren für das Grundwasser, einen Austritt des Gases und einen möglichen Ausweg, die Kohleverstromung auf diese Weise „grün“ zu rechnen. Diese Gefahr ist mit dem Kohleausstieg gebannt. Jetzt fürchten allerdings manche Experten, CCS könne benutzt werden, um fossiles Gas „grün“ zu rechnen.

Offen bleiben soll der CCS-Notausgang aber als Export von CO2 in alte Gasfelder in der Nordsee für die deutschen Zementwerke. Experten rechnen sogar schon damit, aus CCS tatsächlich eine „Kohlenstoffsenke“ zu machen – gewinnt man die Energie für den Prozess aus Biomasse, könnte das Verfahren in der Summe theoretisch mehr Treibhausgase speichern als ausstoßen – schon ist von „Gutschriften“ dafür die Rede, die dann auch handelbar wären.

Die Umweltverbände sind bei CCS gespalten. „Das ist keine Technologie, die wir akzeptieren“, sagt Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser. „Die Risiken haben sich nicht verändert. Wir müssen darauf setzen, das Potenzial für die CO2-Speicherung in Wäldern und Böden zu erhöhen.“ Auch die Deutsche Umwelthilfe lehnt CCS für heute ab. „Das ist nicht mehr als ein Notnagel, wichtiger ist es, die natürlichen Senken zu stärken und eine andere Wald- und Landwirtschaftspolitik zu machen“, sagt Klimaexperte Constantin Zerger. „CCS darf nicht die Suche nach besseren Lösungen behindern, aber für die Emissionen der Industrie kann man es nicht für alle Zeiten ausschließen.“

Der WWF wiederum steht zum Einsatz von CCS für die letzten Prozent: „Es ist nicht nachzuvollziehen, dass man sich komplett gegen CCS wendet, wenn der UN-Klimarat IPCC in seinem 1,5-Grad-Bericht diese Technik in großem Stil zugrunde legt. … Wir werden mittel- und langfristig CCS brauchen – vor allem für die nicht vermeidbaren Emissionen der Industrie.“ Die Bedingungen für die Anwendung von CCS müssten jetzt diskutiert werden – „sonst kommen wir zu der skurrilen Situation, dass die Industrie auf diese Weise Klimaschutz macht und die Umweltschützer nicht mit am Tisch sitzen“.

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