Hungrig im Supermarkt: Voller Bauch kauft nicht gern ein

Hungrig durch den Supermarkt zu wandern, halten die meisten Menschen für anstrengend. Für unseren Autoren ist es das Paradies auf Erden.

Hände schieben einen übervollen Einkaufswagen

Man muss seine Lustströme über das persönliche Mühlrad leiten, sie für sich selbst produktiv machen Foto: NomadSoul/Panthermedia/imago

Ob sie zuerst die Nägel der linken oder der rechten Hand schneiden, besprechen Charlotte Gainsbourg und Stellan Skarsgård in Lars von Triers Fickfilm „Nymphomaniac“ also ob sie zuerst die Arbeit oder das (natürlich auch mit viel Schmerz verbundene) Vergnügen wählen. Aber was ist mit den Fußnägeln? Dem Ohrenschmalz? Dem Kniekehlenschorf?

Sie sehen: Ich bin ein – wenn auch der Entropie zugeneigter – Vertreter der protestantischen Arbeitsethik. Aber auch mein Tag hat nur 1.440 Minuten. Zur Lebensmittelbesorgung komme ich kaum, und wenn, dann spätabends. So spät ist es manchmal, dass man schon hört, wie Bärchen und Stärchen gähnen und überlegen, ob sie vor dem Schlaf noch mal streiten sollen. In der Ferne surrt der Diamantschleifer, der neue Geflügelwurstscheiben aus Johannes B. Kerners Gehirn schneidet. Der Mond geht auf.

Gegessen habe ich da natürlich auch noch nichts. Wann auch? Es ist ja immer was los. Und doch brauche ich geeignetes Material zur Stopfung meiner inneren Gans. Nudeln, Öl, Gemüse, Paprika, Schnaps, viel Salz und etwas Erde. Die Körperpflanze soll schließlich gedeihen; die Proteasen brauchen Stoff; der Magengletscher kalbt. Auf geht’s in den Supermarkt.

Ich schlendere rein, kann vor Tageserschöpfung kaum mehr einen Gedanken davon abhalten, schwindelig durch den Kopf zu rasen, und werde geflutet mit Food. Hungrig einzukaufen halten die meisten Menschen für anstrengend, dumm, ja geradezu ungenießbar. Für mich ist es das Paradies auf Erden! So ziemlich alles sieht gut aus, anregend, lecker!

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Ich lade mir den Wagen voll, errichte Erbsenberge, greife zu fiesen Trickangeboten, als wäre ich Sparkassen-Vorstand auf spending spree, lecke teure Jogurts an, setze mich in Meeresfrüchte-Eimer, und mir wird wieder flackernd klar, wie toll das Leben ist. Ungefähr siebzig Käses schwerer stehe ich vor der Kasse, bezahle und tapere glücklich nach Hause. Fressung folgt auf den Punkt. Danach nie wieder aufstehen; nach einer Stunde: Lanz; nach zwei Stunden: Bett. Und das Beste: Der Kühlschrank ist voll.

Es ist ein immer wieder von den Sozialkundelehrern und Verhaltensforscherinnen dieser Welt verbreiteter Irrtum, man müsse dem Warenfetisch irgendwas entgegensetzen und versuchen, sich möglichst rational mit den Angebotsmassen auseinanderzusetzen, die uns niederwalzen. Kauft nur, was ihr braucht, Kinder! Zählt euer Wechselgeld, Kinder! Wascht eure Brotscheiben, Kinder!

Ich dagegen denke: Man muss seine Lustströme über das persönliche Mühlrad leiten, sie für sich selbst produktiv machen. Und die Nägel? Gibt’s zum Nachtisch.

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Seit 2015 bei der taz, zunächst als Praktikant, dann als freier Autor und Kolumnist (zurzeit: "Ungenießbar"). Nebenbei Masterstudium der Ästhetik in Frankfurt am Main. Schreibt über Alltag, Medien und Wirklichkeit.

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