Zu wenige Betten!
Oder doch eher zu viele?

Beides ist wahr – und niemand hat wirklich einen bundesweiten Überblick über die Situation der Krankenhäuser. Zahlen, Daten, Fakten zu Pflegepersonal, Verweildauer und Intensivbetten

Die Spritzenpumpe eines sedierten Patienten wird justiert

Nach dem Verlassen des Patient:innen-zimmers müssen die Hände gründlich desinfiziert werden

Von Hannes Koch

Intensivpflege im internationalen Vergleich

33,9 Betten für Intensivpflege pro 100.000 Ein­woh­ne­r:in­nen standen in Deutschland im Jahr 2017 zur Verfügung, heißt es in einer Studie der Industriestaaten-Organisation OECD – keines der anderen untersuchten Länder hatte in einem vergleichbaren Zeitraum mehr, darunter Österreich mit 28,9, die Vereinigten Staaten (25,8), Frankreich (16,3), Dänemark (7,8) oder Irland (5). Die vorherrschende Meinung hierzulande besagt, dass es genug Intensivbetten in Deutschland gebe, unter anderem die Deutschen Krankenhausgesellschaft und die Gewerkschaft Verdi sehen das so. Die globalisierungs- und privatisierungskritische Organisation Attac beklagt hingegen einen Mangel. Aktuell stehen rund 23.000 Intensivbetten mit Personal kurzfristig zur Verfügung, etwa 10.000 weitere werden in Reserve gehalten. Um sie zu aktivieren, müsste Personal aus anderen Abteilungen der Krankenhäuser abgezogen werden.

Last und Überlast

Knapp 5.800 Coronapa­tien­t:in­nen lagen im Januar 2021 an einem Tag gleichzeitig auf den Intensivstationen deutscher Krankenhäuser. Ein höherer Wert wurde bisher nie erreicht. Die Zahl klingt angesichts der Gesamtzahl der Betten überschaubar, doch ist zu bedenken: Auch für die Behandlungen unter normalen Umständen, etwa für Schlaganfälle oder Unfallopfer, sind viele Intensivbetten nötig. Und so waren im Januar 2021 gut 14.500 Intensivbetten mit anderen Pa­ti­en­t:in­nen belegt und somit nur noch rund 2.700 Betten frei – dazu kommen allerdings noch die 10.000 aktivierbaren Reservebetten.

5.000 Betten vermisst

Bis zu 5.000 Intensivbetten sind zwischen Sommer 2020 und heute aus der Statistik verschwunden. Darüber, warum das so ist, wird gestritten. Kri­ti­ke­r:in­nen sagen, dahinter verberge sich die nachträgliche Korrektur einer unnötigen Überversorgung. Die Deutsche Vereinigung für Intensivmedizin (Divi) begründet den Rückgang unter anderem mit Personalmangel auf den Stationen während der zweiten Coronawelle. Außerdem seien Kinderbetten, die für Erwachsene nicht geeignet waren, herausgerechnet worden. Möglicherweise hat der Rückgang auch damit zu tun, dass Krankenhäuser Betten in die Notfallreserve verschoben haben, um dafür vom Bundesgesundheitsministerium eine Freihaltepauschale zu bekommen. Der Verband der gesetzlichen Krankenkassen argwöhnt, dass womöglich auch Betten finanziert wurden, die es gar nicht gab.

Pfle­ge­r:in­nen unter Druck

Die Zahl der behandelten Menschen in deutschen Krankenhäusern ist zwischen 1991 und 2019 um gut 30 Prozent gestiegen, die des Pflegepersonals allerdings nur um 10 Prozent. Insgesamt arbeiteten 2019 rund 460.000 Pfle­ge­r:in­nen in hiesigen Kliniken; zwischen 13.000 und 17.000 Stellen sind laut Arbeitsagentur und Bundesregierung nicht besetzt. Der Gewerkschaft Verdi zufolge müssten bis zu 80.000 Pfle­ge­r:in­nen zusätzlich eingestellt werden, die Linkspartei nennt 100.000 fehlende Fachkräfte. Die Gewerkschaft hält die von der Bundesregierung festgelegten Untergrenzen für die pro Pa­ti­en­t:in eingesetzten Pfle­ge­r:in­nen für zu niedrig. Unter anderem Verdi und Divi beklagen die zu niedrigen Gehälter. Die Überlastung des Personals hängt auch damit zusammen, dass die Arbeits­zeiten und Schichtpläne extrem sozial- und familien­unfreundlich sind.

Ein Wildwuchs aus weniger und mehr

Gab es 1991 über 2.400 Krankenhäuser in Deutschland, waren es 2019 noch 1.900 – nach anderer Zählweise nur 1.400. Etwa 40 Prozent davon sind in Privatbesitz, Tendenz steigend. Die Menge der Betten sank um etwa ein Viertel auf knapp 500.000, die Verweildauer der Pa­ti­en­t:in­nen in den Krankenhäusern ging auf die Hälfte zurück. Die Zahl der Ärz­t:in­nen wuchs auf das Doppelte. Die Krankenhausplanung liegt in der Hand der Bundesländer. Ex­per­t:in­nen sagen, es herrsche Wildwuchs, niemand habe einen bundesweiten Überblick.

Zentralisiert in die Zukunft

Der einflussreiche Regierungsgutachter und Medizinprofessor Reinhard Busse (TU Berlin) hält etwa 600 Krankenhäuser bundesweit künftig für ausreichend. Im Normalfall stünde heute ein Drittel der vorhandenen Betten leer, argumentiert er. Das überdimensionierte Angebot versuche sich eine Nachfrage zu schaffen, auch in Gestalt unnötiger Behandlungen. Viele Ex­per­t:in­nen sehen das ähnlich, darunter die der Bertelsmann Stiftung. Die ­Tendenz ihrer Empfehlungen: weniger Häuser, weniger Betten, Zentra­lisierung in großen Einrichtungen, mehr ambulante Behandlungen. Dem entgegen steht die Frage, ob die Bevölkerung auf dem Land es sich bieten lässt, wenn Krankenhäuser in ihrer Nähe schließen. Um einen Kahlschlag zu vermeiden, schlagen die Gesundheitsökonomen Stephan Balling und Björn Maier vor, einen bundesweiten Verbund kommunaler Krankenhäuser zu gründen.