Israel und die Olympischen Spiele: Gold am Schabbat

Israel war in Tokio so erfolgreich wie noch nie in seiner Geschichte. Auch deswegen wird über die Macht der Religiösen im Land diskutiert.

Eine Frau hält ein Plakat hoch, dass die israelische Olympiasiegerin Linoy Ashram zeigt

Olympiasiegerin Linoy Ashram in Tokio nach der Siegerehrung Foto: Mike Blake/ap

Dass sich ein Politiker entschuldigen muss, weil er als Erster einer Olympiasiegerin gratuliert hat, passiert nicht so oft. Benjamin Netanjahu musste das tun. Der israelische Ex-Regierungschef hatte gewohnt staatstragend als Erster bei Linoy Ashram angerufen. Die 22-jährige rhythmische Sportgymnastin hatte bei den Olympischen Spiele in Tokio Gold im Einzel gewonnen. Und Netanjahu hatte tatsächlich noch vor dem Minister- und dem Staatspräsidenten gratuliert – und freute sich über den Coup, dass er sich immer noch als derjenige präsentieren kann, ohne den in Israel nichts läuft, schon gar kein olympischer Erfolg.

Aber dann gab es den Shitstorm: Netanjahu hatte nämlich noch während des Schabbats telefoniert, des wöchentlichen Ruhetags, der zwar säkularen Is­rae­lis recht egal ist, der aber von einem wie Netanjahu, dessen Karriere auf Bündnissen mit Orthodoxen aufgebaut ist, schon eingehalten werden sollte. Einer von Netanjahus politischen Verbündeten, Belazel Smotrich von der rechtsextremen Partei Religiöser Zionismus, beschimpfte Netanjahu prompt, dieser habe mit seinem Anruf den Schabbat „entweiht“.

Die Olympischen Spiele in Tokio waren für Israel die erfolgreichsten seiner Geschichte: Vier Medaillen, davon zwei goldene, hat es in seiner Geschichte noch nie gegeben. Platz 39 in der Nationenwertung, punktgleich mit Irland und noch vor Rumänien, Österreich, Argentinien oder Südafrika. Linoy Ashram ist zudem die erste Frau, die für Israel Gold gewonnen hat.

Auch der andere Olympiasieger von Tokio, der Turner Artem Dolgopyat, der die Bodenübung gewann, hat für eine politische Debatte gesorgt. Dolgopyat stammt aus der Ukraine, 2012 wanderte seine Familie nach Israel ein. Seine Mutter ist keine Jüdin, aber die Großmutter väterlicherseits. Als eine der Ersten, die sich nach dem Olympiasieg meldeten, kritisierte die Mutter des Turners, Angela Bilan, die Macht der Religiösen im Land. „Damit ich Enkelkinder bekomme, muss er doch verheiratet sein“, sagte sie in einem Radiointerview, „das Land lässt ihn aber nicht heiraten.“ Eine Zivilehe gibt es in Israel nicht, zuständig ist das orthodoxe Oberrabbinat, und das erkennt Dolgopyat nicht als Juden an. Was viele säkulare Israelis machen, im Ausland heiraten, funktioniert in Coronazeiten nicht so gut. Tourismusminister Yoel Razvozov schaltete sich ein: Es gehe nicht an, dass „Israels Stolz auf dem Medaillentreppchen zweitklassig unter der Chuppa“, dem Baldachin, unter den sich bei einer jüdischen Hochzeit die Brautleute stellen, behandelt werde. Dolgopyat selbst ist die Debatte, die seine Mutter angestoßen hat, unangenehm. Es sei seine Privatsache, erklärte er. „Ich glaube, es ist nicht passend, dies vor dem gesamten Land zu erörtern.“

Auch die Fußballer kicken am Schabbat

Doch es bleibt der Eindruck, dass es der nach langem Daraufhinarbeiten sich endlich einstellende Erfolg Israels im Weltsport ist, der eine Abwendung von der Macht der Re­li­giö­sen bewirken könnte – oder zumindest dabei mithilft. Dass ein Festhalten etwa an den Schabbatvorschriften nicht zum Weltsport passt, hatte das Internationale Olympische Komitee noch kurz vor den Spielen der israelischen Marathonläuferin Bea­tie Deutsch klargemacht. Die orthodoxe Jüdin hatte eine Verschiebung des Wettbewerbs von Samstag auf Freitag gefordert. Und wenn Ende August die israelische Profifußballliga startet, wird sie das wieder einmal am Samstag tun. Das ist immer wieder umstritten, aber derzeit lautet die Planung so.

Turnolympiasieger Artem Dolgopyat ist kein Jude und darf in Israel nicht heiraten

Diese innergesellschaftlichen Streitereien, die den israelischen Sport ereilen, sind aber nicht die einzigen politischen Probleme. Gerade der Olympiasieg von Linoy Ashram sorgte für einen bemerkenswerten Konflikt mit Russland. Die russische Weltmeisterin in der rhythmischen Sportgymnastik, Dina Averina, wurde nämlich nur Zweite und schimpfte: „Die israelische Gymnastin hatte einen Fehler gemacht und dennoch die höchste Wertung erhalten, das ist nicht fair.“ Dieser Ansicht schlossen sich das Russische Olympische Komitee und sogar das Außenministerium an. „Die ganze Welt hat die Ungerechtigkeit gesehen“, twitterte das Olympiakomitee. Und die Sprecherin des Moskauer Außenamtes schimpfte über einen „russophoben Krieg gegen den Sport“, der sich in dieser Wertung zeige.

Dass die Attacken von außen helfen, die innenpolitischen Debatten über die religiösen Vorschriften zu befrieden, gilt als wenig wahrscheinlich. Schließlich hat Linoy Ashram ihren großen Erfolg ja tatsächlich am Schabbat errungen. Kritik, wie sie der rechtsextreme Politiker Smotrich vorträgt, wirkt da eher wie ein Rückzugsgefecht: „Es ist traurig, dass es hier diejenigen gibt, die Medaillen nutzen, um über den Schabbat und diejenigen, die ihn halten, zu lachen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.