Wahlrecht ohne deutschen Pass: Exklusive Demokratie

Die Arbeitskraft von Mi­gran­t:in­nen wird ausgebeutet – wählen dürfen viele aber nicht. Warum die Demokratie eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird.

Wahlplakat der SPD auf einem Mittelstreifen in Berlin

Wahlkampf 2021:Nicht jede/r kann mitmachen Foto: Stefan Zeitz/imago

Am Wochenende bin ich vom Wedding nach Kreuzberg spaziert, das Gesprächsthema mit der Begleitung: Wahlplakate, viele langweilige, einige peinliche, wenige witzige, und eines, das mich berührt hat: ein Wahlplakat der Linken auf Türkisch: „Kiracıyı korumak“ – „Mieter schützen“. Auch wenn man das Anliegen durchaus hätte eleganter formulieren können, habe ich mir gedacht: Schön, ein Zeichen des Fortschritts!

Gleichzeitig habe ich gedacht: Vielen Leuten, die sich von diesem Wahlplakat angesprochen fühlen könnten, wird die fortschrittliche Plakatierung wenig bringen. Wenn sie keinen deutschen Pass haben, dann dürfen sie in Deutschland nicht wählen. Ich habe auch an meinen Vater gedacht, und viele andere wie ihn: Knapp drei Millionen türkeistämmige Menschen leben in Deutschland, etwa die Hälfte hat die deutsche Staatsbürgerschaft und ist wahlberechtigt. In Berlin dürfen 789.000 Erwachsene bei insgesamt knapp 2,5 Millionen Wahlberechtigten nicht wählen, weil sie keine deutsche Staatsangehörigkeit haben – weder bei der Bundestagswahl, noch bei der Abgeordnetenhauswahl, auch nicht beim Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen.

Weil ich das krass finde, vor allem in einem Land, das sich in steter Abgrenzung zu undemokratischen Zuständen weltweit seiner Demokratie rühmt, habe ich das Plakat fotografiert und auf Twitter geteilt. „Jetzt bräuchten mein Vater und viele andere wie er, die in diesem Land jahrzehntelang geschuftet haben, noch das passende Wahlrecht“, habe ich dazu geschrieben.

Neben viel Zuspruch kam viel Ablehnung: Ob mein Vater denn kein Deutsch könne? Warum er denn keine deutsche Staatsbürgerschaft habe? Warum er sich gegen das Deutschsein entscheide?

„Es wurden Arbeiter gerufen, doch es kamen Menschen an“

Natürlich gibt es triftige Gründe dafür, dass ein Mensch in Deutschland lebt und trotzdem keine deutsche Staatsbürgerschaft hat. Sie sind bürokratischer, gesetzlicher, politischer Natur. Und was Sprachkenntnisse angeht: Schon mal täglich acht Stunden in der Fabrik gestanden und dann noch eine Sprache gelernt?

Aber auch wenn sich Menschen in Deutschland bewusst gegen die deutsche Staatsbürgerschaft entscheiden: Warum sollen sie ihre Ver­tre­te­r:in­nen nicht wählen dürfen, wenn sie hier leben, arbeiten, Steuern zahlen? Gemessen auch an den eigenen Ansprüchen dieser Demokratie sehe ich keine guten Gründe dafür, auch nicht in einer noch nationalstaatlich geprägten Welt.

Das werden viele in Deutschland aber anders sehen. Und das hat historische Gründe. Menschen mit Migrationsgeschichte wurden in diesem Land vor allem als auszubeutende Arbeitskraft gesehen. Und sie werden das zum Teil immer noch. „Es wurden Arbeiter gerufen, doch es kamen Menschen an“, hat der türkische Musiker Cem Karaca 1984 in seinem Album „Die Kanaken“ über die Arbeitsmigration gesungen.

Mit Blick auf das gegenwärtige Wahlrecht denke ich: Die Zeile hat auch 2021 noch Geltung.

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Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.

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