berliner szenen
: Unter Aufsicht von Kindern

Seit der Entführung des Bloggers sieht es da zappenduster aus. Ich kann dir sagen: Die Stimmung im Land kippt. Wir müssen das Schlimmste befürchten.“ Ich sehe den Mann, der diese Sätze mit gewichtiger Stimme in sein Handy spricht und sich von den bastelnden Kindern um ihn herum kein bisschen aus der Ruhe bringen lässt, irritiert an. Es ist Sonntag. Wir befinden uns auf einer Kinderveranstaltung. Wer führt da groß Telefonate? Dazu inmitten der Gruppe Windfänger bastelnder Kinder? So laut wie er telefoniert, scheint er sich selbst sehr wichtig zu nehmen. Vielleicht handelt es sich bei dem Telefonat um einen Notfall. Warum aber führt er ein wichtiges Telefonat dann vor allen Leuten und nicht irgendwo in einer ruhigen Ecke oder zumindest aus drei Meter Abstand? Er erwidert meinen Blick, ohne eine Miene zu verziehen, ganz so, als sehe er durch mich hindurch, und spricht weiter. Die anderen Eltern ignorieren ihn. Die Kinder sind in ihre Arbeit vertieft und verstehen ohnehin kein Wort.

Der ganze Tisch erfährt alles über seine politischen Einschätzungen. Seine laute Stimme unterhält auch noch den Nachbartisch. Nach einer Weile wird es einer der Pädagoginnen des Familienzentrums zu bunt. Sie kommt an den Tisch und bittet ihn, sein Gespräch zu beenden oder woanders weiterzuführen: „Das ist ein Ort für Kinder.“ Er schüttelt den Kopf und schnaubt sie an: „Wieso, mein Telefonat stört hier doch niemanden.“ Er sieht sich um. Die anderen Eltern blicken betont zur Seite. Die Pädagogin meint gelassen: „Mich stört es aber. Wir … Wie soll ich das Ihnen erklären? Arbeit hat am Basteltisch nichts verloren. Wir chillen hier. Die Kinder sollen Ruhe haben.“ Er legt auf und herrscht seine Tochter an: „Wenn man hier nicht einmal telefonieren kann, gehen wir jetzt.“

Eva-Lena Lörzer