Justiz und Korruption in Guatemala: „Rückschritt in die Vergangenheit“

Am 23. Juli wurde Juan Francisco Sandoval als Leiter einer Sonderstaatsanwaltschaft in Guatemala entlassen. Im Interview erklärt er seine Ängste.

Drei Demonstranten mit Schildern, die das Gesicht von Juan Sandoval zeigen

Demonstration in Guatemala City gegen die Entlassung des Staatsanwalts Juan Sandoval Foto: Esteban Biba/EPA/EFE

taz: Herr Sandoval, Sie haben Guatemala am 23. Juli wenige Stunden nach Ihrer Entlassung durch die Generalstaatsanwältin Consuelo Porras verlassen. Warum?

Juan Francisco Sandoval: Weil ich mir ernste Sorgen um meine Sicherheit gemacht habe und es für realistisch hielt, dass strafrechtlich gegen mich vorgegangen wird. Das Justizministerium befindet sich in der Hand der Mafia. Wir sprechen in Guatemala schon lange vom „Pakt der Korrupten“, der die Institutionen des Staates peu à peu übernimmt und sie mehr und mehr kontrolliert. Die Hoffnung, dass sich die Situation Guatemalas nachhaltig ändern und dass die Justiz gestärkt werden würde, hat sich zerschlagen. Das Personal im Justizsektor arbeitet in einem Ambiente der Einschüchterung und Bedrohung. Diffamierungs- und Desinformationskampagnen laufen, die das Ziel haben, das Image der Staatsanwaltschaft beziehungsweise derjenigen, die ihren Job nach wie vor ehrlich und engagiert machen, zu beschädigen.

Was bedeutet Ihre Entlassung im Kontext der Ankündigung der US-Regierung von Joe Biden, eine „Kommission gegen die Korruption“ für die drei Staaten des nördlichen Dreiecks (Triángulo Norte El Salvador, Honduras und Guatemala) zu initiieren?

Meine Dienststelle, die FECI, hätte in diesen Plänen eine wichtige Rolle gespielt. Meine Entlassung hat aus dieser Perspektive Signalcharakter.

Signalcharakter dürfte auch die Vorstellung ihres Nachfolgers in der FECI am 4. August gehabt haben – Rafael Curruchiche?

Ja, denn er zählt zu den Juristen, die in mehreren Prozessen ihre Nähe zu den Korrupten unter Beweis gestellt haben. Interne Ermittlungsverfahren gegen ihn sind anhängig. Er hat hinlänglich bewiesen, dass sein einziges Interesse ist, die zu schützen, die der Korruption bezichtigt werden. In der FECI hat er nichts zu suchen.

39, leitete ab 2015 die „Sonderstaatsanwaltschaft gegen die Straflosigkeit“ (FECI), die vor allem die omnipräsente Korruption in Guatemala bekämpft. Am 23. Juli wurde er entlassen und ging ins Exil in die USA.

Die FECI war bis zum September 2019 das Bindeglied zur CICIG, der UN-Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala. Werden deren und letztendlich auch Ihre jahrelange Arbeit und die dazugehörigen Strukturen peu à peu entsorgt?

Wir werden derzeit Zeugen, wie die Arbeit meiner ehemaligen Dienststelle, ihre Effektivität und ihre Unabhängigkeit unterminiert wird. Ein Aufbauprozess über 12 Jahre wird zunichte gemacht. Guatemala droht der Rückschritt in die Vergangenheit.

Hat es aus heutiger Perspektive an internationaler Unterstützung für die CICIG und damit auch für die FECI gefehlt?

Es gab über viele Jahre internationale Unterstützung für unsere Arbeit. Das reicht aber nicht, wenn die zentralen Akteure in Guatemala eigene Interessen verfolgen und gegen die Justiz vorgehen.

Im mittelamerikanischen Guatemala hat die Entlassung des Leiters der „Sonderstaatsanwaltschaft gegen die Straflosigkeit“ zu einer ganzen Welle von Demonstrationen geführt, bei denen der Rücktritt des Präsidenten Alejandro Giammattei und der Generalstaatsanwältin Consuelo Porras gefordert wurde.

Sandoval und seine Dienststelle galten als letzte Bastion gegen die in Guatemala um sich greifende Korruption. Seine Entlassung am 23. Juli steht für den Roll-Back im Justizsektor, der seit dem Abzug der UN-Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) im September 2019 stattfindet. Unliebsame, weil ehrliche Richter und Richterinnen werden aussortiert und unter Druck gesetzt, Korruptionsskandale sorgen nicht erst seit dem Amtsantritt von Alejandro Giammattei im Januar 2020 für Schlagzeilen.

Dagegen und gegen die Verabschiedung eines Haushalts, der der Korruption Tür und Tor öffnet, gab es bereits im November 2020 massive Proteste. Ende Juli gingen erneut Zigtausende unter dem Hashtag #29/7 vor allem im Landesinnern auf die Straße. Sie protestierten gegen die Entlassung Sandovals und forderten Reformen ein.

Ob die kommen werden, hängt nicht zuletzt auch von den USA ab. Deren Mittelamerika-Politik hat sich unter Joe Biden grundlegend gewandelt. Es scheint sich die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass die Ursachen der Migration in Mittelamerika eng verwoben sind mit der omnipräsenten Korruption, einem nicht funktionierenden Justizsystem und der organisierten Kriminalität.

Beleg dafür ist das am 22. Dezember 2020 verabschiedete Gesetz, welches als „Engelliste“ bekannt wurde. Auf der Liste, die nach dem demokratischen Abgeordneten Eliot Engel benannt wurde, landen alle Personen aus Honduras, El Salvador und Guatemala, die sich korrupt und undemokratisch verhalten. Ihnen wird die Einreise in genauso wie Geschäftstätigkeiten mit den USA verboten.

Welche Bedeutung hat in diesem Kontext das intransparente System der Nominierung von Richtern und Richterinnen für die höchsten Gerichte, darunter auch das Verfassungsgericht?

Eine zentrale. Es lässt Juristen für hohe Ämter zu, obwohl bekannt ist, dass sie dubiosen Kreisen nahestehen und gegen die zum Teil bereits wegen Korruption und der Förderung der Straflosigkeit ermittelt wurde. Unter meiner Leitung hat die FECI gegen acht der dreizehn Rich­te­r*in­nen des Obersten Gerichtshofes und gegen weitere hohe Rich­te­r*in­nen ermittelt. Daher hielt ich es für wahrscheinlich, dass ein Strafbefehl gegen mich ausgestellt werden könnte. Deshalb habe ich Guatemala verlassen.

Es gibt aber nach wie vor die Richter und Richterinnen wie Yassmín Barrios oder Miguel Ángel Gálvez, die engagiert und transparent ihren Job machen. Stehen Sie unter Druck?

Ja, ohne Zweifel. Alle Richter, die für Kapitaldelikte zuständig sind wie Yassmín Barrios, stehen unter immensem Druck. Das belegt die Tatsache, dass sich derzeit vier Richter und Richterinnen im Exil befinden. (Darunter Gloria Parros, ehemalige Vorsitzende des Verfassungsgerichts, die am 13. April das Land verließ, d. Red.) Ich befürchte auch, dass die eine oder der andere FECI-Mitarbeiter gehen wird – in Guatemala fehlt es an Perspektiven für eine unabhängige Justiz.

Die USA haben unter Präsident Joe Biden einen neuen Ton in der Region angeschlagen. Die „Liste Engel“, aber auch die Initiative einer Antikorruptionskommission, für die Länder des Triángulo Norte (El Salvador, Honduras, Guatemala) zu gründen, stehen dafür, und US-Vizepräsidentin Kamala Harris hat bei ihrem Guatemala-Besuch im Juni auch darauf hingewiesen. Trotzdem wurden Sie entlassen. Wie passt das zusammen?

Die Botschaft aus den USA ist klar und extrem wichtig. Mir tut es aufrichtig leid, dass die Position der guatemaltekischen Regierung derart unflexibel ist, und es hat den Anschein, dass die USA ihre Maßnahme verschärfen werden. Die „Liste Engel“ sieht eine Reihe von Sanktionen gegen korrupte Akteure vor, nicht nur Politiker, um ihren Radius einzuengen. Das mediale Echo hat dabei einen wichtigen Effekt. Die Betroffenen werden geächtet, dürfen nicht mehr in die USA einreisen und Konten in den USA werden eingefroren. Ich hoffe, dass diese Sanktionen ihren Effekt haben werden und Guatemala wieder zurück auf den legalen Weg findet.

Gegen wen hat die FECI in den letzten Monaten ermittelt? Es heißt, es wurden Beweise für Korruption im Umfeld des Präsidenten Alejandro Giammattei gesammelt – ist das richtig?

Ja, aber es lagen bis zu meiner Entlassung keine konkreten Beweise gegen den Präsidenten selbst vor, wohl aber gegen Menschen aus seinem engsten Umfeld.

Seit Ihrer Entlassung hat es eine ganze Reihe von Demonstrationen in Guatemala gegen die Korruption, gegen die Politik von Präsident Alejandro Giammattei und gegen die Generalstaatsanwältin Consuelo Porras gegeben. Können Sie zur Initialzündung für den Wandel in Guatemala werden?

Zuerst einmal sind die Demonstrationen ein Signal des Unmuts, der Kritik an der Politik der Regierung und der Empörung. Sie sind ein Beweis, dass es in Guatemala alles anderes als gut läuft, dass die Dinge sich ändern müssen und dass die Zivilgesellschaft den Verantwortlichen misstraut. Meine Entlassung hatte Symbolcharakter und einen direkten Effekt.

Was fehlt, um einen Wandel in Guatemala auf den Weg zu bringen?

Vor allem politischer Wille.

Die demokratisch legitimierte Regierung von Alejandro Giammattei steht seit Monaten unter Druck. Die mehrtägigen Proteste im letzten November gegen einen Haushalt, der der Korruption Tür und Tor öffnet und zugleich Sozialausgaben mitten in der Pandemie herunterfährt, sind dafür nur ein Beispiel. Haben die Wähler sich in ihm getäuscht?

Seine Wahl zeigt, dass es in Guatemala an politischer Bildung mangelt. Aber die Proteste, die in den ländlichen Regionen besonders stark waren, sind auch Beleg dafür, dass die Leute begriffen haben, dass sie sich engagieren müssen. Ich denke, dass die Proteste weitergehen werden, dass die Forderungen klar sind und dass es Rücktritte korrupter Politiker geben muss. Zu viele haben ihre persönlichen Interessen über die des Landes gestellt. Ein wichtiger Faktor dabei ist die internationale Aufmerksamkeit – der Druck nimmt zu.

Guatemala ist ein Land des nördlichen Dreiecks und dort wichtigster Alliierter der USA. Sanktionen, die Sie für wahrscheinlich halten, treffen aber oft nicht die Verantwortlichen, sondern meist die Bevölkerung. Die emigriert ohnehin Jahr für Jahr zu Zehntausenden – sehen Sie einen Ausweg?

Es stimmt: Sanktionen treffen meist die einfache Bevölkerung. Aber sie sind alternativlos, wenn man die Regierungen zum Umdenken bewegen will. Die am 4. August von den USA verabschiedeten Visa-Einschränkungen gegen alle Personen, die nachweislich korrumpieren, die Justiz angreifen und gegen die Demokratie im Triángulo Norte vorgehen, nehmen jene ins Visier, die verantwortlich sind. Das begrüße ich.

Sie befinden sich in den USA. Sind Sie ein Kandidat für die Antikorruptionskommission, werden Sie die beraten oder ein Amt übernehmen?

Zuerst einmal muss ich meinen Status in den USA klären, aber ich hatte in den letzten Tagen Gespräche in Washington mit Verantwortlichen aus dem Weißen Haus über die Situation in Guatemala. Das ist positiv. Mir ist wichtig, die Arbeit meiner Kollegen in der FECI zu unterstützten – dazu gehört es, auch ihnen den Weg ins Exil zu erleichtern. Allerdings suche ich auch nach einer neuen Perspektive.

Konnten Sie mit Ihrer Familie ausreisen?

Nein, sie befindet sich noch in Guatemala und auch das macht mir Sorgen.

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