Dann lieber Hardcore Continuum

BERLIN MUSIC DAYS Das eilig ausgerufene Elektronikfestival Berlin Music Days krankte unter organisatorischer Bequemlichkeit. Schade um den spannenden Jungle- und Dubstep-Abend in der Maria mit 4hero und Shackleton

Das Programm wirkte, als ob sich die Clubs auf ihrem Erfolg ausruhen und nicht besonders bemühen

VON SARAH ANTONIA BRUGNER

Die Klamauk Hip-Hopper von Puppetmastaz im WMF, die Poker Flat Labelnacht mit dem Aushängeschild Steve Bug in der Panoramabar oder Richie Hawtin mit seinem M_nus-Label im Saturday Adventure Club – an ihrem letzten Abend zeigt die Bermuda noch mals, was Berlins Nachtleben zu bieten hat.

Musikalische Nabelschau

Natürlich bestand nicht das ganze Line-up aus lokalen Künstlern, wiewohl viele hier ihren Lebensmittelpunkt eingerichtet haben – nicht zuletzt eben die HipHop-Marionettenspieler Puppetmastaz, Steve Bug und Richie Hawtin. Trotzdem bekam das kurfristig anberaumte Festival unwillkürlich den Beigeschmack einer musikalischen Nabelschau.

Es wirkte ein bisschen so, als ob alle teilnehmenden Clubs wüssten, dass sie im Bereich elektronischer Musik die Weltspitze stellen und sich für ein Festival nicht mehr viel Neues einfallen lassen müssen.

Immerhin, der Freitagabend in der Maria am Ostbahnhof entpuppt sich als hochkarätig besetzter, aber leider nur mittelmäßig besuchter Festivalabend, der die zwanzigjährige Musikgeschichte des britischen „Hardcore Continuum“ von den späten 80ern bis heute erfahrbar macht.

Das „Hardcore-Continuum“, wie es der britische Popforscher und Musikjournalist Simon Reynolds bezeichnet hat, umfasst die britischen Vorstadthybriden von Jungle, über Drum ’n’ Bass, Garage, 2-Step und Grime bis aktuell zum Dubstep. An diesem Abend in der Maria treffen die Großväter und Enkel dieser kontingenten Entwicklung in einem spannenden DJ-Battle aufeinander.

Während die afrobritischen Musiker von 4hero und Shut Up And Dance, die vom HipHop ausgehend die Grundsteine für Jungle oder Drum ’n’ Bass gelegt haben, ihr Publikum mit MC-mäßigem Zurufen wie „Make some noise!“, „Free your expression!“ oder „Yo Man, 4hero bringing London’s sound to Berlin“ bei der Stange halten, setzt die bassverliebte Dubstep-Generation, ihre Abordnung Shackleton und Appleblim, auf perkussives instrumentales Wummern, ganz ohne HipHop-Gestus.

Brücke zum Festland

In der Tat präsentiert sich hier ein basslastiges und multikulturelles Soundgemisch, das in den deutschen Spezialgebieten von Techno über Minimal bis zu House so nicht zu finden ist. Dennoch bleibt Berlin die Brücke, um diesem UK-Hardcore auf dem europäischen Festland zum Erfolg zu verhelfen. Shackleton hat durch Remixe für den Berghain Resident-DJ Ricardo Villalobos oder das nicht minder erfolgreiche Berliner Projekt Moderat bewirkt, dass Techno-DJs Dubstep in ihre Sets einfließen lassen.

Keine noch so marginale Entwicklung werde hier verschlafen, ist sich auch der De:Bug-Journalist Sascha Kösch sicher, der als DJ Bleed gerade noch die Aufwärmrunde für die Jungle-Heroen Shut Up And Dance und The Ragga Twins bestritten hat. Ob man die Berlin Music Days braucht, um auf die clubkulturelle Relevanz Berlins aufmerksam zu machen, ist für ihn fraglich. „Sagen wir so – ich finde es eine tolle Sache, dass die Popkomm-Absage den Musikstandort Berlin nicht gelähmt hat, sondern im Gegenteil gleich von zwei unterschiedlichen Seiten neue Konzepte entworfen wurden“, resümiert DJ Bleed über Konferenz „all2gethernow“ und das elektronische Musikfestival Bermuda. Kösch hätte es aber besser gefunden, so wie früher bei der Popkomm, elektronische Musik und Indierock zusammenlaufen zu lassen und nicht voneinander getrennt. Ein eigenes elektronisches Musikfestival braucht es laut Kösch aber nicht in Berlin. „Wenn du mich jetzt konkreter fragst, so müsste ich anmerken, dass Bermuda beinahe spurlos an mir vorüberzieht, obwohl ich im ersten offiziellen Line-up als DJ verzeichnet bin. Das liegt wohl auch an der kurzfristigen Bermuda-Planung. So konnten die Clubs ihr bereits vorab fixiertes Programm nicht mehr auf die Bermuda ausrichten, und es gibt keine übergeordneten Schwerpunkte. Außerdem – ist nicht jedes Wochenende großes Clubbing in Berlin?“

Diese Umsetzungsschwierigkeiten spiegeln sich in vielfältiger Weise wider. Viele Clubs verweisen nirgendwo explizit auf ihre Festivalteilnahme, das Publikum ist sich teilweise auch gar nicht darüber bewusst, dass der jeweilige Clubabend unter dem Festivalbanner Bermuda steht. Einige Besucher argumentieren , dass sie ohnehin wegen des Programms hergekommen seien und nicht wegen Bermuda.