Grüne Pläne für Stadtumbau in Berlin: „Mehr Bullerbü“ wagen

Die grüne Spitzenkandidatin Jarasch stellt Visionen für den klima- und menschenfreundlichen Stadtumbau vor. Sie grenzt sich damit von der SPD ab.

Die Simulation zeigt einen Radweg neben einem Fußweg, rechts daneben eine Autofahrbahn und links Wasser

So soll das Ende der A 100 am Treptower Park aussehen, wenn es nach den Grünen geht Foto: Bündnis 90/Die Grünen Berlin/MLA+

BERLIN taz | Für Martin Aarts, Stadtplaner aus Rotterdam, ist die Lage dramatisch: „Die Zeit wird knapp für den klimagerechten Umbau der europäischen Großstädte.“ Der Grund: Die Kosten dafür drohten ins Unbezahlbare zu steigen. Damit die dringend nötigen Veränderungen doch noch kommen, um Folgen wie Hitzewellen und Überschwemmungen abzumildern, fordert er einen Wettbewerb um die besten Lösungen zwischen den Städten: Sie sollten sich „gegenseitig herausfordern“.

Für Berlin wäre das, angesichts des Vorsprungs von Städten wie Paris, Kopenhagen und selbst Warschau in dieser Hinsicht, eine gewaltige Herausforderung, selbst nach fünf Jahren Rot-Rot-Grün und einer grünen Verkehrs- und Klimaschutzsenatorin. Den Berliner Grünen ist das offenbar bewusst: „Wir müssen schneller werden beim Stadtumbau, und wir können schneller werden“, sagte ihre Spitzenkandidatin Bettina Jarasch am Mittwoch bei der Vorstellung der „grünen Hauptstadtvision“.

Konkret handelt es sich um die Ideen für die grundsätzliche Umgestaltung von vier Orten in der Stadt: das geplante Ende der Stadtautobahn A 100, der Anfang der Danziger Straße in Prenzlauer Berg, der Tauentzien und der Elsterwerdaer Platz in Marzahn. An den Entwürfen mitgewirkt haben ein Architekturbüro und eben Martin Aarts.

Es habe den Wunsch geben, auch aus der Wirtschaft, genauer darzustellen, wie die Grünen im Falle einer Regierungsübernahme nach der Wahl am 26. September den städtischen Raum verändern wollten, begründete Jarasch die Präsentation, mit der im Wahlkampf geworben werden soll.

Auch nach 2030 soll es noch Autoverkehr in der City geben, aber emissionsfreien

Nun ist es bekanntlich so eine Sache mit den Visionen, über die Ex-SPD-Kanzler Helmut Schmidt mal gesagt hat, wer solche habe, solle zum Arzt gehen. Aber Schmidt wäre – im Rückblick gesehen – auch eher zum konservativen Giffey-Flügel der SPD zu zählen, und Jaraschs Konkurrentin des Noch-Koalitionspartners versucht im Wahlkampf ja vor allem, mit der Werbung für den verkehrspolitischen Status quo und Streicheleinheiten für Au­to­fah­re­r*in­nen zu punkten.

Jarasch und ihre Partei setzen mit den Entwürfen nun einen deutlichen Kontrapunkt: Sie fordern den „Umbau von Straßen und Plätzen zu Lebensräumen“, wie sie am Mittwoch mehrfach sagte und unter einem jedem Kind bekannten Schlagwort zusammenfasste: „Wir brauchen mehr Bullerbü mitten in der vibrierenden Hauptstadt.“

Und das heißt: mehr Platz für Fußgänger*innen, mehr Schutz für Radler*innen, freie Bahn für Busse und Trams – und ein bisschen Raum für jenen Autoverkehr, den es weiterhin auch in der Innenstadt geben werde, wie die grüne Spitzenkandidatin betonte und sich damit vom anlaufenden Volksbegehren „Berlin autofrei“ abgrenzt. Allerdings, so Jarasch, müssten das ab 2030 emissionsfreie Fahrzeuge sein, sprich nach derzeitigem Stand der Technik überwiegend Elektroautos.

Aus der Einkaufsstraße Tauentzien, derzeit geprägt von Fahrspuren für Autos, soll nach den Entwürfen eine begrünte Flaniermeile für Fuß­gän­ge­r*in­nen mit Stadtmöbeln und Ausstellungsflächen für Kunst und Handwerk werden. Auch an der Danziger Straße, deren Einmündung in die Schönhauser Allee ein vielbefahrener Knotenpunkt ist, sollen Fuß­gän­ge­r*in­nen mehr Raum zum Gehen und Verweilen bekommen; für Rad-, Tram- und Autoverkehr bleibt je eine abgetrennte Spur pro Richtung.

Die Simulation zeigt Menschen, die über den Mittelstreifen mit Sitzgelegenheiten und Pflanzen flanieren

Tauentzien geht auch anders Foto: Bündnis 90/Die Grünen Berlin/MLA+

Triste Plätze zu Stadtteilzentren

Der Elsterwerdaer Platz, aktuell eine triste versiegelte Fläche mit ein paar Läden, soll sich in ein lebendiges Stadtteilzentrum verwandeln, und aus der A 100 am Treptower Park soll eine Bundesstraße werden, was Raum schaffen würde für Radspuren und sogar eine Wasserfläche. Der hier geplante Radschnellweg, die sogenannte Y-Trasse, würde dann bis zum Görlitzer Park verlängert werden.

Wie detailgenau diese vom Architekturbüro MLA+ entwickelten Visionen sein sollen, blieb am Mittwoch jedoch bisweilen unklar, gerade beim Beispiel A 100. Schließlich verläuft die im Bau befindliche Verlängerung der Stadtautobahn künftig teilweise abgesenkt – das ignoriert die von MLA+ entwickelte Umgestaltung allerdings. Jarasch sprach daher von „konkreten Utopien“ und „unseren Vorschlägen, die dann im Dialog weiterentwickelt“ werden sollen. Sie betonte aber ihre Absage an einen Weiterbau der A 100: „Der 16. Bauabschnitt muss der letzte sein. Die autogerechte Stadt der 70er-Jahre ist kein Modell für die Gegenwart mehr.“

Keine weitergehende Vision gab es für die Friedrichstraße, deren aktuelle Umgestaltung als Fuß- und Radstraße eines der wenigen realen Vorzeigeprojekte der grünen Verkehrssenatorin ist. Viel Kritik habe es daran am Anfang gegeben, auch gerechtfertigte, sagte Jarasch. Bei Gesprächen mit An­lie­ge­r*in­nen habe sich aber gezeigt, dass selbst jene nicht mehr zurück wollten zur reinen Durchgangsstraße mit kleinen Bürgersteigen.

Als Regierende Bürgermeisterin würde sich Jarasch für eine Taskforce einsetzen, in der Anlieger*innen, Bezirk, Pla­ne­r*in­nen und Initiativen Konzepte entwickeln und dabei auch den Raum jenseits der Straße berücksichtigen bis hin zum Gendarmenmarkt. Auch die historische Dimension der Friedrichstraße, die bis 1989 in Ost und West geteilt war, könnte sichtbar gemacht werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.