Abschiebungen nach Kabul: Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Deutschland schiebt weiter afghanische Straftäter ab. Grüne und SPD kritisieren dies zu Recht – handeln aber anders.

Die Silhouette eines Flugzeugs zwischen Stacheldraht

Habeck fordert einen Stopp der Abschiebepraxis nach Afghanistan Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Nichts ist gut in Afghanistan. Jenes Diktum Margot Käßmanns von vor über zehn Jahren ist leider aktueller denn je. Die Bilanz der westlichen Militärintervention fällt fatal aus. Nach dem Abzug der letzten Nato-Truppen bleibt ein Land zurück, das im Chaos versinkt und seiner Bevölkerung keine sichere Lebensperspektive bietet. Die Taliban befinden sich auf dem Vormarsch und haben bereits weite Teile Afghanistans unter ihre Kontrolle gebracht.

Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die islamistischen Fanatiker auch in Kabul wieder die Macht übernehmen. Verloren haben den vermeintlichen „Krieg gegen den Terror“ am Hindukusch nicht nur die USA und ihre Verbündeten, sondern vor allem die geschundene afghanische Bevölkerung. Da lässt sich nichts beschönigen.

Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck hat daher recht, wenn er die Bundesregierung scharf dafür kritisiert, dass sie in ihrem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes so tut, „als wäre nichts geschehen“. Und auch SPD-Chef Norbert Walter-Borjans liegt richtig, wenn er Innenminister Horst Seehofer und dem Unionskanzlerkandidaten Armin Laschet bescheinigt, deren stures Festhalten an Abschiebungen nach Afghanistan sei „voll auf der menschenfeindlichen Linie von Populisten“.

Die afghanische Regierung bittet Berlin inständig, derzeit niemanden in das Land zurückzuschicken. Das sollte die Bundesregierung beherzigen. Denn es gibt dazu keine humanistische Alternative. Auch wenn es unpopulär sein mag: Das gilt selbst für verurteilte Straftäter.

Laschet liefert ein höchst fragwürdiges Argument

Laschet begründet seine Befürwortung weiterer Abschiebungen von Straftätern nach Afghanistan damit, dass der Grundsatz „Null Toleranz gegenüber Kriminellen“ keine Ausnahmen erlaube. Aber das ist ein höchst fragwürdiges Argument. Welche Staatsbürgerschaft ein Täter hat, ist für das Opfer egal. Und für einen Rechtsstaat sollte es das auch sein.

Ein Straftäter hat eine angemessene Strafe für seine Tat zu erhalten. Nach dem Verbüßen der Strafe den einen in die Freiheit zu entlassen, den anderen aber in eine tödliche Bedrohung zu schicken, ist ein Doppelstandard, der sich mit jenem christlichen Menschenbild, das ­Laschet wie auch Seehofer so gerne vor sich her tragen, nur schwer vereinbaren lässt.

Machen wir uns nichts vor: Was Laschet und Seehofer propagieren, wird auch weiterhin von Landesregierungen praktiziert, an denen die Grünen und die SPD beteiligt sind. Deswegen reicht es nicht, wenn Habeck und Walter-Borjans nur die politische Konkurrenz kritisieren. Sie müssen auch mit ihren Parteifreunden in den Ländern über eine Änderung der Abschiebepraxis streiten. Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit.

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Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Mehrere Buchveröffentlichungen (u.a. „Endstation Rücktritt!? Warum deutsche Politiker einpacken“, Bouvier Verlag, 2011). Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft.

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