Die Wahrheit: Im Speckgürtel des Speckgürtels

Die Erfolgsautorin gönnt sich nach ihrem ersten Roman nahe der Metropole eine Datscha und sinniert herrlich lakonisch über das Leben.

Irgendwann kündigt sie dann wirklich ihren Job in der Pressestelle und schreibt den Roman. Darin geht es um ein Paar in ihrem Alter, glücklich kinderlos, das sich trennt, weil er merkt, dass er schon immer eine Frau war, sie dafür aber nicht lesbisch oder verliebt genug ist, weshalb sie auf Twitter beschimpft und depressiv wird, am Ende aber ihre Bestimmung darin findet, mit Flüchtlingskindern friedliche Bienenvölker zu züchten. Ihre Sprache wird als „herrlich lakonisch“ gefeiert und das Buch ein Erfolg.

Jetzt kann sie sich eine Datsche und 1.000 Quadratmeter Wildnis im Grünen kaufen. Nicht im Speckgürtel der Großstadt, dafür kommt sie ein paar Jahre zu spät, aber im Speckgürtel des Speckgürtels vom Speckgürtel der äußeren Bezirke. Mit ihrem alten Renault, den sie bald durch ein E-Auto zu ersetzen sich fest vorgenommen hat, braucht sie bis dahin nur zwei Stunden.

Am ersten Abend im neuen Haus lässt sie sich bei einem guten Rotwein die Waden zerstechen und beschließt, die ersten Monate nur auf den Garten zu horchen. Sie wird sich ganzheitlich darin aufhalten, denkt sie, still das Wandern der Sonne und die Wege der Ameisen beobachten, alle Pflanzen exakt bestimmen. Der Garten, denkt sie, wird ihr schon sagen, was er braucht.

Anderntags parkt ihr Re­nault schon vor dem Baumarkt der nächsten Kreisstadt, und sie liest Namen, von denen sie noch nie gehört hat. Ryobi, Makita, Neudorff. Voll beladen mit Heckentrimmer, Rasenmäher und Insektenvernichtungsmittel fährt sie zurück ins Haus. Die Arbeitshandschuhe hat sie gleich angelassen, sie gehen ihr bis zu den Ellbogen.

Sie mäht die Wiese, wo sie Wiese findet. Die Sonne schlägt ihr in den Nacken. Dann schneidet sie die Brombeerbüsche zurück und kümmert sich unten am Bachlauf um die Brennnesseln, „nnnn“ vor sich hinsummend. Zum Hang hin berserkert sie mit der Ryobi durch Ahorn und Haselnuss. Vor der Eibe hat sie Respekt, aber die Makita leistet ganze Arbeit. Abends versucht sie vergeblich, mit der LTE-Antenne ein wenig Internet hereinzuholen. Im Küchenschrank findet sie noch einen Weinbrand vom vermutlich am Weinbrand verstorbenen Vorbesitzer und hört Schlager aus seinem alten Radio.

Dabei fällt ihr auf, dass die Dielen an manchen Stellen schon ganz schwarz sind. Mit Gummihammer und Brecheisen macht sie sich ans Werk. Alles nicht nur feucht, sondern nass. Die Steinwolle liegt wie tonnenschwere Kissen unter dem Boden. Dort kriecht ihr eine Nacktschnecke mit Tigermuster entgegen. Sie lässt sie kriechen und schlägt ihr Zelt im Garten auf.

Am Morgen regnet es. Sie entfernt zwei Zecken von ihrem Oberschenkel und beschließt, die Hütte wieder zu verkaufen. Sie ahnt, dass dieser Fehlschlag eine Metapher ist für irgendwas. Ein Thema für ihren zweiten Roman. Sie wird ihn schreiben, mit herrlich lakonischer Sprache.

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kari

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