Hubert Aiwangers Impfgegner-Kurs: Techteln mit der „Loony Right“

Anti-Impf-Rhetorik ist der plumpe Versuch, sich einer abgedrehten rechten Zielgruppe anzudienen. Bayerns Vize-Landeschef macht es vor.

Gesicht von Hubert Aiwanger rechts im Bild, dahinter unscharf das Wappen des Freistaats Bayern

Macht sich intellektuell lächerlich, moralisch verächtlich und politisch unzumutbar: Hubert Aiwanger Foto: Frank Hoermann/imago

Wie klingt ein verantwortlicher Staatsmann? So: Er zeigt sich besorgt, „dass das Land durch die absurdeste Polemik gespalten wird“. Er nennt es unlogisch, „einer rein wissenschaftlichen Frage einen ideologischen oder politischen Charakter zu geben“. Er spricht besorgt von der Diskreditierung des Maskentragens, sagt, dass durch Gerede von einer „Gesundheitsdiktatur“, durch Fehlinformationen und Pseudowissenschaft irrationale Ängste in den sozialen Netzwerken geschürt würden. Und dass all das für das Anwachsen der Antiimpfbewegung verantwortlich sei.

Bei diesem verantwortungsvollen Staatsmann handelt es sich um Silvio Berlusconi. Der hat diese Woche in einem Beitrag für den liberal-konservativen Corriere della sera klare Grenzen gezogen zur landestypischen Variante der todessüchtigen Antiimpfbewegten. Dabei besteht kein Zweifel: In jedem anderen zivilisierten Land der Welt säße Berlusconi dauerhaft im Knast oder könnte zumindest keine öffentliche Rolle mehr spielen.

Aber es gehört zu den Lehren der Politik, dass man erstens: niemanden abschreiben darf, auch keinen 84-Jährigen, der, wäre es hierzulande nach Politikern wie Boris Palmer gegangen, „sowieso tot“ wäre; und dass zweitens: es Momente geben kann, in denen Politik nicht nur die zynische Kunst des Möglichen ist, sondern in denen ratio­nale Einsicht, gar moralisches Empfinden mit strategischen Interessen einhergehen.

Berlusconi bastelt derzeit nämlich an einer rechten Mehrheit in Italien, die es zusammen mit der rechtspopulistischen Lega und der faschistenoffenen Partei Fratelli d’Italia („Brüder Italiens“) zweifellos im Land gäbe. Aber Berlusconi hat ein Problem, das früher die politische Linke betraf: Anstelle der einstigen „Loony Left“, der irren, ultraradikalen Linken, ist eine „Loony Right“ getreten. Eine Rechte, die auf Demonstrationen im Namen der Freiheit nicht nur sich selbst, sondern auch andere Menschen zum Tod verurteilt. Die Kindern und Jugendlichen die Chance auf ein glückliches Leben wegnehmen will.

Die „verfolgte Mitte“ des Herrn Aiwanger

Berlusconi hingegen, ganz staatsmännisch, verurteilt das Tragen des gelben Sterns durch Impfgegener als blasphemisch und macht keinen Hehl daraus, dass diese Todessüchtigen sich entscheiden müssen: In einer freien Gesellschaft müssen sie sich entweder impfen lassen – oder Nachteile in Kauf nehmen. Für Lehrpersonal fordert der viermalige Exregierungschef die obligatorische Impfung.

Hubert Aiwanger weiß, was er tut, er setzt als Alphapolitiker dabei sogar sein Leben ein

Wie aber klingt dagegen ein unverantwortlicher Staatsmann? So klingt ein unverantwortlicher Staatsmann: Er sagt, auf Impf­geg­ne­r:in­nen dürfe keine „Jagd“ gemacht werden. Impf­skep­ti­ke­r:in­nen sollten mit Argumenten überzeugt werden. Dabei sollte auch mit den inzwischen bekannten Nebenwirkungen offen umgegangen werden. Und es bringe auch nichts, ihn, den Nichtgeimpften, täglich danach zu fragen, wann er sich denn nun impfen lasse.

Dabei handelt es sich um Hubert Aiwanger, den stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten und Spitzenkandidaten der Freien Wähler – einer Gruppierung, die derzeit noch Mühe hat, einen Blick auf die Fünfprozenthürde bei der Bundestagswahl zu ergattern. Und der redet so daher, weil selbstverständlich auch er ein politisches Projekt am Laufen hat.

Aiwanger hat es zu seinem Claim erhoben, sich selbst als siebengescheiten Durchblicker und rhetorisch hinterfotzigen Aufrechten darzustellen, der für alle in der „Mitte“ stehe. Einer Mitte, auf die „Jagd“ gemacht werde – dabei gibt es bis heute nicht mal eine nennenswerte staatliche Werbekampagne für die Coronaimpfung; der raunt, es würden Nebenwirkungen verschwiegen – dabei wird über mögliche Nebenwirkung der Impfung so viel mehr geredet als über tatsächliche Nebenwirkungen des seit Monaten ausgefallenen Musik- und Sportunterrichts.

Hubert Aiwanger hat sich ganz der „Loony Right“ verschrieben, weil er den Platz des rationalen politischen Diskurses besetzt sieht, insbesondere von einem politischen Schwergewicht wie Markus Söder. Aiwanger weiß, was er tut, er setzt als Alphapolitiker dabei sogar sein Leben ein. Das wäre seine Sache, wenn er damit nicht andere gefährden würde. Mit seiner zentralen politischen Botschaft macht er sich intellektuell lächerlich, moralisch verächtlich und politisch unzumutbar. Die Impfung ist und bleibt das wesentliche „Instrument zum Schutz der Gemeinschaft und des Rechts anderer, nicht infiziert zu werden“. Das sagt ein verantwortungsbewusster Staatsmann, namens, was soll man machen: Silvio Berlusconi.

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