Felsgestein und Vogelscheuchen

Je sieben Künst­le­r:in­nen aus Bremen und seiner Partnerstadt Haifa verkuppelt das Projekt „Haimen“ miteinander. In Pandemiezeiten muss ihre Zusammenarbeit sich stark auf Zoom stützen – oder, ganz altmodisch, auf die Post. Erste Ergebnisse stellen die Tandems nun aus

Knuddelwuffi mit Isomattenrock: Wo das Kunstwerk aufhört und das Atelier beginnt, das ist bei Anja Fußbach und Iddo Markus nicht immer ganz klar Foto: Anja Fußbach

Von Jens Fischer

Dalian, Riga, Izmir, Danzig, Haifa, Durban. Wem sagt diese Aufzählung etwas? Was verbindet diese Namen? Es sind die Partnerstädte von – Bremen. Die kaum mehr bekannten Partnerstädte, denn dieses Nachkriegsinstrument der Völkerverständigung wird heutzutage doch eher in Rathäusern gepflegt als von der jeweiligen Bevölkerung getragen. Dass etwa Durban – seit 2011 offiziell mit Bremen verpartnert – gerade unter einer Welle der Zerstörung versinkt, dass dort Einkaufszentren, Lagerhallen und Fabriken geplündert und in Brand gesteckt werden, dass die jahrelang angestaute Wut auf die südafrikanische Regierung ihren Ausdruck findet: all das ist in Bremen kein Thema von besonderem Interesse; so eines aber hätten diese Nachrichten zu sein unter Partner:innen.

Wiederbelebter Austausch

Schon lange vor der Pandemie, in Zeiten der globalisierten Billigfliegerei, schien das Konstrukt Städtepartnerschaft, fußend auf Verträgen und dem Engagement kommunaler Würdenträger:innen, nicht mehr zeitgemäß. Jetzt aber ist es das wieder: Unter dem Eindruck der coronabedingten Isolation mutet sie umso sinnvoller an, die Wiederbelebung des Austauschs von Menschen und Ideen. Und so wird das Bremen mit dem israelischen Haifa – Partnerstadt seit 1988 – verbindende Kunstprojekt „Haimen“ nun nach der dritten und vor einer drohenden vierten Coronawelle realisiert; öffentlich gemacht zunächst mit einer höchst diversen Ausstellung in dieser Woche in Bremen.

Zur Bespielung ist die 8.100 Quadratmeter große Steinwüste Domshof vorgesehen, bedrohlich umstellt von den martialischen Gebäudefronten Macht demonstrierender Bankenarchitektur und nur spärlich vitalisiert von einem Wochenmarktrudiment, etwas Außengastronomie sowie zumeist möglichst eiligen Stadtbummelanten.

Eine Installation riesiger Vogelscheuchen hat Iddo Markus aus Haifa für diesen unwirtlichen Ort erdacht, als schmuck provokanten Kommentar zu diesem Sinnbild einer seit Jahrzehnten brachliegenden Neugestaltung. Passiert ist das per Photoshop, vor Ort gewesen ist Markus noch nie. Er ist einer von insgesamt sieben Künst­le­r:in­nen aus der israelischen Hafenstadt, die von Roy Fabian (Haifa) und Elianna Renner (Bremen) ausgewählt und mit ebenso vielen Kol­le­g:in­nen aus Bremen zu sieben Kreativ-Tandems verkoppelt wurden. Über einen Zeitraum von vier Monaten sollen diese Paare sich kennenlernen – in wöchentlichen Videokonferenzen – und jeweils ein Kunstwerk für den Domshof gestalten. „Künstlerische Blind Dates“, nennt Renner das – „und es gab bisher keine Zerwürfnisse, geschweige denn Scheidungen.“

Der Installationskünstler Iddo Markus nun wurde Anja Fußbach zugeteilt. „Wir konnten uns physisch nie treffen“, erzählt die Bremerin, „und haben daher erst mal bei viel Rotwein unseren Hass ausgetauscht, nicht aus dem Zoom-Kästchen herauszukommen“.

Ratlos waren sie demnach zunächst, die beiden als „klassische old school artists“ sich verstehenden Partner:innen, die gerade nicht mit digitalen Medien arbeiten, sondern mit analogen Materialien. Sie begannen Lieblingslieder und Fotos hin und her zu schicken, bis irgendwann klar gewesen sei: „Real stuff muss her“, so Fußbach. Also packte Markus einige Klamotten sowie Kindheitserinnerungen in ein Paket nach Deutschland. Und siehe da: Prompt konnte Fußbach in Sachen wühlen, wie sie sie auch sonst für ihre Kunst verarbeitet: Puppen, Kuscheltiere und ungewaschene Altkleider beispielsweise. „Für die einen sind das dreckige T-Shirts“, sagt Markus, „für andere ist das zeitgenössische Kunst.“

Fußbach fügte selbst gesammeltes Gedöns hinzu und legte los: assoziativ, spontan, Spaß suchend und frei von jeder Kunsttheorie; „um den Flow des Machens herzustellen“, wie sie selbst es formuliert. Flugs ist auf ein mit „Sponge Bob“ bedrucktes Textil ein Fell genäht, ein Knuddelwuffi mit Isomattenrock geschmückt. Komisch kuriose Mischwesen entstehen. Aufgebaut in Fußbachs Atelier im Güterbahnhof ist nicht zu erkennen, wo diese „Tourist traps“ betitelte Installation der Freaks endet und die Werkstatt voller ähnlicher Skurilitäten beginnt.

Postpunkiger Jux

Fensterladendesign und die Pflastersteinmuster: Was ihr im virtuell besuchten Haifa auffiel, hielt Katharina Willand in solchen Heften fest Foto: Katharina Willand

Was ist die Erzählung? Da werden Flohmarkt-Krams, Sperr- und Textilmüll aus Bremen und Haifa zusammengebracht. Aber ist das schon „Haimen“, also die titelgebende Verschmelzung der beiden Städtenamen? Werden da „Merkmale, Attribute und Eigenschaften zu Plattformen des Austauschs und der Kommunikation“, wie die Ver­an­stal­te­r:in­nen im Werbetext schreiben? Auf den ersten Blick deutet sich erst mal nur eine Auseinandersetzung mit Fußbachs Trash-Ästhetik an. Da wird wohl ein postpunkiger Jux entstehen, der dann auch nicht in einem Gerüstkubus präsentiert wird, wie er den Künstler:innen-Tandems vorgegebenen war. Sein Gestänge hat die Bremerin stattdessen zu einer wirr anmutenden Konstruktion zusammengesteckt – Chaos sei besser als klare Strukturen.

Beige und Dunkelgrün

Fürs komplette Gegenteil stehen Susanne Katharina Willand und Yael Azoulay. Sie erkundeten online den Lebensraum des Gegenübers, tauschten dazu auch Skizzenbücher aus. „Das sonnige Haifa habe ich in Beige-Tönen festgehalten“, sagt Willand. Azoulay wiederum sah Bremen dunkelgrün: bei Google Street View sehe die Hansestadt durchweg trübe bis finster aus. Nicht eben Werbung dafür, an die Weser zu reisen,finden die beiden.

Mehr und mehr entdeckten sie beim Online-Bummeln aber auch typische Strukturen im urbanen Leben: An Haifa fielen Willand beispielsweise Fensterladendesign und die Pflastersteinmuster auf, rechte Bauhaus-Winkel und aus Felsgestein gemauerte Wände. Jeweils rund 25 Zeichnungen aus Haifa und Bremen hat Willand nun auf Plexiglas gebannt, diese Scheiben hintereinander arrangiert und illuminiert. Der „View finders“ betitelte Leuchtkasten soll in einer Gerüststele auf Augenhöhe anzusehen sein: ein filigranes Stadtpanorama, schimmernd wie 3-D-Lasergravuren in Glas. Wer hineinblickt, erlebt Figuration und Abstraktion, die von Willand und Azoulay gesammelten Muster treffen auf Umrisse markanter Gebäude wie den Bremer Hauptbahnhof und die Kühltürme Haifas. Ein filigranes, von Neugier, Achtung und künstlerischer Akkuratesse geprägtes Kleinod – Städtepartnerschaft par excellence.

Ausstellung „Twin City Challenge“: 29. 7.–­1. 8., Bremen, Domshof. Infos: https://twincitychallenge.de