Wenn „Rassist“ eine Meinungsäußerung ist

Das Landgericht gesteht einem zu Unrecht des Drogenhandels beschuldigten Guineerzu, die Polizei als „Rassisten“ zu bezeichnen – und übt scharfe Kritik an den Beamt:innen

Die Kommunikation der Polizei mit Schwarzen Verkaufenden hier am Sielwalleck ist bisweilen schwierig Foto: Michael Bahlo/dpa

VonJan Zier

Darf man Polizist:innen als „Rassisten“ bezeichnen? Als Schwarzer Mensch unter Umständen schon. Das hat das Landgericht Bremen gerade im Falle eines Guineers entschieden. Doch ist das nicht eine Beleidigung, oder gar eine Schmähkritik – und verletzt das nicht die Menschenwürde der Polizeibeamt:innen? Nicht unbedingt, urteilten die Richter:innen.

Ausgangspunkt des Konflikts ist eine typische Situation, wie man sie vom Sielwalleck kennt: Da steht ein Schwarzer Mensch, und fragt einen: „Willst Du was von mir kaufen?“ In der Regel nimmt man dann ja an, dass es um den Erwerb illegaler Drogen geht. Der so Angesprochene, der nichts kaufen wollte, ging indes nicht einfach weiter, wie die Meisten, sondern alarmierte das Ordnungsamt, dessen Mitarbeiter den Verkäufer mit jenem üblichen Vorwurf konfrontierte. Der jugendliche Guineer wies ihn zurück.

Die Situation eskalierte verbal, Polizei kam hinzu, stellte anhand einer Duldung fest, dass der Mann schon mal wegen Betäubungsmittelkriminalität aufgefallen war, und wollte den Guineer durchsuchen. Das aber wollte dieser nicht, weswegen die Po­li­zis­t:in­nen ihn mit auf die Wache nehmen wollten. Dann rief der Guineer, laut Gericht: „Ihr seid alle Rassisten! Nur, weil ich schwarz bin! Rassisten!“ Mit den Worten: „Hier, ich helfe euch“ zog er sich sodann nackt aus, bekam Handfesseln angelegt und wurde in einen Streifenwagen verfrachtet. Auf dem Revier habe er sich dann „unkooperativ und provokant“ verhalten, heißt es, und er soll gesagt haben: „Na los! Schlagt mich doch! Schlagt mich doch! Ihr seid Rassisten!“ Drogen wurden übrigens keine bei ihm gefunden, vorbestraft ist der Mann auch nicht.

Schließlich landete der Fall vor dem Landgericht, vor allem weil das Amtsgericht den Antrag des Guineers, seinen Anwalt Jan Sürig als Pflichtverteidiger beizuordnen, ablehnte – und zwar zu Unrecht, wie das Landgericht feststellte. Der Beschuldigte habe sich nicht ordnungsgemäß gegen den Vorwurf der Beleidigung in vier Fällen wehren können, befand das Gericht. Letzten Endes wurde das Verfahren eingestellt, über den Kopf des Guineers hinweg, und ohne Zutun des Verteidigers.

„Kritik darf auch grundlos, pointiert und polemisch geäußert werden“, heißt es in dem Urteil

Aber ist das hier überhaupt eine Beleidigung? Dazu nahm das Gericht ausführlich Stellung, ohne dass dies juristisch nötig gewesen wäre. Anwalt Jan Sürig nennt den Beschluss deshalb „ungewöhnlich“. Kritik dürfe „grundlos, pointiert und polemisch geäußert werden“, heißt es in dem Urteil, und dass die Annahme des Racial Profiling aus Sicht des zu Unrecht Beschuldigten „nicht so fern lag“. Dass er die Polizist:innen „Rassisten“ nannte, sei deshalb keine „bloße Diffamierung“, also auch keine Schmähung. Die Richter:in­nen gehen davon aus, dass der Rassismus-Vorwurf „noch als – wenn auch überspitzter – Teil einer anlassbezogenen Auseinandersetzung“ war, der sich der im konkreten Fall Unschuldige „zu Unrecht ausgeliefert sah“. Den Vorwurf des Drogenhandels bezeichneten die Rich­te­r:in­nen als „vage“. Die Reaktion des Guineers erscheint ihnen am Ende „nicht von vornherein als bewusst diffamierend“, sie könne auch als „überspitzte Kritik staatlichen Handelns verstanden werden“.

Zugleich kritisierte das Urteil das Vorgehen der Polizei scharf. Deren Maßnahmen seien „ungerechtfertigt“ gewesen, denn vor der Durchsuchung des Guineers sei weder Staats­an­wäl­t:in noch Er­mitt­lungs­rich­te­r:in konsultiert worden. Zudem sah das Gericht keinen Grund, wieso der Beschuldigte überhaupt gefesselt auf die Polizeiwache gebracht werden musste: Da er sich all seiner Kleidung entledigte, hätte er ja vor Ort auf illegale Betäubungsmittel durchsucht werden können, argumentierten die Rich­te­r:in­nen.

Für Jan Sürig ist das Urteil „ein großer Schritt nach vorne“ – weil die Bezeichnung „Rassist“ hier von einem Gericht nicht mehr per se als „Formalbeleidigung“ angesehen wurde.