Ausstellung „Barrierefreiheit“: Inklusiv ist nur die Rampe

Die Kunsthalle Osnabrück beschäftigt sich mit der Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Das scheitert, wie ein Besuch mit ExpertInnen zeigt.

Ein Ausstellungsraum mit einer Wand, auf dem ein Ohr und ein Pfeil aufgezeichnet sind. Auf dem Boden sind die Buchstaben "p" und "q" aufgemalt.

Barrierefrei? Die Installation „I Felt People Dancing“ in der Kunsthalle Osnabrück Foto: dpa / Friso Gentsch

Das mit der Kunst? Cevat Mergen, der gerade aus Richtung Küche kommt, deutet durchs Fenster. „Das ist hauptsächlich da draußen!“ Sein Döner-Restaurant „Toros“ im Osnabrücker Arbeiterstadtteil Schinkel ist Außen­standort des Ausstellungsprojekts „Barrierefreiheit“ der Kunsthalle Osnabrück: Links vor dem Eingang stehen Textwände voller Philosophie. Sie sind harte Kost.

Neben den Texten wartet eine Bühne auf Bespielung. „Da treten dann Künstler auf“, sagt Mergen. „Das Ganze bringt hier ein bisschen Farbe rein, neues Leben.“ Und neue Gäste. „Die sehen sich das an, setzen sich, trinken was, diskutieren.“ Da kommen dann auch Mergens rotweiße Kunst-Platzdeckchen zum Einsatz, mit Botschaften wie: „Das Gold unter der dunklen Erde unterscheidet sich nicht vom Stein“. Kunst trifft Döner? So senkt man Hemmschwellen.

Schon mit ihrem Ausstellungsprojekt „Enttäuschung“ war die Kunsthalle in 2020 angetreten für Barrierefreiheit zu sorgen. Das misslang. Zu elitär die Design-Verliebtheit ihrer Kommunikationsmittel. Zu abschreckend ihre kryptischen Endlostexte. Nun also die zweite Runde.

Mehr noch: Barrierefreiheit ist 2021 das Jahresthema der Kunsthalle. Ausgangspunkt, erklärt Direktorin Anna Jehle, seien das Behindertengleichstellungsgesetz und die UN-Behindertenrechtskonvention. Es gehe um die „unterschiedlichen Perspektiven auf die sichtbaren und unsichtbaren Barrieren unseres Zusammenlebens“.

Alles ist zu schnell, zu laut, zu grell, zu funkelnd. Und viel zu wenig übersetzt

Der Anspruch ist ambitioniert: Die Halle löse den Begriff Barrierefreiheit mit den Mitteln der Kunst aus seinem bürokratischen Charakter heraus, „um grundsätzliche und übergreifende Fragen von Ein- und Ausschluss in unserer Gesellschaft zu stellen“. Ein zwischendrin wechselndes Programm von Tyna Adebowale bis Inga Zimperich soll das leisten.

Dass das Fassaden-Banner „Es gibt kein neutrales Außen von Rassismus – jede Person und Institution ist davon berührt“ von Natasha A. Kelly und Hannah Marc bereits nach ein paar Stunden von Unbekannten herunter­geschnitten wurde, zeigt, wie notwendig das ist.

Aber leistet „Barrierefreiheit“, was der Titel suggeriert? Die Filmraum-Installation „We Cannot Skip This Part“ von Anna Erdmann und Franziska Goralski erweckt zumindest zunächst den Anschein. Sie arbeitet mit einem Bodenleitsystem für Blinde, mit Gebärdensprache. Wer den Info-Screen am Eingang nicht sehen kann, hält sich an den Sound eines Deckenlautsprechers oder tastet nach Braille-Punktmustern. Filme, lernen wir, lassen sich auch ohne Sehsinn erfahren, selbst ohne Gehör.

Auch in Alison O’Daniels Klang-, Skulptur- und Video-Installation „I Felt People Dancing“ fühlt sich der Titel der Schau auf den ersten Blick nicht verkehrt an: Hörbeeinträchtigte aus Osnabrück haben der selbst hörbeeinträchtigten US-Amerikanerin vorab Geräuscheindrücke des Ausstellungsorts festgehalten; O’Daniel hat daraus einen tiefblauen Teppich mit Punkten, Pfeilen, Kreisen, Zickzack- und Wellenlinien, Buchstaben gestaltet. Um ihn herum und auf ihm machen Lautsprecher Töne erlebbar, die O’Daniel erzeugt hat, vom hauchzarten Gewisper bis zum berstenden Krachen.

Doch so ambitioniert sich die Schau gibt, die MacherInnen sprechen gar von „Forschung“, so schwächenbehaftet ist sie: Ein Rundgang der taz mit Sozialpädagoge Thorsten Lotze vom Osnabrücker „Büro für Leichte Sprache und Barrierefreiheit“ und seinen Mitarbeitern Osman Sakinmaz und Shpresa Matoshi, beide selbst auf Barrierefreiheit angewiesen, zeigt das deutlich: Ihr Kopfschütteln beginnt schon vor dem Eingang. Der Ausstellungstitel auf dem Außenbanner ist um 90 Grad gekippt und von sinnfreien Design­objekten durchbrochen. Die gewöhnungsbedürftige Schriftart sei für sie „kaum lesbar“, kritisiert Matoshi. „Barrierefreiheit sieht anders aus“, sagt Lotze.

Drinnen setzt sich das fort. Der winzige Text an einem der Glasbaustein-Gräber von Sabrina Röthlisbergers „Sabbatum Fever“ nur eine Handbreit über dem Boden? Nicht gut. Eine Kunsthallen-Mitarbeiterin traktiert Sakinmaz mit dem Wort „haptisch“? Auch nicht gut. Texte auf glänzend beschichtetem Papier, das noch dazu rätselhafte Zweitbotschaften birgt? Film-Untertitel in viel zu schneller Abfolge? Mehrere Lautquellen in einem Raum? Englische Texte, französische, unübersetzt? Ein Raumplan, auf dem die Nummerierung der Kunstwerke mikroskopisch klein ist? Texte mit Wörtern wie „Aprioristen“ und „Ableismus“? Anspruch und Wirklichkeit klaffen hier weit auseinander.

Lotzes Negativ-Liste wird länger und länger. Vor allem die Textflut, ohne die sich Vieles der Schau nicht erschließt, führt zu Frustration: „So viele Wörter!“, sagt Matoshi, ratlos über den Inhalt. „Und so enggequetscht! Das erschlägt dich doch!“

Barrierefreiheit: bis 27. Februar 2022, Kunsthalle Osnabrück

„Mit leichter Sprache hat das nichts zu tun“, sagt Lotze. Texterklärende Bilder? Fehlanzeige. „Ich finde es gut, dass es eine Ausstellung zur Barrierefreiheit gibt“, fasst Shpresa Matoshi zusammen. „Aber ich würde mir wünschen, dass die Orientierung im Museum barrierefrei wäre und mehr Hinweise gibt.“

Und Osman Sakinmaz sagt: „Ich war heute zum ersten Mal in einer Kunsthalle, und es hat mir sehr gut gefallen. Aber wenn ich alleine dort hin gegangen wäre, hätte ich mich nicht zurecht gefunden.“ Gut, die Rampen, die waren barrierefrei. „Aber das war alles.“

Hier werde deutlich, „wie wichtig es ist, eine solche Ausstellung partizipativ zu planen“, sagt Lotze, zusammen mit Menschen mit Lernschwierigkeiten. „Solche Menschen können nicht selbstständig solch eine Ausstellung besuchen.“ Die Kunsthalle lehrt also nicht, sie selbst muss lernen.

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