Magazin für Esskultur: Urlaub im Bauch

Sardellen, Salbei, Artischocken, alles mit einem stilvollen Bild. Das „Splendido Magazin“ präsentiert den Geschmack der Generation Drive Now.

Italienischer Brotsalat

Schenkt altem Weißbrot neue Jugend: die Panzanella Foto: Juri Gottschall

Man geht drauf und ist hin und weg. Corolli della sposa begrüßen mich, Kekse mit rotem Wermut – aus der Toskana, wie ich erfahre –, und ich habe das Gefühl, auf meiner eigenen Zunge zu zergehen. Ein anderes Mal sind es Sardellen, Salbei, Artischocken, alles mit einem schlichten, aber stilvollen Bild versehen und zum sofortigen Daniederknien führend. Splendido heißt das – ja, soll man sagen? – Medium, auf dem Mercedes Lauenstein und Juri Gottschall dieses und etwas mehr als 300 weitere Rezepte und einige Hintergrundartikel zur italienischen Küche und ihren Zutaten darbieten.

2015 als Blog gegründet, führen die beiden Splendido seit 2018 als professionelle Website, mit einem „Strada“ genannten Verzeichnis von Händ­le­r:in­nen ihres Vertrauens und einem „Superstore“, in dem man etwa Motivshirts und bald auch von den beiden empfohlene Lebensmittel kaufen kann. Seit dem letzten Jahr können sie, so verkünden sie stolz, von Splendido leben.

Der Fotograf Gottschall und die Autorin Lauenstein haben sich vor mehr als zehn Jahren beim Jetzt-Magazin der Süddeutschen Zeitung kennengelernt und gehen seitdem gemeinsame Wege – auch privat. „Das ist aber irrelevant, wir begreifen uns hier eher als Team“, erklärt Lauenstein. Und dieses Team funktioniert anscheinend tadellos. „Corona hat uns extreme Zuwächse beschert“, sagt Gottschall. „Die Leute saßen auf einmal zu Hause und konnten fast nur noch für Lebensmittel Geld ausgeben. Ich hoffe natürlich, diese Lust aufs Kochen überdauert die Pandemie.“

Doch nicht nur das Coronavirus dürfte für den Erfolg des Selfmade-Superblogs verantwortlich sein. Splendido trifft einen Nerv, und zwar bei denen, die sich gerne etwas gönnen wollen (und können). Slowfood ins hektische Internet zu bringen, ohne es allzu billig, nostal­gisch oder aufmerksamkeitsheischend aussehen zu lassen, ist eine Kunst für sich. Mit ihrer farbentsättigten, unterkühlten, auf die aufgeräumten und vollendet wirkenden Gerichte fokussierten Ästhetik setzen Gottschall und Lauenstein der Rustikalromantik der Toskana-Fraktionen und ihren Lebensgefühlbörsen wie der „Fattoria La Vialla“ oder „Manufactum“ den Geschmack der Generation Drive Now entgegen.

Lust auf Trash

Eine gewisse Lust am Trash, an den Abgründen des Urbanen, die vor allem Gottschalls Fotografien kennzeichnet (welche es im Superstore zu kaufen gibt), trifft auf minimalistische Strenge. Splendido gründet dabei wie seine analogen Vorgänger vor allem auf einem: der tiefen Sehnsucht der besseren Klassen, auszubrechen aus ihrer eigenen Spießigkeit; wenn nicht geografisch, dann zumindest kulinarisch – in das Land, das nahezu jeder Deutsche am besten zu kennen glaubt.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Die Italo-Welle ist wieder am Rollen, derzeitiger Höhepunkt: das Album der Crucchi Gang, die aus so irreduzibel kartoffeligen Pop­mu­si­ke­r:in­nen wie Sven Regener besteht. Hipster-Alarmstufe grün-weiß-rot. Aber Deutsche aller Schichten „lieben“ bekanntlich Italien und kratzen dabei mindestens am Klischee, wenn nicht am Rassismus: „Ich hab’ sonst nichts was ich dir geben kann / Aber blond bin ich, ist das vielleicht nichts?“, sang Herwig Mitteregger mit Spliff 1982.

„Klar, wir sind uns dieser Gefahr bewusst“, sagt Lauenstein im virtuellen Gespräch. „Aber wir versuchen, uns abseits der Klischees zu bewegen, der Esskultur professionell und kritisch zu begegnen.“ Gottschall stimmt zu: „Was wir immer wieder merken, ist, dass gute Zutaten in Italien auch für die junge Generation eine Selbstverständlichkeit sind. Das ist nicht gleich so seltsam verkrampft wie in Deutschland.“

Vier bis fünf Monate verbringen die beiden im Jahr in Italien. Gerade weil Gottschall und Lauenstein ihre Mission ernst nehmen, dulden sie keine Kompromisse. „Jeder, der jetzt denkt, dass Nudel gleich Nudel ist, braucht dieses Gericht erst gar nicht nachzukochen“, heißt es gebieterisch in einem (und so ähnlich in jedem) ihrer Rezepte. Wer jedes Mal ein Glas Wermut tränke, wenn auf dem Blog „ausgezeichnete“, „ideale“, „feinste“ oder zumindest „beste“ Ingredenzien verlangt und Gerichte beschworen werden, käme nicht mehr zum Kochen. Auch ein Weg gegen die Verkrampfung.

Woher bekomme ich den Mönchsbart?

Auch wenn die beiden die Einfachheit und Bodenständigkeit der Küche betonen, die sie präsentieren, benötigt, wer so kochen will, Zeit, Muße, Überzeugung und einen nicht ganz schmalen Geldbeutel. „Spendido“ sozusagen. „Das ist wie bei Klamotten: Lieber einen guten Pullover für 200 Euro kaufen als fünf schlechte bei Zara“, sagt Mercedes Lauenstein. Und „für zehn Euro kann kein halber Liter hochwertiges Öl in den Verkauf gelangen“, sagt Juri Gottschall. Dafür brauche es bei den richtigen Zutaten keine komplexen Kochfähigkeiten. „Das ist dann nicht die große Wissenschaft“, sagt Gottschall und lacht. Aber wo bekomme ich bitte Favabohnen her? Wilden Mohn? Mönchsbart?

Auch die Rezepte selbst sind nicht ohne, beziehungsweise: viel ohne. Mengenangaben fehlen oft, manchmal ganz. Die beiden empfinden sie als einschränkend, ebenso wie allzu genaue Anleitungen. „Ich finde es so witzlos wie Malen nach Zahlen, mich beim Kochen penibel nach Zutatenliste und Mengenangaben zu richten, mit aufgeschlagenem Kochbuch in der Küche zu stehen und alle 15 Sekunden nachschauen zu müssen, ob ich noch richtig liege in meinem Vorgehen. Kochen ist für mich Meditation und Entspannung und keine Hausaufgabe aus dem Chemieunterricht“, schreibt Lauenstein in einem Artikel auf Splendido über „Das Rezept“. Sie verstehe dieses eher als „freundliche Handreichung“.

Die Küche als letzter und erster Rückzugsort des gestressten Großstadtmenschen, der endlich wieder, wie Lauenstein weiter schreibt, „Subjekt und nicht Objekt der Arbeit“ sein will: Sie und ihr Partner Gottschall haben dieses Prinzip von der Essenszubereitung auf das Geldverdienen ausgedehnt. Journalismus „hand- und hausgemacht“ versprechen sie in ihrem Erklärtext zu Splendido; „Slow Internet“ nennt Gottschall es im Gespräch: „Endlich bin ich nicht mehr Zulieferer, muss nicht mehr andere mit meiner Arbeit überzeugen.“

Sie machen jetzt ihre eigenen Regeln. Unbestechlichkeit gehört dazu. Sie empföhlen nur Produkte, die sie selbst verwendeten und von ihrem eigenen Geld gekauft hätten, erklärt Gottschall. Sie arbeiteten also nicht direkt mit bestimmten Herstellern (etwa von Olivenöl oder Pasta) zusammen, sondern erhielten Provisionen von den Händler:innen, auf die sie zum Beispiel unter einigen Artikeln verlinken, damit die Le­se­r:in­nen die dort genannten Produkte auch kaufen könnten. „Zum Glück mussten wir da noch keine Kompromisse eingehen“, sagt Mercedes Lauenstein. Bald folge außerdem ein Kochbuch, danach hätten viele Le­se­r:in­nen gefragt.

Das wesentliche Produkt, das sie und Gottschall verkaufen, sind aber sie selbst. „Unsere Leser wollen so kochen wie wir“, sagt Gottschall stolz. Natürlich auch ich. Ob es der Placebo­effekt ist? Aber seitdem ich Splendido benutze, schmeckt alles gleich viel besser.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.