Jour­na­lis­t:innen in der Baerbock-Debatte: Top, die Wette gilt

In der Debatte über Annalena Baerbock wird Politik mit einem Pferderennen verwechselt. Inhalte gehen bei dieser Art der Berichterstattung unter.

Pferdehufe wirbeln durch die Luft beim Rennen

Annalena Baerbock ist kein Rennpferd, Jour­na­lis­t:in­nen stehen nicht auf der Tribüne Foto: David Davies/dpa

Der Begriff Horse-Race-Journalism bezeichnet eine Form des Journalismus, der Politik vor allem als Wettbewerb versteht. Bei der Berichterstattung werden besonders gern Metaphern aus dem Sport verwendet, speziell aus dem Pferderennen. Politiker liefern sich dann ein „Kopf-an-Kopf-Rennen“, sie schießen „Eigentore“, um nur zwei Beispiele zu nennen. Der Begriff ist nicht wertfrei, sondern problematisierend gemeint: Bei dieser Form der Berichterstattung, so die Kritik, gingen Inhalte unter, es ginge nur noch ums Gewinnen und Verlieren.

Man kann dies gerade in fast allen Medien beobachten, die über den Bundestagswahlkampf berichten. Auch in der taz. Gerade erschien in dieser Zeitung ein Kommentar, der argumentiert, dass Annalena Baerbock zu viele Fehler gemacht habe und die Grünen deshalb nun Robert Habeck zum Kanzlerkandidaten machen sollten. Die Kollegin verwendet dafür ausgerechnet eine Metapher aus dem Pferdesport. Es sei ungewöhnlich, „im Galopp das Pferd zu wechseln“, aber noch sei es nicht zu spät.

Natürlich hat Baerbock im Wahlkampf politische und strategische Fehler gemacht, die Jour­na­lis­t:in­nen aufklären und kritisieren sollen. Aber Jour­na­lis­t:in­nen stehen nicht, um im Bild zu bleiben, auf der Tribüne einer Pferderennbahn, um für das Wettbüro die Quoten festzusetzen. Leser sind Wähler, keine Glücksspieler. Und Annalena Baerbock ist kein Rennpferd.

Inhalte gehen bei dieser Art der Berichterstattung unter. Es geht nicht mehr darum, welche Pläne die Kan­di­da­t:in­nen für das Amt haben, sondern darum, wer sich geschickter anstellt, wer weniger Fehler macht.

Verfehlte Kritik

Studien zeigen, dass Horse-Race-Journalismus in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen hat. Das liegt auch an der Vervielfachung von Wahlumfragen, die im Wochenrhythmus neue Zahlen liefern. Auf jede Schwankung wird im Leitartikel reagiert: Baerbock schwächelt, Laschet stärker als erwartet. Manche Studien legen sogar nahe, dass Horse-Race-Journalismus die Politikverdrossenheit der Le­se­r:in­nen steigert, die politische Kompetenz abnimmt und die Wahlbeteiligung sinkt, wenn Politik nur noch als Entertainment konsumiert wird.

Wäre Robert Habeck statt Annalena Baerbock Kanzlerkandidat geworden, es würden in diesen Wochen die gleichen Kommentare erscheinen, vermutlich von anderen Autorinnen, vielleicht aber auch nicht. Auch Habeck hätte bereits einige Fehler gemacht, er hätte bei seiner Steuererklärung zu viele Pendlerkilometer angegeben oder in einem Interview den Paragrafen 13 Absatz 2 des Parteiprogramms vergessen. Und schon würde es heißen: der Luftikus, er kann es nicht. War ja klar. Sie ist halt fleißiger als er. Und wieder wäre es nicht um das Programm gegangen.

Natürlich ist die Glaubwürdigkeit des Personals wichtig für die Frage, ob eine Partei bei Wahlen Erfolg hat. Aber es ist nicht das einzige Kriterium. Jour­na­lis­t:in­nen sollten sich mit derselben Hartnäckigkeit auf die Widersprüche des grünen Wahlprogramms und die Forderungen der Grünen stürzen wie aktuell auf die Fehler von Annalena Baerbock. Es gäbe da genug zu kritisieren: die homöopathische Erhöhung von Hartz IV, die Koalitionsfrage, die Erbschaftssteuer, um nur einiges zu nennen.

Aber Jour­na­lis­t:in­nen sollten sich auf die Zunge beißen, wenn sie Parteien gute Ratschläge geben wollen, was sie zu tun und wen sie auszuwechseln haben. Es ist nicht ihre Aufgabe.

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