Nachtzugverbindungen in Europa: Im Schlaf ans Ziel

Mit dem Nachtzug kann man von Berlin neuerdings bis Stockholm reisen. Die Stadt soll mal ein Drehkreuz werden – noch fahren Züge aber eher über Prag.

Nachtzug Berlin

Fährt bis September täglich: Der erste private Nachtzugs zwischen Berlin, Kopenhagen und Stockholm Foto: Christophe Gateau / dpa

BERLIN taz | Mit dem Sommer und schwindenden Coronabeschränkungen wächst die Lust am Reisen. Im Sinne des Klimaschutzes wäre es da gut, auf die Bahn zu setzen. Je länger die Strecke, umso eher sind Nachtzüge vorteilhaft. So kann man die Distanz von Berlin zum Ziel schlafend zurücklegen. Doch schon vor der Pandemie war das Angebot nicht üppig. 2016 war die Deutsche Bahn komplett aus dem Nachtzuggeschäft ausgestiegen. Übrig blieben ausländische Anbieter. Und die Coronakrise hat weitere Lücken ins Netz gerissen. Doch nun tut sich was.

Jüngstes Beispiel ist der Nachtzug Snälltåget nach Stockholm. Der Zug wird von der privaten Transdev-Gruppe betrieben. Von Berlin geht es über Hamburg und Kopenhagen nach Stockholm. Ende Juni gab es die Einweihungsfahrt. Start ist in Berlin nicht am Hauptbahnhof, sondern aus Kapazitätsgründen am Bahnhof Gesundbrunnen. Stockholm wird um 14.20 Uhr am Folgetag erreicht. In der Gegenrichtung geht es in Stockholm um 16.20 Uhr los, Berlin wird um 8.52 Uhr am Folgetag erreicht. Der Zug fährt bis zum 5. September täglich, danach mittwochs und samstags. Tickets gibt es auf der Webseite. Allerdings ist die Webseite bisher nur auf Schwedisch und Englisch zugänglich. Die Preise variieren je nach Reisezeitpunkt und Komfort. Los geht es bei etwa 50 Euro.

Wer sich nicht allein auf fremdsprachige Webseiten und die mühselige Suche über die Deutsche Bahn verlassen will, kann sich beraten lassen. In Berlin ist die Bahnagentur Schöneberg in der Crellestraße auf internationale Verbindungen spezialisiert. Martin Kopetschke kritisiert, dass die Bahnunternehmen bisher zu sehr auf ihren jeweiligen Heimatmarkt orientiert sind. Dabei seien die meisten europäischen Länder allein einfach zu klein für ein Nachtzugangebot.

Neue Verbindungen

Weitere Verbesserungen deuten sich an. Ab 2022 soll eine neue Nachtzugverbindung Prag mit Dresden, Berlin, Amsterdam und Brüssel zunächst dreimal in der Woche verbinden. Das tschechische Verkehrsunternehmen Regiojet arbeitet dabei mit dem niederländischen Start-up European Sleeper zusammen. Die Züge sollen abends in Prag abfahren und am frühen Vormittag in der belgischen Hauptstadt eintreffen. In umgekehrter Richtung geht es am frühen Abend in Brüssel los. Für Nachtzugfahrten von Berlin aus dürfte der Zug also vor allem in Richtung Brüssel interessant sein.

Die Hardware kommt von Regiojet. Vorgesehen seien Schlafwagenabteile für ein bis drei Personen, Liegewagen mit Abteilen für vier bis sechs Personen und Sitzwagen, sagte Geschäftsführer Elmer van Buuren der taz. Zudem ist kostenloses Internet vorgesehen. Tickets von Berlin nach Brüssel im Liege- oder Schlafwagen soll es ab 59 Euro geben. „Je mehr Komfort und Privatsphäre man wünscht, umso höher der Preis.“ Außerdem können die Ticketpreise je nach Nachfrage schwanken.

Bald sollen weitere Verbindungen auch über Berlin gehen Foto: infotext

Bei European Sleeper ist man optimistisch, dass die Verbindung im April 2022 starten kann. Im Mai hat das Start-up nach eigenen Angaben 500.000 Euro Startkapital von 350 Anteilseignern eingesammelt. Am Fahrplan werde derzeit noch gearbeitet, so van Buuren. Er gehe aber davon aus, dass man in Berlin gegen 23.30 Uhr in den Zug nach Brüssel steigen könne. In der Gegenrichtung sollen die Züge aus Brüssel Berlin gegen 6 Uhr erreichen.

Mehr politischen Rückenwind für Nachtzüge wünscht sich Peter Cornelius. Der Vorsitzende des Fahrgastverbands Pro Bahn Berlin-Brandenburg sieht gerade in Pandemiezeiten Nachtzüge als das beste Verkehrsmittel. „Man kann ein ganzes Abteil für sich und die Familie buchen.“ Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) wünscht auch mehr Nachtzüge. Berlin solle Drehkreuz des europäischen Nachtzugverkehrs werden, hieß es im Frühjahr, als der Senat eine entsprechende Machbarkeitsuntersuchung in Auftrag gab. Im Laufe des Sommers soll es Ergebnisse geben.

Sechs Verbindungen täglich nach Prag

Einstweilen sieht es so aus, als ob Prag sich zu so einem Drehkreuz entwickelt. Glücklicherweise ist die tschechische Hauptstadt per Bahn von Berlin aus sechsmal täglich direkt erreichbar. Zum Beispiel betreibt Regiojet bereits Nachtzüge zwischen Prag und der ostslowakischen Stadt Košice. Wer also in Berlin in den Eurocity um 15.36 Uhr nach Prag steigt, kann dort abends bequem in den Nachtzug wechseln. Auf dem Weg nach Košice wird auch in der Hohen Tatra gehalten. Der Zug fährt täglich. Ein ähnliches Angebot gibt es von Prag auch von Leo Express, allerdings passt dafür der Anschluss aus Berlin am Nachmittag nicht so gut.

Im Laufe des Jahres soll bei Regio­jet eine Verbindung zwischen Prag und dem ukrainischen Lwiw hinzukommen. Die alte Hauptstadt Galiziens steht wegen ihres komplett erhaltenen historischen Stadtkerns auf der Liste des Unesco-Welterbes und eignet sich auch als Ausgangspunkt für eine Reise in den ukrainischen Teil der Karpaten. In die ukrainische Hauptstadt Kiew gibt es täglich mehrere Zugverbindungen. Nachtzüge sind in der Ukraine häufig und preisgünstig. Tickets können einfach über eine App auf Englisch gebucht und auch zurückgegeben werden.

In die gleiche Richtung konnte man von Berlin auch die Züge der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) nutzen. Die ÖBB-Nachtzüge aus Berlin Richtung Wien und Budapest führen nämlich nach Pandemiepause auch wieder Kurswagen nach Przemyśl mit. Die Stadt liegt im Südosten Polens kurz vor der Grenze zur Ukraine. Los geht es um 18.29 Uhr am Berliner Hauptbahnhof, in Przemyśl kommt der Zug um 8 Uhr morgens an. Allerdings fehlt derzeit noch der direkte Anschluss, den es im vergangenen Sommer noch gab. Mit der Aufhebung von Reisebeschränkungen dürfte das aber wieder ein Thema werden.

Wen es Richtung Mittelmeer zieht, könnte ein weiteres Angebot von Regiojet interessant finden. Das tschechische Unternehmen bietet nach seiner Verbindung von Prag nach Rijeka nun auch einen umsteigefreien Nachtzug nach Split weiter südlich an der kroatischen Adriaküste an. Die Ticketpreise liegen derzeit bei etwa 68 Euro im Liegewagen. Gebucht werden kann online. Abfahrt in Prag täglich um 16.46 Uhr. Um 13.44 Uhr am nächsten Tag fährt der Zug in den Bahnhof von Split ein. Das Gleis endet dort direkt am Strand.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.