„Die Angst ist weg“

Meine Fahrradzeit endete vor 24 Jahren mit einem rechts abbiegenden Lkw. Er hat mich angefahren, ich war der zweite Sieger. Damals habe ich gerade für einen Marathon trainiert. Der Traum hatte sich ausgeträumt, ich kann von Glück sprechen, dass ich überlebt habe. Aufs Fahrrad habe ich mich dann nicht mehr getraut – bis zum letzten Jahr und einer sehr hilfreichen Hypnosebehandlung. Im Urlaub auf Hiddensee habe ich mir dann ein Rad geliehen und den Sattel so niedrig gestellt, dass ich mit beiden Beinen auf dem Boden stehen konnte. Da wusste ich, dass es wieder geht.

Durch Zufall habe ich von der Berliner Radfahrschule für Erwachsene erfahren. Ich wollte endlich wieder richtig fahren können und meldete mich an. Der Lehrer war unfassbar toll. Eigentlich fängt man mit Rollern an, aber schon in der dritten Stunde hat er mich aufs Fahrrad gesetzt. Ich hatte solche Angst. Er hat das Fahrrad festgehalten und zu mir gesagt: „Jetzt üben Sie mal, auf- und abzusteigen und ich kümmere mich um den nächsten Patienten.“ Und bis er wieder bei mir war, bin ich schon gefahren und vor Stolz fast vom Rad gefallen. Ich glaube, das war seine Absicht. Wahrscheinlich wusste er auch, dass es besser ist, wenn er mir nicht zuschaut.

Meine erste Fahrt ging in einen Park in meiner Nachbarschaft. Der ist nicht weit weg, so 300 Meter. Mit allem, was dazugehört: Rechts vor links, die Müllabfuhr kam vorbei. Es war schon das ultimative Erlebnis für mich, das alleine zu machen. Jetzt dehne ich meinen Radius so langsam aus. Zwei, drei Mal in der Woche fahre ich zum Kräuter sammeln in den Park. Es gibt dort zwar immer weniger Kräuter, aber genügend – wenn man weiß, wo sie zu finden sind! Von einem Lkw möchte ich noch nicht überholt werden, aber die Angst vor dem Fahrrad ist weg. Ich komme nach dem ersten, zweiten Anstupser in Fahrt. Und das ist so das pure Glück!

Maria Bernhardt, 64, war Buchhändlerin und träumt davon, mit dem Fahrrad in die S-Bahn zu steigen und an den See zu fahren.