Grüne Funklöcher

Während die Grünen auch in ostdeutschen Städten beliebter werden, gelten sie im ländlichen Raum weitgehend als Verbotspartei. Kann sich das ändern?

Foto: Aron Boks

Von Aron Boks

Das Wahltagebuch beleuchtet die Bundestagswahl aus Sicht des Wahl-Camps der taz Panter Stiftung.

Wer im ländlichen Raum von ­Sachsen-Anhalt aufgewachsen ist, weiß: Die großen Städte sind schwer zu erreichen. Keiner erfährt dies gerade deutlicher als die Grünen im Osten Deutschlands. Wenn auch auf umgekehrte Weise. Während ihre Beliebtheit vor allem in den Städten sich durch zweistellige Wahlergebnisse ausdrückt, halten gerade die Wäh­le­r:in­nen im ländlichen Raum die Partei auf Distanz und in vier von fünf Parlamenten im einstelligen Bereich. In Mecklenburg-Vorpommern ist sie gar nicht vertreten. Das Problem der Grünen: Der ländliche Raum kann gut ohne sie, sie aber nicht ohne den ländlichen Raum. Denn dort lebt der Großteil der ostdeutschen Bevölkerung.

Deren Stimmungsbild erweckt den Eindruck, dass die Grünen außer Klimapolitik nichts zu bieten hätten, wofür andere Parteien und vor allem die CDU nicht bereits sorgen würden, ohne Risiken. Vor allem nicht, wenn es um die altbewährten Themen wie: Strukturprobleme, Ungleichheit zwischen Ost und West, Verbesserung des Digitalnetzes und innere Sicherheit gehe.

Trotzdem generiert ein Schild an einem Bauernhof im Dorf Langeln im Harz, Sachsen-Anhalt, Aufmerksamkeit. Darauf steht: „Unser Hof hat Napoleon, Hitler, Stalin und Co. überlebt. Unser Hof überlebt auch die Grünen!“ Angebracht hat es der Hofherr und Bauer Botho Festerling. „Was die Grünen da vorhaben, ist Enteignung. So war es bei Hitler, so war es bei Stalin“, sagt er. „Die wollen uns das Eigenheim wegnehmen und uns Elektroautos aufzwingen. Wo soll überhaupt der ganze Strom herkommen? Das ist doch Kasperletheater.“

Cornelia Lüddemann, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag von Sachsen-Anhalt, kennt Slogans wie die des Schildes und hat bei einem Besuch in ihrem Büro in Dessau-Roßlau gleich einen weiteren auf Lager: „Lieber ein Dorf im Grünen als einen Grünen im Dorf.“ Zwar konnte sich ihre Partei bei den Landtagswahlen 2021 im Vergleich zu 2016 um knapp einen Prozentpunkt auf 5,9 Prozent steigern. Wie es aussieht, wird sie dennoch nicht an einer neuen Koalition beteiligt sein. Im ländlichen Raum hätten die Grünen hier zudem, so Lüddemann, keine Fortschritte gemacht.

Umweltschutz können auch andere Parteien

„Wir überlegen beständig, wie wir das ändern können. Aber: Uns fehlen, ehrlich gesagt, noch die Ideen. Dabei wollen wir weder von jetzt auf gleich alles ändern noch eine Revolution erzwingen.“ Cornelia Lüddemann wünscht sich grüne Kom­mu­nal­politiker:innen, die vorleben, dass „grün“ nicht zwangsläufig radikale Veränderung bedeutet. Sie selbst sei ja beispielsweise in ihrem Wohn- und Arbeitsort auf ein Auto angewiesen. „Wir wollen aber die Welt verändern.“ Sind es vielleicht genau solche Aussagen, die in einer weitgehend konservativ regierten Bevölkerung auf Skepsis stoßen?

Aron Boks geboren 1997 in Wernigerode, lebt als Slam-Poet und Autor in Berlin. Er schreibt für diverse Zeitungen und Magazine. Einmal hat er sogar einen Weihnachtsforscher aufgespürt und interviewt. Sein letztes Buch „Luft nach unten“ erschien 2019. Im selben Jahr erhielt er den Klopstock Förderpreis für Neue Literatur.

Cornelia Lüddemann selbst wisse um die Risiken, die das verblüffend transparente Wahlkampfverhalten der Grünen mit sich bringt. Gerade im Osten, dessen Bür­ge­r:in­nen zum großen Teil von Transformations­erfahrungen der Wende geprägt sind und diese auch, so Lüddemann, an die Nachfolgegeneration weitergeben.

„Es geht dabei nicht um Angst“, sagt Lukas Paulix auf einem Pferdehof im Harz. „Du kannst doch aber keinem erzählen, dass er noch mehr Geld für Sprit bezahlen und im besten Fall gar kein Auto fahren soll. Das wirkt realitätsfern! Und das ist das Problem der Grünen.“

Lukas Paulix ist 23 Jahre alt, wurde nach einem dualen Studium Bauleiter für Ingenieurbau und arbeitet zusätzlich als Pferdevorführer auf Auktionen in ganz Deutschland und Großbritannien. Er wähle FDP und empfinde den Umweltschutz als wichtig. „Aber das können doch auch andere Parteien!“

Paulix’ Reitlehrerin wird noch konkreter: „Die Grünen brauchman wie’n Loch im Kopf.“ Zwar wollen die Grünen die ländliche Bevölkerung erreichen, fürchten aber das Dorf und halten sich davon fern. Und die meisten dort scheinen auch zu wollen, dass das so bleibt. Ein Teufelskreis? „Auf keinen Fall“, sagt Ulrike Berger. Sie ist Fraktionsvorsitzende der Grünen-Kreistagsfraktion im Landkreis Vorpommern-Greifswald. „Wir haben uns immer Kooperationspartner gesucht aus der Bevölkerung und mit Stiftungen gearbeitet, Institutionen und Künstler:innen“, sagt sie. „Das kam gut an. Ich finde, dass man Politik nicht alleine macht, sondern gemeinsam mit anderen Leuten etwas bewirken kann.“ Aber ­warum fällt es den Grünen fernab der Städte schwer, überhaupt erst Gehör zu finden? Zurück nach Sachsen-­Anhalt.

Kommunikation ist der ­Schlüssel

„Ausschließlich städtische Themen verschrecken die Wähler auf dem Land“, sagt Sascha Schröder, Pressesprecher der Grünen im Salzlandkreis, im geografischen Zentrum des Landes. „So wäre es zum Beispiel besser, wenn wir beim Thema Klimawandel zuerst davon erzählen würden, was für einen Nutzen CO2-Einsparungen mit sich bringen: nämlich neue Arbeitsplätze. Wir müssen kommunikative Brücken bauen.“

Botho Festerling sei auch mit der Agrarpolitik der Großen Koalition unzufrieden. Genau diese Agrarpolitik würde aber, so Festerling, von den Grünen gesteuert werden. Deswegen fuhr er im November 2019 fast dreizehn Stunden auf einem Traktor nach Berlin, um seinen Missmut gemeinsam mit Tausenden von anderen Landwirten vor dem Brandenburger Tor kundzutun. „Natürlich würde ich auch hier mit den Grünen reden“, sagt er und lacht. „Aber die wollen ja nicht mit mir reden.“

Kommunikation, da scheinen sich Bevölkerung und Partei einig, ist der Schlüssel. Um als „Partei der Veränderung“ (Robert Habeck) überhaupt gehört zu werden, müssten die Grünen im Osten aber ihr Image der Verbotspartei loswerden und attraktive Angebote für den ländlichen Raum schaffen, ohne die Bevölkerung zu verunsichern.

Vielleicht braucht es noch Legislaturperioden des Gewöhnens. Gleichzeitig signalisieren die Grünen, dass dafür eigentlich mit Blick auf den Klimawandel keine Zeit bleibt. Ein Problem, das andere Parteien, in den Augen vieler Wäh­le­r:in­nen, ebenfalls an­gehen würden. So wird der Weg für die Grünen ohne einen drastischen Strategiewechsel im Osten immer wieder an Kommunikationsbarrieren stoßen. Und ungeschickte Annäherungsversuche können leicht als Fehltritte bewertet werden. Diese fallen dort besonders im engsten, ländlichen Raum auf. 
Hier berührt fast jede Handlung anderer das eigene Territorium. Das füttert die Skepsis. Oder um es mit Heinrich Bölls Worten zu sagen: „Nicht einmal der Teufel kann so scharfe Augen haben wie Nachbarn.“