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Der Grundstein ist gelegt

Die Living in Metropolises operiert genossenschaftlich – und europaweit. Sie will bis 2050 rund 50.000 Wohnungen bauen, entkoppelt von turbokapitalistischen Mietmärkten

40 Wohnungen in Berlin für Singles, Familien und WGs Foto: tafkaoo architects

Von Dierk Jensen

Was haben das baltische Jelgava, die finnische Hauptstadt Helsinki und das wuselige Berlin gemeinsam? Wer mit Dirk Lönn­ecker, Vorstandsmitglied der Living in Metropolises (LiM), der ersten europäischen Wohnungsgenossenschaft mit dem europäischen Genossenschaftstitel SCE (Societas Cooperativa Europaea), spricht, erfährt es: In allen drei Städten plant die LiM genossenschaftliche Bauprojekte, die die Grundsteine für ein europaweit vernetztes genossenschaftliches Bauen setzen. Während in Lettland und Finnland zwar erst die Grundstücke gesichert sind, nähert sich im Berliner Stadtteil Treptow-Köpenick ein Neubau der LiM in der Ewaldstraße schon der Vollendung. 40 Wohnungen sind dort in wenigen Wochen bezugsfertig. Dann sollen Singles, Familien und Wohngemeinschaften in das mit einer mehrschichtigen Holzfassade aus Lärchenholz ausgestattete Haus einziehen.

Das Pilotprojekt der LiM liegt in Treptow-Köpenick, zwischen dem Berliner Flughafen, der Unesco-Welterbe-Siedlung Gartenstadt-Falkenberg und dem Universitätsstandort Adlershof. Im Gebäude werden nachhaltige Materialien verbaut, die Energieversorgung ist klimaneutral konzipiert. So kann der zukünftige Strombedarf zu großen Teilen über eine Photovoltaikanlage auf dem Dach abgedeckt werden, während die Wärme aus der Erde mit Wärmepumpen kommt. Auch an die Insekten ist gedacht worden: Das Beleuchtungssystem soll sie geringstmöglich beeinträchtigen.

Mit dabei ist, als Generalmieterin des Gebäudes, die traditionsreiche Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 eG. Für Dirk Lönn­ecker setzt das LiM-Projekt in der Ewaldstraße einen ersten Akzent für kommende genossenschaftlich wie nachhaltig inspirierte europäische Bauprojekte im städtischen wie metropolitanen Umfeld. „Wir setzen beim Wohnen zwischen Eigentum und Miete voll auf den dritten Weg, nämlich den des genossenschaftlichen Bauens, der die Bewohner vor den Turbulenzen des Wohnmarktes langfristig schützt“, unterstreicht er die Vorteile genossenschaftlich gedachter Wohnungsbaukonstrukte.

Rendite: 3 Prozent

Wie aber immer im richtigen Leben gibt es letztlich auch unter Genossinnen nichts umsonst. Wer beispielsweise im zweigeschossigen Haus in der Ewaldstraße wohnliche Wurzeln schlagen möchte, der muss sowohl einen LiM-Anteil in Höhe von 1.000 Euro zeichnen als auch an den Vermieter 1892 eG Anteile in Höhe von 2.400 Euro zahlen. Wer das kann, dem winken neben einem bezahlbaren Mietvertrag auch noch eine Rendite von – in diesen Zeiten – fast rosigen drei Prozent.

Dabei ist Lönnecker der Blick über den eigenen Tellerrand sehr wichtig. Er verweist auf das LiM-Projekt in Jelgava, einer 60.000 Einwohner zählenden Stadt südlich der lettischen Hauptstadt Riga, in der die städtebaulichen Spuren der sowjetischen Ära noch deutlich zu erkennen sind. „Dort wollen wir 110 Wohnungen nach nachhaltigen Standards errichten“, erläutert er. Und dann springt er gedanklich kurz über die Ostsee auf die finnische Seite, wo neben einem großen Kohlekraftwerk, das stillgelegt werden soll, ein neuer Stadtteil mit ambitionierten Umweltstandards entstehen soll. Auch da ist die LiM aktiv und will mit 70 Wohneinheiten genossenschaftliche Wohnidentität entwickeln.

Das Ziel der im Mai 2018 gegründeten Genossenschaft ist dabei klar definiert: „2050 wollen wir 50.000 Wohnungen europaweit gebaut haben.“ Mittlerweile hat die LiM in sieben europäischen Ländern Mitglieder und zählt inzwischen über 1,4 Millionen Euro Eigenkapital. Das klingt viel, ist aber angesichts der großen, europaweit agierenden Betongold-Industrie eher bescheiden wenig. Daher mutet die Pressemitteilung zur Grundsteinlegung in der Ewaldstraße etwas blumig an, in der Maren Kern, Vorstandsmitglied des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen, zitiert wird: „Es ist typisch für die Genossenschaftshauptstadt Berlin, dass hier wieder mit einem innovativen und wegweisenden Projekt Neuland betreten wird.“

Unterdessen ist Lönnecker im Namen der LiM fest davon überzeugt, dass eine starke, europäisch gedachte baugenossenschaftliche Bewegung ein wichtiges Gegengewicht für „einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen im Mietwohnungsmarkt“ werden kann. Mit dem Ziel: endlich aus der nicht mehr enden wollenden Preisspirale steigender Mieten und Kaufpreise herauszukommen – und damit gerade jungen Leuten ohne reiche Herkunft wieder eine Chance auf preiswertes Wohnen und einen gewissen Anspruch an eine Lebensqualität zu geben. Ansonsten platzt der Traum einer lebenswerten Metropole.

Dass tatsächlich viele keine Lust mehr auf den Mietenwahnsinn verspüren, machte erst kürzlich eine Wohnraumstudie der Interhyp AG, einer großen Vermittlerin privater Baufinanzierung, sichtbar. Daraus ging hervor, dass nur noch 18 Prozent der 18- bis 25-Jährigen in der Großstadt leben wollen würden. Ob die Befragten die genossenschaftlichen Ideen und nachhaltigen Ansätze von der LiM kennen, darf bezweifelt werden.