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: Zumindest die Gefühle stimmen für alle

Wie lange die Freude über jedes maskenfreie Gesicht, jedes Wiedersehen, jedes Zuprosten wohl anhält? Momentan fühlt sich zumindest alles noch an wie beim ersehnten Land-in-Sicht-Ruf nach einer anderthalbjährigen Odyssee: Die 22. First Steps Awards, die Preise für den deutschen Filmnachwuchs, wurden am Montag zum zweiten Mal am Holzmarkt verliehen, hygienisch-sicherheitstechnisch kleingeschrumpft und selbstredend teilweise maskiert. Aber Hauptsache Filme, Hauptsache Menschen, Hauptsache Hoffnung.

Auch die erzählten Geschichten lassen sich so lesen: Barbara Colceriu bekam den Götz-George-Schauspielpreis für ihre Hauptrolle in „Liebe, Pflicht & Hoffnung“ verliehen, einer von jenem unfassbaren „Fall Emmely“ (Kassiererin-Pfandbon-Kündigung) inspirierten Tragikomödie. Zu Recht: Colceriu bewegt sich mit stoischer Würde durch Maximilian Conways Kurzspielfilm und verleiht der Musikerin, der nach einem Job im Supermarkt gleich noch einer im Späti gekündigt wird, anbetungswürdige Grandezza, der sich auch ein recht romantisch veranlagter Gerichtsvollzieher nicht entziehen kann. Da dürfen natürlich herrlich und berechtigt die Tränen fließen – zunächst auf der Leinwand beim Zwiebelschneiden, später bei der Annahme des Preises. Monica Vanessa Tedjas Gewinner-Kurzfilm „Dear to Me“ über einen jungen Indonesier, dessen strenggläubige Eltern Gott um Hilfe anflehen, damit der Sohn seine „sexuelle Orientierung überwinden kann“, ist ebenfalls hoch emotional. Und die Do­ku­men­tar­film­preis­ge­win­ne­r:in­nen Tim Ellrich und Hien Mai möchte man ohnehin am liebsten drücken für ihr zartes, einsames und trauriges Familienporträt „Mein Vietnam“. Sogar im Falle des „No Fear“-Produktionspreises für den großartigen Film „Nico“ ist die Produzentin, Hauptdarstellerin und Regisseurin Sara Fazilat fast so nah am Wasser gebaut wie die Veranstaltung selbst (im räumlichen Sinne – man schaut beim anschließenden distanziert-euphorischen Sekttrinken schließlich auf die Spree).

Aber Umarmen ist ja nicht. Stattdessen herrscht an den Stehtischen am Ufer freundliches Spekulieren darüber, ob die Filmbranche je wieder dieselbe sein wird (nein), ob die Berlinale im Sommer eine gute Idee war (nein, Freiluftkinos sind schön und voller drolliger Fledermäuse, bieten aber keine echte Chance auf Eskapismus: Wie soll man denn bis über beide Ohren in einen Film einsteigen, wenn sich um einen herum die Natur so eindrücklich aufdrängt und die Hälfte der Be­su­che­r:in­nen eh gerade mit frischen Bierflaschen zwischen den Stühlen herumklimpert?) und ob Humor genera­tio­nenübergreifend funktioniert (klares Nein, bei der Moderation der Veranstaltung wurden Memes thematisiert und ein paar Beispiele gezeigt, und je nachdem, an welchen Tischen im Säälchen gelacht wurde, ließen sich quasi die Geburtsjahrgänge identifizieren.)

Letzteres ist übrigens überhaupt nicht schlimm: Humor war immer schon gruppendefinierend, wichtiger ist, ob die im Film gezeigten Gefühle für alle stimmen. Und die stimmten.

Ein weiterer Vorteil bei den First-Steps-Preisen, die neben abendfüllenden Spielfilmen traditionell kurze und mittellange Werke auszeichnen: Die vielen langen Filme, die ab der Kinoöffnung am 1. Juli im Sekundentakt in die Welt geschleudert werden sollen, laufen Gefahr, allein aus Zeit- und Platzgründen teilweise unterzugehen – denn ach, wer soll sie denn alle ankündigen und vor allem gucken? Man würde ja gern, aber der Tag hat nur 24 Stunden, das sind im Durchschnitt (ohne den ohnehin überbewerteten Schlaf) zwölf Langfilme. Im gleichen Zeitraum lassen sich jedoch 48 oder 72 oder sogar noch mehr Kurzfilme schauen! Also nichts wie ran. Jenni Zylka