Videokunst in der Halle am Berghain: Die Schlangen des Spreewalds

Unter dem Pflaster Berlins ist Sumpf. Jakob Kudsk Steensen erzählt davon in seiner Ausstellung „Berl-Berl“ von in der Halle des Berghain.

Drei grünlich leuchtende Bildschirme, Blick in die Ausstellung

Eine Künstliche Intelligenz steuert Bild und Ton in der Ausstellung Foto: Timo Ohler

Die Natur existiert auch unabhängig vom Menschen – und kommt auch ganz gut ohne ihn aus. Menschen jedoch gibt es nicht ohne die Natur. Das wird in Städten gerne mal vergessen, also an jenen Orten, in denen die Natur vor vielen Jahrhunderten einst umgepflügt, planiert, eingezäunt und mit Lehm, Stein oder Beton, quasi einer zweiten, menschengemachten Natur versiegelt wurde.

Bis auf ein paar einsame Bäume am Straßenrand, vom Balkon winkenden Rosen oder Urban-Gardening-Flächen ist von ihr in urbanen Räumen nicht mehr viel sichtbar. Zugleich wurde ein Distanzverhältnis des Menschen zur Natur konstruiert, das einst Vernunft getauft wurde, mit der man sich die Natur vom Leib halten und aus dem Bewusstsein verdrängen kann.

Beim Spazieren durch Berlin denken womöglich wenige daran, dass sich unter dem Asphalt mal eine Sumpflandschaft befand. Dass „Berl“, der Ursprung des Wortes Berlin, aus dem Sorbischen stammt und Sumpf bedeutet. Dass man beim Warten in der Schnelltestschlange ohne den Asphalt ziemlich schnell nasse Füße bekommen und im Boden einsinken würde.

Solche mentalen Zeitsprünge drängen sich auf nach dem Besuch der audiovisuellen Installation „Berl-Berl“ des dänischen Künstlers Jakob Kudsk Steensen in der Halle am Berghain. Sie ist von ebenjener Tatsache inspiriert, dass die Hauptstadt auf eine Sumpflandschaft gebaut ist, die von einem 10.000 Jahre alten Gletschertal geformt und im 18. Jahrhundert trockengelegt wurde. Vielleicht ist das eingebildete Einsinken auf dem Bürgersteig ein passendes, wenn auch an den Haaren herbeigezogenes Bild für den aktuellen Trend zu audiovisuellen Kunstformen – ist doch Immersion seit einigen Jahren Buzzword der Stunde – derzeit wohl auch, weil Konzerthäuser und Clubs geschlossen sind oder nur langsam wieder den Betrieb aufnehmen. Oder, wie im Fall des Berghains, in Kunstorte verwandelt wurden.

Pflanzen, Steine, Wolken

In der dortigen Halle steht im Zentrum der in Kooperation mit der Plattform LAS entstandenen und von Emma Enderby kuratierten Installation eine Art Triptychon. In deren Mitte steht eine Leinwand in Kinogröße, flankiert von zwei kleineren Bildschirmen. Sie zeigen, wie die anderen auf zwei Stockwerken verteilten Bildschirme, animierte Filme einer Sumpflandschaft im Spreewald.

„Berl-Berl“, Halle am Berghain, Mo–Do 13–22 Uhr, Fr+Sa 11-23 Uhr. Ein Zeitslot-Ticket muss gebucht werden. Bis 26. September

Das Quellmaterial stammt von Tausenden Fotos, die der Künstler bei Wanderungen und Kanufahrten geschossen hat, um sie im Studio in 3-D-Modelle umzuwandeln und zu bearbeiten. Er sei dabei oft regelrecht herumgekrochen und habe auch einzelne Steine oder Pflanzen aus etlichen Perspektiven abgelichtet, erklärt Steensen bei der Eröffnung im Hemd mit Botanik-Design.

Die Pflanzen, Steine, Wolken und Uferlandschaften sind mal in Nahaufnahmen, mal aus weiter Entfernung zu sehen, in einer Ästhetik, die an Videospiele erinnert. Gelegentlich tauchen Falter auf, die von Modellen realer Tiere aus dem Berliner Naturkundemuseum stammen, mit dem Steensen zusammengearbeitet hat.

Von Wissenschaftlern erfuhr er auch von den vielen Mythen, die seit Jahrhunderten Berlins und Brandenburgs Landschaften umwehen – und ihn zum Beispiel dazu inspiriert haben, die Baumwurzeln manchmal wie Schlangenhäute aussehen zu lassen. Eine Lexikonrecherche verrät, dass Schlangen im Spreewald den Sagen zufolge für Schutz und Sicherheit sorgten.

Steensens ­multimediales Prinzip umfasst neben Fotos und Texten vor allem auch Klänge. Nicht nur das zu Sehende ist in eine Art Collage geformt, auch der Soundtrack besteht aus einem Mix aus synthetischen und natürlichen Sounds. Zu hören sind zum einen Vogel- und Tierklänge aus dem Tonarchiv des Naturkundemuseums, zum anderen synthetische Sounds und die Musik von Matt McCorkle und der Sängerin Arca. Deren helle Gesangsstimme schwebt immer wieder durch die weitläufige Halle – und springt durch die Reflexion der Betonwände ständig hin und her.

Alles miteinander verbunden

Die in der Halle verteilten, teilweise meterhoch hängenden Boxen, die Bildschirme, das von ihnen ausgehende Licht, all das bildet eine eigene Ökologie. Alles scheint miteinander verbunden zu sein. Eine auf Künstlicher Intelligenz basierende Software sorgt dafür, dass Bild und Ton ständig in Bewegung sind, ohne sich zu wiederholen. Das führt einerseits zu einer recht authentischen Darstellung des Natürlichen. Andererseits kann es, weil alles sehr auf Immersion gebürstet ist, nach einiger Zeit auch einlullen.

Würden die Pflanzen nicht zwischendurch ihre Form verlieren und in kleine Pixel zerfallen oder die Musik mal plötzlich aufwallen, könnte das schnell kitschig wirken. Nun mag Kitsch als Produkt des Sentimentalen nicht per se schlecht sein, doch führt es gerade in der Kunst oft dazu, dem Gegenstand keinen Raum für Interpretation zu lassen. Was bei Projekten mit dem Sujet Natur oft dazu führt, selbige als absoluten Wert zu überhöhen.

Genau das machen Steensen und sein Team nicht. Ihnen gelingt eine beeindruckende ­Ästhetisierung dessen, was trotz Klimawandel bis heute eher nur in Konferenzen oder Galerietexten diskutiert wird: Menschen und Natur, Objekt und Subjekt, nicht mehr getrennt voneinander zu betrachten, sondern als komplexen Superorganismus.

Nun kommt es darauf an, das kurze Gefühl der Ergriffenheit nicht am Ausgang der Halle abzugeben, sondern es hineinzutragen in die Welt draußen. Und vielleicht beim nächsten Stadtspaziergang darüber nachzudenken, was da mal gewesen sein könnte, und ob das, was davon übrig ist, nicht vielleicht wert wäre, erhalten zu werden.

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