Die Wahrheit: Tickende Zeitbomben scheiße geparkt

Verkehr für Volltrottel: Seit genau zwei Jahren gehören E-Roller zum Straßenbild unserer Städte. Und sind immer noch im Weg.

Illustration: Ein alter Herr schiebt einen Rollator, darauf sitzt ein Hipster. In der Sprechblase des Hipsters folgende Worte: Alle E-Roller im Kanal. Zum Glück hab' ich ein Rollator-Taxi ergattert

Foto: Dorthe Landschulz

Der stand einfach mitten vor der Tür! Wer rechnet denn mit so was?“ Elisabeth Landow ist immer noch verärgert. Die 84-Jährige ist gestürzt, als sie morgens den Müll rausbringen wollte. Komplizierte Brüche in Oberschenkel und Unterarm waren die Folge. Außerhalb ihrer Wohnung kann sie sich nur noch mithilfe eines Rollators bewegen.

Wie Elisabeth Landow geht es immer mehr Menschen. Doch Verletzungen durch unsachgemäß abgestellte E-Roller werden von der Verkehrsunfallstatistik nicht erfasst. Mobilitätsforscher sind alarmiert und stehen vor einem Rätsel: „Das Geheimnis ist: Niemand weiß, wer die Roller so scheiße abgestellt hat“, erläutert der Verkehrswissenschaftler Leroy Schmidt von der TU Dresden. Es sei ein Phänomen. „Wir alle sehen ständig Menschen auf E-Rollern an uns vorbeifahren, wie sie an E-Rollern stehen, sie freischalten und aufsteigen. Aber noch nie hat jemand einen Menschen dabei beobachtet, wie er von einem E-Roller abgestiegen ist.“

Auch groß angelegte Feldstudien hätten keine Ergebnisse geliefert. Einziger Beleg, dass Fahrten beendet worden sein müssen, sind die überall herumstehenden E-Roller – sehr oft an unmöglichen Stellen, quer zur Laufrichtung auf Gehwegen oder quer zur Fließrichtung in Gewässern. Manchmal an so unwirtlichen Stellen, dass der Berliner Ufologe Horst Evers schon Entführungen durch Außerirdische vermutete.

Verschwörungstheorien über zerfallende Atome

Auch Verschwörungstheoretiker sind auf den Plan getreten: Baldur Nüsslein vom Privatinstitut für kreative Physik glaubt, dass nur ein Bruchteil von E-Rollernden sein Ziel überhaupt erreicht. „Die meisten lösen sich kurz vor Ankunft einfach auf.“ Verantwortlich dafür sei die Strahlung aus den Lithium-Ionen-Akkus, die mit der Bewegungsenergie des Vortriebs reagiere, weswegen der E-Rollernde bei Reduktion der Geschwindigkeit in seine Atome zerfalle.

„Mitsamt Kleidung?“, fragen wir ungläubig. „Ja, sofern sie aus natürlichen Fasern besteht.“ Übrig blieben oft nur Schuhe, wie man sie immer wieder am Straßenrand sieht, oder FFP2-Masken aus Spezialvlies. „Jede Maske auf dem Asphalt war mal ein E-Roller-Fahrer!“, weiß Nüsslein. Manche Roller führen dann allein weiter und fielen in Flüsse und Kanäle. „Diese Häufung kann kein Zufall sein! Sie ist der Beweis meiner Atomisierungstheorie!“

Tatsächlich sind nach Aussage der GfU (Gewerkschaft für Unterwasserberufe) ganze Tauchtrupps allein damit beschäftigt, E-Roller aus Flüssen, Kanälen und Stadtteichen zu ziehen. Wertvolle Zeit, die den Teams zur Bergung von verrottender Weltkriegsmunition vor unseren Küsten fehlt. Eine tickende Zeitbombe.

Wir besuchen CRAP, einen führenden E-Scooter-Verleih. Vor der Firmenzentrale im MediaSpree-Viertel Berlins sieht es aus, als hätte es in der Nacht E-Roller geregnet. Gut 40 Exemplare verschiedener Baureihen und einverleibter Tochterfirmen stehen vor dem Tower aus Glas und Beton. Vorsichtig kraxeln wir drüber hinweg und betreten das Gebäude. Auch auf den Fluren fährt man auf elektrischen Rollern von Büro zu Büro, zur „Chillout Area“, zum „Consum Room“ und zurück.

Timo McDruff, CEO von CRAP, steigt gazellenhaft über querplatzierte E-Roller hinweg, als nehme er sie gar nicht wahr. Wir folgen mühsam staksend und fragen nach: Wieso stehen so viele E-Roller im Weg, da die konzerneigene KI dies doch verhindehrn solle? McDruff stellt uns Dimitrij vor, einen 21-jährigen Werkstudenten. Auf dem Weg zu seinem Platz stolpern wir über einen E-Roller. „O, sorry, das war meiner“, lacht Dimitrij und wendet seinen Blick ab vom Bildschirm, auf dem im Sekundentakt Fotos von parkenden Rollern aufploppen. Darunter ein grünes Feld zur Freigabe und ein rotes.

„Du überwachst hier also die KI?“, fragen wir und erkundigen uns nach der Funktionsweise. „Überwache?“ Dimitrij schüttelt den Kopf. „Njet. Ich bin die KI. Kasachische Intelligenz.“

Geparkt auf dem Ehrengrab von Marlene Dietrich in Friedenau

Während wir miteinander reden, schaut uns Dimitrij aus wachen, aber ungewöhnlich weiten Pupillen interessiert an. Was ihn nicht daran hindert, unentwegt Bilder freizugeben. Wir machen die Probe aufs Exempel: Ein Helfer von uns parkt einen CRAP-Roller in einem Zierteich, das Foto ploppt auf Dimitrijs Bildschirm auf. Der genehmigt den Abstellort, ebenso wie den E-Roller im Linienbus oder auf dem Grab von Marlene Dietrich in Friedenau, dort steht er, an den Marken seiner Tage.

Zu viert seien sie im KI-Team, erzählt der Werkstudent, aus Kasachstan, Korea, Kroatien und Kalkar, und arbeiteten im Schichtdienst. Manchmal habe er auch Bereitschaft, vor allem nachts und am Wochenende. „Dann mach ich das vom Handy aus. Alles easy-peasy, Bilder freischalten kann ich auch, wenn ich noch so verschallert im Club abhänge.“

Wir verlassen den CRAP-Tower mit dem Gefühl, der Wahrheit einen Hauch näher gekommen zu sein. Trotzdem legen wir uns auf die Lauer und beziehen eines Nachts Stellung in einem Kiez mit hoher Population an Jungvolk und E-Rollern. Stundenlang geschieht nichts, doch gerade, als wir aufgeben wollen, huscht eine schwarz gekleidete Person zu einem abgestellten Roller auf dem Gehweg und stellt ihn quer.

Heimlich folgen wir der Gestalt. Beim fünften Roller (quer vor der Tür eines Blindenwohnheims), stellen wir sie und erfahren Wunderliches: Tatjana (41) ist Aktivistin bei der PBF, der Pedestrischen Befreiungsfront – einem gewaltbereiten Arm radikalisierter Fußgänger*innen, dessen Guerillataktik auf maximale Diskreditierung von E-Rollern zielt.

„Nur so werden diese Scheißteile wieder verschwinden!“, schnaubt Tatjana. An Wänden von Scooter-Hotspots werden auch Tags hinterlassen: „ACAB“. Das stehe für „All CRAPs are Bullshit!'“, klärt uns Tatjana auf. In manchen Nächten komme es sogar zu Straßenkämpfen mit CRAP-Leuten, die ebenfalls die Roller verstellten, damit potenzielle Nutzer sie nicht übersehen.„Die müssen wir dann natürlich zurückparken!“

„Und die Opfer?“. Wir zeigen ihr Röntgenbilder von Elisabeth Landows Knochenbrüchen. Tatjana gibt sich kühl: „Sie ist ja nicht über uns gestolpert, sondern über E-Roller. Die sind das Problem. Wir entlarven nur das System!“ Mit diesen Worten entwindet sich die radikale Fußgängerin und spurtet los. Wir nehmen die Verfolgung auf, greifen uns dazu flugs einen E-Roller und jagen Tatjana hinterher. Doch nur wenige Meter später erfasst uns ein grüner Strahl und zieht uns nach oben, Richtung All. Das Letzte, was wir unten sehen, sind zwei quer parkende E-Roller irgendwo in Berlin …

Elisabeth Landow überzeugen diese Recherchen nicht. „Ich glaub ja einfach, dass das alles rücksichtlose Arschlöcher sind.“ Mit diesen Worten zieht sie sich in ihre Erdgeschosswohnung zurück. Ihr Rollator verbleibt derweil mittig auf dem Treppenabsatz.

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