berliner szenen
: Wenn die Konstante wegfällt

Ich war Zahnarzt-Hüpfer. Jedes Jahr eine neue Praxis, weil immer was nicht stimmte. Mal fühlte ich mich überrumpelt von zu vielen Aktionen, die in meinem Mund stattfinden sollten. Oder hatte das Gefühl, dass keine Zeit war für Fragen. Immer fehlte mir was. Vielleicht war ich auch nur ein zu misstrauischer, zu ängstlicher Patient. Doch dann kam er: mein Zahnarzt. Von Anfang an duzte er mich, meine Siez-Neigung hatte keine Chance. Er erklärte mir, was sich in meinem Mund so tut und was er vorhat. Ich fragte nach. Gab die Kontrolle ab. Bei ihm hab ich gelernt, dass es auch ohne Betäubungsspritze geht. Beim ersten Mal ohne Spritze kam ich mir wie ein Held vor.

Manchmal erkundigte er sich nach meiner Arbeit oder erzählte von seiner Familie. Einmal hatte ich nach der Behandlung noch etwas Gesabber auf dem T-Shirt, da nahm er ein Papiertuch. Ich dachte, er drückt es mir in die Hand, aber er selbst wischte mich sauber. Vielleicht war es diese Art von Fürsorglichkeit, die mir in anderen Praxen gefehlt hatte. Ich fühlte mich in seinen Armen geborgen und sicher. Für etwa zwanzig Jahre war er eine Konstante, eine jährliche Verabredung, bei der ich ablas und abglich, wie die grauen Haare mehr wurden, seine und meine. Das war auch ein bisschen wehmütig, doch in mir war das beruhigende Nächstes-Jahr-wieder-Gefühl.

Neulich erfuhr ich, dass er seine Praxis abgibt. Ich war schockiert und rief sofort an. Ein letzter Termin zur Kontrolle und Zahnsteinentfernung. Vor allem aber zum Nachfragen: Warum?

Doch mein Zahnarzt war vor allem bemüht, mir seine Nachfolgerin zu empfehlen. Es war ihm wichtig gewesen, eine Person zu finden, bei der er seine Patientinnen und Patienten in guten Händen weiß. Fürsorglich bis zum Schluss. Vielleicht werde ich jetzt wieder ein misstrauischer und ängstlicher Pa­tient. Giuseppe Pitronaci