Hamburger Studie zu trans*­Men­schen: Von der Pandemie schwer getroffen

Gesundheitsrisiken, Leidensdruck, Gewalt: Laut einer Studie des Klinikums Hamburg-Eppendorf sind trans* Menschen durch Corona besonders gefährdet.

Ein Schild mit der Aufschrift "Die Welt muss sich gendern".

Wider die Marginalisierung: Demonstration auf dem Hamburger Rathausmarkt im März 2019 Foto: dpa / Christian Charisius

HAMBURG taz | Die Covid-19-Pandemie trifft alle Menschen – aber manche mehr als andere. Die besondere Gefährdung der trans* Community – also von Menschen, deren Geschlechtsidentität abweicht von dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugeordnet wurde – bestätigt eine neue Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Eingeschränkter Zugang zu wichtigen medizinischen Dienstleistungen, das Wegfallen von Safe Spaces, also sicheren Orten für trans* Menschen, sowie ein spürbarer Zuwachs an Gewalt und das Verbot von Sexarbeit: Diese Faktoren machen trans* Menschen auch im Norden gerade besonders vulnerabel.

Andreas Köhler promoviert am Interdisziplinären Transgender Versorgungscentrum des UKE und hat – zusammen mit zwei weiteren Me­di­zi­ne­r*in­nen – die Studie über die Auswirkungen von Covid-19 auf die trans* Community durchgeführt. Er sagt, die Pandemie gefährde auch in Hamburg trans* Menschen ganz besonders: „Die Ergebnisse unserer Studie sehen wir auch hier im Umkreis bestätigt.“

Das Transgender Versorungscentrum, bis heute einzigartig in Deutschland, und die mit ihm verbundene Ambulanz seien auch während der Pandemie in ständigem Kontakt zu den betreuten trans* Personen gewesen. „Bei vielen kamen Unsicherheiten auf“, sagt Köhler, „darüber, ob sich die Behandlungen verzögerten, ob bestimmte Hormonpräparate nicht mehr erhältlich wären oder ob Operationen verschoben würden.“ Manche Befürchtungen seien berechtigt gewesen: Einige Operationen habe man tatsächlich verschieben müssen, da sie nicht zu den sogenannten „dringend notwendigen Operationen“ zählten. Auch geschlechtsbestätigende Operationen für trans* Menschen seien davon regelhaft betroffen gewesen.

Dass solche Operationen allerdings lebensrettend sein können, legen Statistiken zu Suizidalität und trans* Identität nahe: Auf der Pressekonferenz zum Welttag der Suizidprävention in Berlin wurden 2019 Statistiken aus Deutschland präsentiert, nach denen junge trans* Menschen einem fast sechsmal höheren Suizidrisiko ausgesetzt sind als andere Gleichaltrige.

5.267 trans* Personen aus 63 Ländern nahmen an der Umfragen-basierten Studie teil.

Als Risikopatient*innen gelten mehr als 50 Prozent der teilnehmenden trans* Personen.

Starke Einschränkungen beim Zugang zu wichtigen trans*-spezifischen Gesundheitsdienstleistungen erfuhren ebenfalls 50 Prozent der Teilnehmer*innen.

Aufgrund von Diskriminierungsbefürchtungen tendierten die Teilnehmer*innen dazu, medizinische Tests und Behandlungen von Covid-19 zu vermeiden.

Köhler bestätigt, dass trans* Menschen vermehrt unter Angst- und Depressionssymptomen leiden. Ein Auslöser dessen kann Körperdysphorie sein, ein Leidensdruck, der durch die Nichtübereinstimmung von körperlichen Merkmalen und Geschlechtsidentität verursacht wird. Das verbreitete Verständnis von geschlechtsangleichenden Operationen als rein „kosmetischer Eingriff“ wird dem nicht gerecht.

Cornelia Kost ist Psychotherapeutin und arbeitet für die Hamburger Beratungsstelle der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (DGTI). Sie kann die Ergebnisse der UKE-Studie bestätigen: „Während der beiden Lockdowns haben wir jeweils eine ungewöhnliche Zunahme an Anfragen wahrgenommen.“ Vor allem im zweiten Lockdown sei die Nachfrage um 21 Prozent gestiegen.

Besonders junge trans* Menschen leiden Kost zufolge unter der Pandemie. Alltagsstrukturen wie Schule oder Arbeit hätten zuvor Ablenkungen geschaffen, die den Umgang mit der eigenen trans* Identität erleichterten: „Durch den Lockdown kumulieren sich Konflikte mit dem eigenen, oftmals heteronormativen Umfeld“, sagt Kost.

Dass nun vielfach ganze Familien gleichzeitig zu Hause seien, erschwere Experimente am eigenen Geschlechtsausdruck. Vielmehr eskalierten familiäre Situationen häufiger: „Solche Konflikte potenzieren sich durch Corona und Lockdown“, sagt Kost. Eine Folge: vermehrt selbstverletzendes Verhalten oder auch Essstörungen bei den Betroffenen.

Als weitere gefährdete Gruppe nennt Kost trans* Sexarbeiter*innen. Das deckt sich mit Ergebnissen der UKE-Studie. „Wir hatten immer wieder Leute, bei denen die Wohnsituation an die Arbeit gekoppelt war“, so Kost: „Manche leben in den Hotels, in denen sie arbeiten. Die haben auf einen Schlag ihr Obdach verloren.“

In einer Publikation über die „Benachteiligung von Trans*Personen“ im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes heißt es, dass Sexarbeit insbesondere für trans* Frauen eine wichtige Einnahmequelle darstelle. Kost sagt, dass trans* Frauen mittlerweile in fast jedem Berufsfeld vorkommen. Nichtsdestotrotz seien es vielfach trans* Frauen ohne sicheren Aufenthaltsstatus, die explizit für Sexarbeit nach Deutschland geworben würden. Dadurch seien sie nicht nur besonders hohen Gesundheitsrisiken ausgesetzt, sondern würden eben auch besonders hart von Repressionen wider die Sex­ar­bei­t getroffen. Deren Verbot als Teil der Corona-Eindämmung bedeutete daher für viele migrantische trans* Frauen Arbeitslosigkeit – oder die Flucht in die Illegalität. „Trans* Frauen landen in der Geschlechterhierarchie leider ziemlich weit unten“, schließt Kost.

Domicila Roberta Batista ist trans* und wohnt seit 2001 in Hamburg. Zuvor lebte sie in Espírito Santo in Brasilien. „Ich bin aber keine Heilige!“, sagt sie lachend. Bis vor zwei Jahren habe sie selbst noch als Sexarbeiterin gearbeitet. Kritisch sei die Pandemie vor allem für diejenigen, die auf der Straße arbeiten. „Für die am Steindamm oder in der Schmuckstraße war es schwer, die konnten die Arbeit nicht machen. Es war verboten. Die Polizei war immer da“, so Batista. Wenn sie über diese anderen rede, rede sie indirekt immer auch über sich selbst: „Ich arbeite zwar nicht mehr, aber ich gehöre weiterhin zu ihnen. Wir gehen zu den gleichen Beratungsstellen, zum Beispiel ‚Sperrgebiet‘.“

Seit Beginn der Pandemie habe sie vermehrt Gewalt erfahren, erzählt Batista: physisch, aber „auch verbale Gewalt über Chatrooms.“ Auch andere trans* Frauen seien davon betroffen. Hassrede, Mobbing – das alles habe zugenommen. „Leute sprechen mich mit meinem alten Namen an, nennen mich ekelhaft.“

Warum sich das mit Corona noch verschlimmert habe, sei ihr nicht klar. Es verdeutliche aber, dass Menschen wie sie in Deutschland nicht gleichberechtigt sind: „Ich wünsche mir von der Politik mehr Sicherheit und vor allem mehr Chancen.“ Für Batista verschließt die breite Öffentlichkeit die Augen vor den Problemen von trans* Menschen. Politisch hofft sie auf einen Blick für das Ganze statt nur auf einige repräsentative Einzelne: „Viele glauben, Transsexuelle seien alle gleich. Aber es gibt nicht nur die eine transsexuelle Person.“

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