7 Dinge, die uns den Sommer vermiesen: Cruel Summer

Schwimmbad, Sonne, Wassermelonen: Der Sommer ist doch die schönste Jahreszeit! Wären da nicht ein paar fiese Kleinigkeiten …

Ein von weißen Netzen, Spinnweben ähnelnd, überdeckter Strauch ohne Blätter

Der Sommer, ein Horrormärchen: Gespinstmottenbefall auf Rügen Foto: Stefan Sauer/dpa

Der Gestank

Seinen entgeisterten Gesichtsausdruck sehe ich noch genau vor mir, sein panisches Zurückweichen, obwohl wir doch gerade noch so nett geplaudert hatten. Er, der Berlin-Tourist, an den meine Schwester während des Sommers ihre Wohnung vermietet hatte, und ich, die seinetwegen, trotz 36 Grad Hitze, wie eine Irre den Prenzlauer Berg hochgeradelt war, nur damit er an den Ersatzschlüssel kommt. Der Gute hatte sich nämlich, kaum war er eingezogen, ausgesperrt, und ich sollte ihn nun aus seiner misslichen Lage erlösen. Dabei hatte ich so was von keine Lust dazu, aber ignorieren ging ja auch nicht, weil er mich gefühlte hundertmal angesimst und angerufen hatte.

Jedenfalls stand der Untermieter schon vor meinem Haus, als ich völlig aus der Puste angestrampelt kam. Er sah sehr dankbar aus, beteuerte, dass ich ihm den Tag gerettet hätte, und hielt mir sogar die Tür auf, damit ich mein Fahrrad hindurchschieben konnte. Mein Ärger verrauchte und machte Platz für ein wenig Mitgefühl. Musste der Ärmste, der ohne einen Cent in der Tasche der gleißenden Sonne ausgesetzt war, nicht schrecklich durstig sein? Ich beschloss, ihm ein Glas Wasser anzubieten, sobald wir in der Wohnung waren.

Doch als ich die Tür aufstieß, verwarf ich diesen Gedanken sofort. Gütiger Himmel! Was war denn hier passiert?! Ich musste augenblicklich würgen, zeitgleich schoss mir durch den Kopf, dass es so wohl auch in der Wohnung von Fritz Honka gerochen haben musste. Sie wissen schon: Dieser Hamburger Se­rien­mörder, der arme, obdachlose Frauen mit zu sich nach Hause genommen, gequält und massakriert hatte. Dichte Schwaden eines süßlichen, modrigen, verwesenden Fleischgeruchs schlugen uns entgegen. Es war eine nach Tod und Verderben stinkende Wand. Die Stimmung kippte. Mit einem Mal wirkte der Untermieter meiner Schwester nicht mehr freundlich und zugewandt, sondern scheu und ängstlich wie ein Reh. Ein Blick in seine flackernden Augen genügte, um mir vorzustellen, wie er gerade panisch seine Optionen durchging: Okay, das bisschen Karate wird nicht reichen, vor allem, weil sie viel größer und schwerer ist als ich. Dann lieber voll eins auf die Nuss und rennen …

Armer Untermieter, dachte ich noch, dann fiel mir die angebrochene Packung Rinderhack im Mülleimer ein. Anna Fastabend

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Die Mücke

Es sind die kleinen Dinge, die das Leben schön machen, und es sind die kleinen Tiere, die das Leben zur Hölle machen. Besonders Mücken. Mücken haben eigentlich keine Existenzberechtigung. Vögel können ernsthaft auch andere Sachen fressen, die meisten ernähren sich sowieso längst von den Lebensmittelabfällen, die wir achtlos überall hinwerfen. Und außerdem geht die Welt wegen Klimawandel sowieso bald unter, da könnten Mücken ruhig schon mal vorgehen.

Mücken gehören zu einer Gruppe Lebewesen, die unverhältnismäßig viel Macht hat und nichts damit tut, außer Terror über uns zu bringen und Hass zu sähen. Brodelnden, den ganzen Körper ausfüllenden, porentiefen Hass. Von der Lyrikerin Rupi Kaur gibt es ein Gedicht, in dem es heißt: „to hate is an easy, lazy thing, but to love takes strength everyone has but not all are willing to practice“. Also hassen ist leicht und faul, lieben ist anstrengend.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Na ja. Man kann sich sehr viel Mühe geben, das Gute und Schöne in der Welt zu sehen, man kann gut sein wollen zu sich und zu seiner Umwelt. Einfach mal für jemanden die runtergefallenen 20 Cent aufheben, einfach mal sich selbst im Spiegel anlächeln, einfach mal joy spreaden. Eine einzige Mücke macht alles zunichte. Vielleicht ist die Menschheit nur deshalb niemals gut geworden, weil Mücken Arschlöcher sind und das Hässlichste in uns hervorbringen.

Der Hass im sommernächtlichen Angesicht der Stechmücke ist nicht easy. Gerade war noch alles gut. Der Tag war lang und heiß, die Badesachen hängen zum Trocknen am Fenster, die Schwüle hängt zum Einschlafen unter der Zimmerdecke. Zufriedene Seele, wohlige Müdigkeit. Dann, aus dem Nichts: dzzzzzdzdzzdzzzz. Panik, Licht an, wo ist sie?! Licht aus, atmen, dzzzzzdzdzzdzzzz. Wut, Hass, Verzweiflung. Licht an, alles absuchen: Zim­mer­decke? Kleiderschrank?! dzzzzzdzdzzdzzzz, KLATSCH, dzzzzzdzdzzdzzzz, STICH HALT ZU, NIMM MEIN BLUT, nimm meine Würde, aber mach mich nicht zum Monster, ich habe schließlich sehr lange an meiner liebevollen Zartheit gearbeitet, du ARSCHLOCH! Ich erschlage das Biest mit einem Rupi-Kaur-Gedichtband, Blut auf Raufaser, meins, ihrs. Der Mensch ist schlecht, die Welt geht unter. Und schuld ist allein die Mücke. Lin Hierse

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Der Palmenkiller

Ihre majestätisch lang herunterhängenden, dunkelgrünen Wedel waren über Nacht gelb geworden. Die 25 Meter hohe Palme, die so alt ist wie ich und die ein Freund meines Vaters in den Garten unseres Hauses an der kroatischen Adria pflanzte, ist letztes Jahr gestorben. Der einzige Trost war, dass die zweite Palme, genauso alt, zunächst keinerlei Ermüdungsanzeichen zeigte. Doch als ich vor einigen Wochen an der Adria war, lag auch diese stolze Pracht wie eine aufgelassene Fabrikruine auf dem Boden.

Neben den hellgrünen Kiefern, dem bunten Oleander, dem blauen Meer und den graugrünen Olivenbäumen ist die Palme das Wahrzeichen des Mittelmeers. Hier legt sich jede Strandpromenade, die was auf sich hält, einen Saum von Palmen zu.

Das Sterben der Palmen ist keine kroatische Spezialität. Seit etwa 15 Jahren verschwinden sämtliche Dattelpalmen in der Mittelmeerregion. Von Ibiza bis Marseille, von Kreta bis Lissabon, von Split bis Palermo: der gesamte Dattelpalmenbestand Europas ist kurz davor, auszusterben, auf Mallorca sind inzwischen 95 Prozent aller Palmen tot, und es gibt bereits erste Meldungen, dass auch andere Palmenarten befallen sind.

Der Befaller ist ein Killer. Es ist der Rote Palmrüssler, ein recht hübsch aussehender Käfer mit gemustertem rotbraunem Panzer und fiesem Rüsselgerät. Er stammt ursprünglich aus Asien und kam durch den Import von Palmen nach Europa. Da er fliegen kann, fliegt er, nachdem er den Baumstamm von innen aufgefressen und seine Larven reingelegt hat, einfach zur nächsten Palme. Und blöderweise machen ihm dabei weder das europäische Klima noch heftige Giftspritzen irgendwas aus.

Seine Larven werden zu megafetten Würmern, die sich im Stamm in einem Kokon aus Palmenfasern fett fressen. Die Sagowurm genannte Fettmade gilt übrigens in Südostasien als Delikatesse. Und wenn sich nicht irgendwer was einfallen lässt, werden zukünftig die Sommer wie die Winter am Mittelmeer ohne Palmen und ohne Datteln, dafür mit Wurmmehlfalafel stattfinden. Doris Akrap

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Der Balkonlärm

Wenn Sie nachts auf Ihren Balkonen sitzen und palavern, bedenken Sie, dass die Straßenschluchten wie Amphitheater sind. In der Umgebung hören Menschen alles mit und meistens sehr deutlich. Denn nachts sind die anderen Umgebungsgeräusche heruntergedimmt. Wir wissen also, worüber Sie sprechen. Wir können ein Persönlichkeitsprofil von Ihnen entwickeln, besser als Google und Facebook; und wir bedauern Sie mitunter ob ihres politischen, geografischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Halbwissens, das wir zu hören bekommen.

Eigentlich wollen wir mitten in der Nacht schlafen und freuen uns, dass wir dies wetterbedingt derzeit bei offenem Fenster tun können. Aber wir können es nicht, wenn wir dabei an Ihrem geredeten Unsinn – und mitunter auch an Ihren sehr privaten Informationen – teilhaben müssen. Wir wollen schlafen, und nicht von einer Performance geweckt und wach gehalten werden, die zeigt, wie ignorant und unsozial Leute sein können, wie wenig sie sich vorstellen können, dass sie nicht allein auf einer Insel leben, sondern in einer Großstadt.

Großstädte heißen so, weil da viele Menschen auf engem Raum zusammenwohnen. Man muss, das wäre eigentlich das Normale, Rücksicht aufeinander nehmen. Nachts beispielsweise schreit man nicht rum. Zu Ihrem eigenen Wohl sei Ihnen geraten: Flüstern Sie, wenn Sie nachts auf den Balkonen hocken. Damit Sie nicht ihr Gesicht ver­lieren. Waltraud Schwab

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Die Gespinstmotte

Die Gespinstmotte mag harmlos sein, sie versetzt einen aber in Angst und Schrecken, indem sie in Grünanlagen eine dystopische Alien-Atmosphäre schafft: Die Würmer spinnen Bäume und Büsche derart ein, dass man sich nicht sicher sein kann, ob ein Schaufensterdekorateur den Frühsommer mit Halloween verwechselt hat oder Außerirdische / Besuch aus der Hölle / Abgesandte des Jenseits vorbeigeschaut haben, um Mutter Natur einen tödlichen Kuss zu verpassen.

Keine Spur mehr von grünem Blattwerk, stattdessen ist alles überzogen von weißem „Gespinst“ und dekoriert nicht etwa mit Weihnachtskugeln, sondern herabhängenden, wuselnden Wurmknäueln. Ein „Naturschauspiel“ flötet nun mancher begeistert – und eine Party für Vögel, die sich am Gewürm laben und sie auch dem piepsenden Nachwuchs zukommen lassen. Immerhin seien es ja keine Eichenprozessionsspinner, die einen mit ihren toxischen Flimmerhaaren in die Notaufnahme bringen könnten, trösten andere. Zumal ja auch Busch und Baum nicht wirklich in Mitleidenschaft gezogen würden, seien sie doch spätestens zum zweiten Blattaustrieb wieder fit.

Ja, all dies mag sein. Aber schön geht nun wirklich anders. Martin Reichert

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Der Schweißfleck

Steigt die Temperatur draußen auf über 24 Grad, wird es morgens für mich kompliziert. Es bricht die Zeit an, in der der Griff in den Kleiderschrank nicht mehr wahllos bleiben kann. Denn viele meiner T-Shirts verweilen im Sommer mehr oder weniger ordentlich gefaltet im Fach. Die gelben und die ganz dünnen, manche graue und das schöne lilafarbene. Einige schwarze, dickstoffige weiße und alle gestreiften – oh ja, die gestreiften! – sind dagegen in der heavy rotation.

Der Grund: Ich schwitze. Na gut, wir alle schwitzen, und ich weiß gar nicht, ob ich mehr schwitze als der Rest. Aber ich schwitze jedenfalls auch gern mal vorne, so unterhalb der Brust. Und nach der morgendlichen Fahrradfahrt ins Büro setzt das gefürchtete Nachschwitzen ein. Erreiche ich dann den vierten Stock – natürlich per Fahrstuhl – habe ich bei falscher T-Shirt-Wahl am Morgen diese so verhassten Schweißflecken im Unterbrustbereich.

Wären sie unter den Achseln, kein Ding. Wären sie an Rücken und Schultern, wo der Rucksack den Fahrtwind davon abhält, seinen Dienst an der Haut zu tun, kein Ding. Aber da vorne: Horror!

Ich schäme mich, weil ich schwitze, und ja, ich weiß, das muss ich nicht. „Mach mal mehr Sport“, sagt dann Mitbewohner Ph., wenn er mit trockener Haut aus dem Fitnessstudio kommt, „dann schwitzt du nicht so stark.“ Ja, ja, für alles hat er eine Lösung. Dann trage ich halt im Sommer nur die weißen, schwarzen und die gestreiften Shirts und schwitze heimlich. Paul Wrusch

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Die Gummiflusskrankheit

Maß und Mitte, bitte. Maß und Mitte! Das ist der Appell, das Stoßgebet fast, wenn man als Kleingärtner ab Mitte Juni das Gartentor aufsperrt. Die Botanik steckt nun in einer Phase, in der es nur zwei Wachstumszustände gibt: Wuchern und Krepeln. Die Hecke, die erst vor zwei Wochen auf 125 Zentimeter gestutzt wurde, hat schon wieder meterlange Triebe entwickelt, der Wein hängt in einem wilden Dickicht von den Balken der Pergola hinab.

Der Rasen dagegen hat in der Brandenburger Dürre schon seit Wochen das Wachstum eingestellt. Der Mangold ist auch nicht gewachsen. Größere Blätter finden in der Nacht sofortigen Absatz, ich tippe auf die Gemüseeule, ein unscheinbarer Schmetterling mit sehr gefräßigen Larven. Ich kann mich erinnern, noch vor drei Jahren, da wucherte der Mangold so wie heute der Wein.

Ach, es wäre so schön, wenn alles gesund und gemächlich nebeneinander wachsen würde. Dazu hat man allen genug Raum geschaffen, den richtigen Platz an der Sonne gegeben und düngt auch hin und wieder. Aber trotzdem: Jedes Jahr wirft eine andere Pflanze den Turbo an, und was den Nachbarn zu schaffen macht, darauf ist man nie vorbereitet. Vorbereitet ist man nämlich meist nur durch die Erfahrungen des Vorjahrs. Auch wenn man weiß, die erste Gärtnerregel heißt: Es kommt immer genau anders als im Vorjahr.

Dieses Jahr war ich gegen die Blattlaus gewappnet. Das war ein Ansturm 2020: Die halbe Erbsenernte raffte es dahin, der Mangold litt, die Bohnen waren nicht verzehrbar, sogar oben in der Kirsche bohrten sich die Läuse ins Laub. Weil Marienkäfer gegen die Läuse helfen, schaffte ich noch zwei Insektenhotels an, recherchierte für alle Fälle, wo Marienkäferlarven zu beschaffen wären.

Aber Fehlanzeige: Ich habe in diesem Jahr noch keine Blattlaus gesehen, die Erbsenernte ist auch gut. Dafür hat die Kirsche, die in den drei vergangenen Jahren der größte Baum im Garten geworden ist, eine Krankheit: An den Astansätzen sitzen große, glasklare und etwas elastische Pfropfen. Sie erinnern an jenes Kunstharz, mit dem wir im Werkunterricht Insekten in durchsichtige Würfel eingegossen haben. In einem der Pfropfen steckt tatsächlich eine Blattlaus.

Das Internet erzählt mir, die Kirsche habe die Gummiflusskrankheit. Warum? Die übermäßige Harzproduktion, übersetze ich mir die Infos, ist wie eine allergische Reaktion auf eine Kombination aus Hitze, Trockenheit, Schädlinge oder Pilze. Ich soll den pH-Wert des Bodens untersuchen. Nein, das nicht auch noch! Ich entscheide, die Harzpfropfen schön zu finden – mindestens bis nächstes Jahr. Jörn Kabisch

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