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Demokratisch ins digitale Zeitalter

Eine „Community Cloud“ garantiert digitale Souveränität durch die Organisation als Genossenschaft: vom Webhosting bis zu einer Web-Videokonferenz-App. Die Hostsharing eG macht auch vor, wie eine virtuelle Genossenschaft funktionieren kann

Sicherer Hafen für Daten: Die Genossenschaft agiert transparent und ist unverkäuflich Foto: Cornelis Gollhardt/laif

Von Ansgar Warner

Das Konto bei der Genossenschaftsbank, das Büro von der Wohnungsgenossenschaft, als Betriebssystem das Community-Produkt Linux, doch wohin bloß mit den Daten der eigenen Website? Wer im Netz Präsenz zeigen möchte, aber nicht selbst einen Server betreiben will, ist auf die Zusammenarbeit mit einem professionellen Webhoster angewiesen. Egal ob es nun um eine einfache Homepage, eine Bloggingplattform oder ein Shopsystem geht, mit dem sich Waren oder Dienstleistungen via Internet verkaufen lassen.

In der Regel hat man es dabei mit business as usual zu tun: Den Löwenanteil am Hosting-Geschäft beanspruchen in Deutschland große Konzerne wie Strato oder United Internet, aus Übersee buhlt Erzbösewicht Amazon mit seiner Serverpark-Sparte AWS um Kundschaft, daneben tummeln sich zahlreiche Mittelständler à la Domainfactory oder Hetzner. Und was viele nicht wissen: Es gibt auch eine genossenschaftliche Alternative – die Hostsharing eG betreibt schon seit 20 Jahren eine „Community Cloud“ mit dem Anspruch, Websites und Webanwendungen nachhaltig, unabhängig und technisch so perfekt wie möglich zum Laufen zu bringen.

Am Anfang stand ein digitaler Super-GAU: Kurz nach der Jahrtausendwende gab es technische Probleme bei einem der damals größten kommerziellen Anbieter, viele Kunden verloren ihre Daten. „Da haben sich einige der Betroffenen gesagt: Das können wir besser machen“, so Hostsharing-Sprecher Jan Ulrich Hasecke. Was als eine Art Selbsthilfegruppe begann, mündete in eine Genossenschaftsgründung: „Die Leute wollten nicht noch einmal Opfer eines intransparenten Unternehmens werden, das schlechte Technik einsetzt – die Konsequenz lautete deswegen: Wir brauchen unsere eigenen Server, und wir wollen auf Dauer die Kontrolle behalten“, so Hasecke.

Neben dem Verlust von Daten kommt es in der Branche auch öfter vor, dass kleine Anbieter von größeren geschluckt werden und man als Kunde ungewollt ganz woanders landet. Bei Hostsharing ist das nicht möglich, denn dafür müssten alle Mitglieder zustimmen – sprich: alle Nutzer der Hosting-Genossenschaft.

Stattdessen wird daran gewerkelt, digitale Dienstleistungen in einer nicht am Gewinn orientierten Unternehmensform zu ermöglichen. Es fließt keine Rendite an Investoren ab, alle Gewinne werden wieder reinvestiert. „Jedes neue Mitglied stärkt die gesamte Genossenschaft – das Wachstum hilft uns, bisherige Leistungen günstiger anzubieten, aber auch neue Angebote einzuführen“, berichtet Hasecke.

Zum Leistungsspektrum gehören neben dem normalen Webhosting auch „Managed Server“-Angebote für sogenannte „Reseller“, die beispielsweise Komplettlösungen für die Webseitengestaltung anbieten, und Cloud-Server, die IT-Firmen für anspruchsvolle Rechenleistungen buchen können. Einen besonderen Boom erlebte die Hostsharing eG im Coronajahr – was auch mit einer Web-Videokonferenz-App namens BBB zu tun hatte, BigBlueButton. Anders als Zoom und Konsorten ist diese Software quelloffen und gewährleistet sichere und datenschutzkonforme Kommunikation.

Die beiden Hostsharing-Rechenzentren stehen in Berlin, es gelten also uneingeschränkt die europäischen Datenschutz-Richtlinien. Bei der Hostsharing eG läuft die Kontrolle der eigenen Daten unter dem Stichwort „digitale Souveränität“. „Es reicht nicht, nur auf Open Source zu setzen – das tun ja Google, Facebook und alle anderen Großkonzerne auch, und trotzdem sperren sie den Nutzer in ihren Walled Garden ein“, meint Jan Ulrich Hasecke. Er vergleicht das Prinzip mit einer Genossenschaftswohnung: „Da weiß ich ja auch, das ist meine Wohnung, das Haus kann nicht über Nacht an eine Heuschrecke verkauft werden.“

Jedes Jahr am ersten Samstag im Juli wird der Internationale Tag der Genossenschaften gefeiert. Die Vereinten Nationen verweisen damit auf deren Beitrag zur Lösung globaler Fragen. 2021 lautet das Motto: „Rebuild better together – Gemeinsam besser wiederaufbauen“. Weil Genossenschaften unsere Gesellschaft besser machen, hat die Unesco 2016 deren Prinzipien als Immaterielles Kulturerbe anerkannt. Die folgenden Seiten stellen exemplarisch dar, was Genossenschaften leisten können.

Die Hosting-Gemeinschaft gehört nicht nur rein technisch zur digitalen Avantgarde der deutschen Geno-Szene, sie führt auch vor, wie eine virtuelle Genossenschaft funktionieren kann: Die Satzung sieht vor, dass Beschlüsse der Mitglieder auch in elektronischer Form gefasst werden dürfen. „Schon die ersten Mitglieder kamen aus ganz Deutschland, manche auch aus Österreich und der Schweiz. Da war schnell klar: Wir müssen eine Methode finden, um online abzustimmen“, so Hasecke. Das war damals noch komplettes Neuland, erst seit 2006 enthält auch das deutsche Genossenschaftsgesetz einen entsprechenden Passus. Das Verfahren ist ebenso einfach wie effektiv: Berichte und Beschlussvorlagen werden per Mailingliste verschickt, das Antragstellen und Abstimmen erfolgt ebenfalls per elektronischer Postzustellung.

Zu den Mitgliedern von Hostsharing gehören Mittelständler wie das Logistikunternehmen Möller Industriedienstleistungen, Agenturen wie homann colourmanagement oder Start-ups wie Pech & Schwefel, spezialisiert auf den Vertrieb von Schnittmustern für Hobbyschneiderinnen. Aber natürlich auch viele Vereine und Genossenschaften, darunter etwa der Verein International Federation for the Economy for the Common Good und der Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften.

Fehlt eigentlich nur noch die taz. „Die würde natürlich auch gut zu uns passen“, findet Jan Ulrich Hasecke.