Migrationspolitik in Sachsen: Der Freistaat schiebt weiter ab

Spätnachts wird eine Familie aus Pirna zurück nach Georgien gezwungen. Seitdem streiten SPD und Grüne mit der CDU um den Abschiebekurs des Landes.

Polizeibeamte begleiten einen Afghanen auf dem Flughafen Leipzig-Halle in ein Charterflugzeug

Traurige Realität: Abgeschobene auf dem Weg in ein Flugzeug, das sie nach Kabul bringen soll Foto: Michael Kappeler/dpa

LEIPZIG taz | Die schwarz-rot-grüne Regierung in Sachsen streitet über die Abschiebepraxis im Freistaat. Innenminister Wöller und die sächsische CDU sind schon lange für ihre strikte Abschiebepolitik bekannt, das Thema war bereits bei den Koalitionsverhandlungen 2019 ein Konfliktpunkt. Nun stagniert die Zusammenarbeit.

Auslöser der aktuellen Debatte war eine Reihe von Abschiebungen, von denen auch Familien betroffen waren. Große Aufmerksamkeit erlangte der Fall der Familie Imerlishvili, die am 10. Juni nach Georgien abgeschoben wurde. Die neunköpfige Familie lebte seit acht Jahren in Pirna, fünf der Kinder waren in Deutschland geboren. Dennoch entschied die Ausländerbehörde sich für eine Abschiebung mitten in der Nacht unter Tränen und Schreien der Kinder und Eltern.

Der vieldiskutierte Fall löste eine Debatte über die sächsische Abschiebepraxis aus. Sowohl Grüne als auch SPD kritisierten, dass Familien mit Kindern nachts aus ihren Wohnungen geholt werden. Der SPD-Abgeordnete Albrecht Pallas nannte die Abschiebepraxis „unmenschlich“. Außerdem stehe die Abschiebepraxis der Behörden in „eklatantem Widerspruch zu den Vereinbarungen des Koalitionsvertrags.“

Auch die Grünen-Chefin Christin Furtenbacher kritisierte die Abschiebungen scharf und forderte klare und verbindliche Richtlinien. Der sächsische Ausländerbeauftragte Geert Mackenroth (CDU) hingegen verteidigte das Agieren der Behörden. Von seiner Partei hieß es, es seien in den besagten Fällen keine Menschenrechte verletzt worden.

Kaum Hoffnung auf schnelle Veränderung

Dieser Koalitionsstreit war programmiert. Das CDU-geführte Innenministerium unter Roland Wöller ist für seine harte Hand bekannt, Initiativen wie der Flüchtlingsrat kritisieren die Abschiebungen aus Sachsen seit Jahren als unwürdig. Um darauf zu reagieren, einigte sich die Regierung im Koalitionsvertrag von 2019 darauf, einen „Rückführungsleitfaden“ für die sächsische Abschiebepraxis zu entwickeln.

Petra Čagalj Sejdi, asylpolitische Sprecherin der Grünen, sagte gegenüber der taz, der Leitfaden solle deutlich humanitäre Aspekte einbeziehen, um so beispielsweise Kindeswohlgefährdung zu vermeiden. Das Problem: Der Leitfaden steckt aktuell beim Innenministerium in der Bearbeitung fest. Čagalj Sejdi kritisierte, dass intern immer wieder Forderungen diskutiert würden, die die CDU jedoch ablehne. „Sonst gäbe es diesen Leitfaden schon“, so die Abgeordnete. Asylpolitik sei ein „ständiges Streitthema“

Die Opposition findet noch härtere Worte als die Grünen. Die Hauptkritik müsse sich gegen die CDU und das Innenministerium richten, sagte Juliane Nagel, Sprecherin für Migration der Linkspartei im sächsischen Landtag. Der Leitfaden sei ebenfalls problematisch. Das Ziel solle nicht etwa ein „Bessermachen von Abschiebungen“ sein, sondern Wege zu finden, wie die Ausländerbehörden die Betroffenen in ihrem Bleiberecht unterstützen können.

Nagel betont auch, dass das Problem kein neues ist. „Schon vor den öffentlichkeitswirksamen Fällen der vergangenen Monate gab es grundrechtswidrige Abschiebungen wie Familientrennungen.“ Weder Grüne noch SPD hätten auf Initiativen der Linkspartei, wie die Forderung nach einem coronabedingten Abschiebestopp, reagiert. Entsprechende Anträge scheiterten.

Am Dienstag beriet der Koalitionsausschuss nun unter anderem über die Abschiebungen. Viele Fortschritte gab es jedoch nicht. Lediglich einen kleinen Ausblick gibt es: Innenminister Wöller sagte zu, dass der Leitfaden zur Abschiebepraxis bis zum kommenden Koalitionsausschuss im Oktober vorliegen soll. Bis dahin wird abgeschoben wie bisher.

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