Der radelnde Troubadour

Strampeln und spielen: Im Sommer vergangenen Jahres ist der Sänger Till Seifert mit dem Fahrrad durch Deutschland gefahren. Von seiner ungewöhnlichen Konzerttournee erzählt der Niedersachse in der Reise- und Musikdokumentation „So weit“

Nicht im Bild: Till Seiferts zwar überschaubare, aber mitreisende Entourage Foto: Nordpolaris Verleih

Von Wilfried Hippen

Den Tag über mühte er sich auf dem Fahrrad ab, abends sang er vor einem kleinen Publikum seine Lieder. Im Shutdown-Jahr 2020 musste sich ein Musiker schon etwas einfallen lassen, um real aufzutreten vor realen Zu­hö­re­r*in­nen. Der Singer-Songwriter Till Seifert, geboren 1992 in Peine, ist dafür mit seinem Fahrrad 1.400 Kilometer durch die ganze Republik gefahren, von Flensburg bis zur Zugspitze. Und er absolvierte dabei 14 Auftritte in Orten wie Kiel, Hannover, Magdeburg oder Nürnberg. Wenn alles gut ging, war wenigstens eine Handvoll Zu­hö­re­r*in­nen vor der Bühne dabei. Einige Auftritte mussten dann aber doch abgesagt werden, einer fand ganz ohne Publikum statt: im Studio eines Radiosenders.

Und doch: Seifert kann stolz darauf sein, dass er zu den wenigen Mu­si­ke­r*in­nen gehört, die im Sommer des vergangenen Jahres überhaupt auf Tour gegangen sind. Aus der dann auch noch ein (beinahe abendfüllender) Film geworden ist: „So weit“. Denn nebenbei nahm Seifert sich mit einer kleinen Digitalkamera selbst auf – ursprünglich, um ein digitales Tagebuch für seine kleine Instagram-Gemeinde zu produzieren. Weil seine Plattenfirma auch noch ein Musikvideo zu seiner – passenderweise „So weit“ betitelten – Single machen wollte, mietete sie ihm eine Kameradrohne. Außerdem gab es noch Dominic Richter: Der spielt bei den Auftritten Keyboard, baut die Anlage auf und ab, fährt aber auch mit dem Auto hinter Seifert her: Ausgestattet mit einer etwas größeren Sony-Kamera, filmte er nun auch noch.

In 20 Tagen durch die Republik: Große Abenteuer gab es für die beiden erwartungsgemäß nicht zu bestehen. Einmal machte ein Sturmtief das Radfahren unmöglich und den geplanten Auftritt gleich mit. Da war Seifert dann etwas vom Wind zerzaust und – nass. Ansonsten war es schon mal eine Aufnahme wert, wenn ihm die Wasserflasche herunterfiel. Einmal verfuhr sich ein Taxifahrer auf der Fahrt vom Veranstaltungsort zurück zum Campingplatz, aber da war keine Kamera dabei. Deshalb hat der befreundete Illustrator Jacob Müller einen kleinen Zeichentrickfilm darüber gemacht – wie alle Beteiligten für wenig oder gar kein Geld.

Man kann spüren, wie das Social Distancing das Land beherrscht. Ja, Deutschland wirkt leer in diesem Film

Denn „So weit“ ist kein Low- sondern ein No-Budget-Film. Die meisten Euros haben nach Seiferts Aussage das Benzin für das Wohnmobil, die Miete auf den Campingplätzen und das allabendliche Dosenessen gekostet. Dafür sieht „So weit“ allerdings erstaunlich gut aus. Seifert hat als Filmemacher durchaus Ehrgeiz entwickelt: Neben den Aufnahmen während der Fahrt hat er oft die Kamera an der Straße aufgebaut, ist dann zurückgefahren, um dann möglichst fotogen an ihr vorbeizuradeln. Dann musste er wieder zurück, um das Gerät aufzusammeln. Alles andere also als eine natürliche Radtour – Seifert sagt selbst, er müsse deutlich mehr geradelt sein als die „offiziellen“ 1.400 Kilometer.

Er legt auch offen, wie und unter welchen Bedingungen sein Film entstanden ist: Einmal stürzte die Drohne in einen Fluss – das wird erzählt, aber leider ohne Absturzbilder. Denn bei dem Missgeschick ging der Speicher verloren. Radfahren, Musik machen, Film drehen: (Beinahe) Alles, was Seifert und Richter auf dieser Reise passierte, wird auch gezeigt. Und dabei werden nicht etwa die kurzen Konzertaufnahmen wichtiger genommen als das Frühstück am Küchentisch eines Konzertveranstalters. Diese Sequenz ist dann aber schon deswegen etwas Besonderes, weil der Gastgeber als einer von wenigen Menschen außer den beiden Reisenden auftritt.

Ja, Deutschland wirkt leer in diesem Film. Dies hat sicher auch mit Technikalitäten zu tun: Für eine Gegenaufnahme vom Konzertpublikum etwa hätten die Filmemacher von allen Gezeigten schriftliche Genehmigungen einholen müssen. So wirken die beiden geradezu isoliert auf ihren kleinen Bühnen. Zwar bereitet es ihnen erkennbar Spaß, Musik zu machen – aber oft scheinen sie auch in ein Nichts zu spielen.

Sie treffen während der Fahrt einige Freunde und Seifert macht einen kleinen Besuch über den Gartenzaun bei seinen Eltern in Braunschweig. Aber man kann spüren, wie das Social Distancing das Land beherrscht. Und dass Seifert abgesehen von einer kurzen Fährfahrt den ganzen Film über ohne Gesichtsmaske zu sehen ist, liegt eben daran, dass er sich fast immer draußen und allein aufgenommen hat.

1.400 Kilometer geradelt, wenn nicht noch mehr: Till Seifert Foto: Nordpolaris Verleih

Ganz im Süden, auf der Zugspitze, wartete ein für das Musikvideo engagiertes professionelles Filmteam auf die beiden. Deshalb gibt es von ihrer Gipfelbesteigung die technisch vielleicht besten Bilder, aus verschiedenen Perspektiven aufgenommen und rasant geschnitten. Gerade dieses Finale wirkt aber wie ein Stilbruch. Es liefert Postkartenansichten, wie man sie schon zu oft gesehen hat, und die sehr viel weniger erzählen als die wackeligen Momentaufnahmen, vom Fahrrad aus gedreht.

Seifert hat den Film selbst geschnitten und er war dabei so klug, ihn nicht auf die klassische Länge von 90 oder mehr Minuten zu strecken. In den eineinviertel Stunden von „So weit“ ist alles gesagt. Auf der Kinotour, die dieser Tage in Hamburg, Braunschweig und Hannover Station macht, singt Seifert ein oder zwei seiner Lieder und beantwortet auf der Bühne Fragen aus dem Publikum. Das ist am Ende dann auch abendfüllend. Und es kann sein, dass er im Rahmen so einer Vorstellung plötzlich vor mehr Leuten spielen wird als bei allen Konzerten seiner Deutschland-Tournee zusammengenommen .

„So weit – Der Film“, Regie, Buch, Kamera, Musik und Schnitt: Till Seifert, D 2021, 77 Min.

Kinotour: alle Termine aufwww.soweit2020.de