Gegen Lebensmittelverschwendung: Niedersachsen kurz vorm Containern

Schwarz-Rot initiiert eine Bundesratsinitiative gegen Lebensmittelverschwendung. Die Euphorie für das Thema kommt erst kurz vor der Bundestagswahl.

Brotscheiben, eine Orange, eine Windel, Möhren, eine Plastiktüte und mehr bilden einen Müllhaufen

Zum Teil noch genießbar: weggeworfene Lebensmittel Foto: Patrick Pleul/dpa

BREMEN taz | Nicht sinnlos, aber zu spät, zu inkonsequent und nicht weitreichend genug – so kritisieren Opposition und Nichtregierungsorganisationen die niedersächsische Bundesratsinitiative gegen Lebensmittelverschwendung. Nachdem die schwarz-rote Koalition ähnliche Forderungen der Landtags-Grünen und der FDP bisher stets abgelehnt hat, hat das Landeskabinett Mitte Juni einen entsprechenden Gesetzentwurf für die Länderkammer auf den Weg gebracht.

„Wir müssen gesetzlich dafür sorgen, dass anfallende Lebensmittel einer höchstmöglichen Verwertung zugeführt werden“, begründet Christian Budde, Pressesprecher des Umweltministeriums in Niedersachsen, den Vorstoß. „Am besten als Lebensmittel, so lange sie noch genießbar sind. Sonst sollen sie zu Tierfutter verarbeitet, zur Kompostierung oder zur Energiegewinnung genutzt werden“. Erreicht werden soll das durch Änderungen im Abfallrecht, die den Handel und Vertrieb verpflichten, Lebensmittelabfälle zu reduzieren.

„Diese Forderungen haben wir schon vor Jahren aufgestellt“, sagt Frank Bowinkelmann, Vorsitzender des Vereins Food­sharing. Inhaltlich seien sie sinnvoll und könnten bewirken, dass weniger Lebensmittel weggeschmissen werden.

Ähnliches berichtet Miriam Staudte, die ernährungspolitische Sprecherin der niedersächsischen Grünen-Fraktion: „Wir haben schon vor über zwei Jahren im Landtag eine Bundesratsinitiative gefordert, die Supermärkte verpflichtet, genusstaugliche Lebensmittel an Tafeln und ähnliche Einrichtungen abzugeben, wie es in Frankreich, Italien oder Tschechien bereits gesetzlich geregelt ist“, erinnert sie.

Oppositionsvorschläge abgelehnt

Das sei aber ebenso abgelehnt worden wie die Entkriminalisierung des Containerns, sagt sie der taz. Auch von der FDP war im September ein Antrag gekommen, mit dem Alternativen zum Mindesthaltbarkeitsdatum und Anreize gefordert wurden, möglichst wenig Lebensmittel wegzuschmeißen.

Überraschend hat sich die Landesregierung vor drei Wochen dann doch zu einer Bundesratsinitiative durchgerungen. Zwar war eine ähnliche Bundesratsinitiative von Hamburg, Bremen und Thüringen, die den Handel zur Lebensmittelspende verpflichten sollte, erst 2019 abgelehnt worden. Dennoch rechnet Ministeriumssprecher Budde diesmal mit breiter Unterstützung.

Anlass sei die „Handlungsnotwendigkeit“, sagt Budde. „In den letzten Jahren hat sich das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Wertschätzung der Ressourcen verändert“, behauptet er. Staudte hält das für vorgeschoben: „Mit dieser Bundesrats­initiative kurz vor der Bundestagswahl will die Groko in Niedersachsen von der eigenen Untätigkeit und von der Untätigkeit der Groko in Berlin ablenken.“

Ins Muster würden auch andere Aktionen passen: Vor einer Woche hatten Niedersachsens SPD und CDU auch noch einen Aktionsplan gegen Lebensmittelverschwendung und zur Stärkung von Tafeln in den Landtag eingebracht und für Donnerstag eine Aktuelle Stunde zum Thema beantragt: „Hätte die Groko ein Gesetz beschließen wollen, hätte sie lange genug Zeit gehabt“, findet Staudte.

Belastung für die Atmosphäre

Zwischen zwölf und 18 Millionen Tonnen Lebensmittel werden pro Jahr in Deutschland weggeschmissen. Laut Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) landen weltweit jedes Jahr 4,4 Milliarden Tonnen Treibhausgase durch weggeschmissene Lebensmittel unnötig in der Atmosphäre – acht Prozent der anthropogenen Treibhausgasemissionen. „Wir rasen auf eine Klimakatastrophe zu und die Regierung bewegt sich viel zu langsam“, kritisiert Bowinkelmann von foodsharing.

Die nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung gibt das Ziel vor, bis 2030 die Lebensmittelabfälle zu halbieren. „Das Ziel kann nicht erreicht werden, wenn die Regierung in diesem Tempo weitermacht“ befürchtet Bowinkelmann.

In den letzten Jahren wurden auch im Bundestag Anträge mit dem Ziel, Lebensmittelverschwendung zu stoppen, fleißig abgelehnt. Die Grünen forderten im Oktober 2019 umfassende Maßnahmen, wie ein Gesetz für die Verpflichtung zur Lebensmittelspende, die Unterstützung von Foodsharing und Tafeln, Ernährungsbildung und Abschaffung des Mindesthaltbarkeitsdatums auf EU-Ebene. Selbst die AfD hatte im Januar gefordert, Lebensmittelspenden per Gesetz steuerlich zu begünstigen.

Welche Ausmaße die Verschwendung in Deutschland hat, ist ungeklärt: „Das Problem ist, dass es immer noch keine solide Datenbasis gibt, was wo weggeschmissen wird“, bemängelt Bowinkelmann. Eine Datenerhebungspflicht für Lebensmittelabfälle im Handel und Vertrieb fordert die niedersächs­ische Bundesratsinitiative allerdings nicht.

„Es wird sehr viel Rücksicht auf die Industrie und den Einzelhandel genommen“, kritisiert Bowinkelmann. „Der Einzelhandel ist nicht willens sich in die Tonne gucken zu lassen, deshalb bleibt es da dunkel.“

Hinderlicher Rechtsrahmen

Zudem seien die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Weitergabe von Lebensmitteln an Foodsharing oder die Tafel hinderlich. „Da entsteht eine große Unsicherheit, weil nicht geklärt ist, wann wer haftet“, sagt Bowinkelmann. Wenn es eine gesetzliche Verpflichtung aller Beteiligten zur Lebensmittelspende gäbe, müssten von der Regierung Mittel bereitgestellt werden, die Logistik und Lagerkapazitäten ermöglichen. Alleine könne die Initiative Food­sharing das Abholen und Verteilen nicht stemmen.

„Es müssen nicht nur Gesetze sein, sondern es muss sich etwas in den Köpfen ändern“, sagt Charlotte Schneider vom Zentrum für Ernährung und Hauswirtschaft Niedersachsen. Es brauche Aufklärung und Verbraucherbildung, gerne auch in der Schule. Bowinkelmann fordert einen Schulgarten für jede Schule: „Wenn ein Kind eine Karotte aus der Erde zieht, die es selbst gepflanzt hat, dann ist es egal, ob diese krumm oder runzelig ist.“

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