1-2-3: mehr Polizei

Schleswig-Holstein bekommt eine neue Einsatzhundertschaft. Die Jamaika-Koalition will eine „Bürgerpolizei“, Kri­ti­ke­r*in­nen bezweifeln, dass das mit der neuen Einheit funktioniert

Bekommen Verstärkung: Polizist*innen in Schleswig-Holstein Foto: Carsten Rehder/dpa

Von Esther Geißlinger

Die Polizei in Schleswig-Holstein wird aufgestockt, unter anderem soll eine neue Einsatzhundertschaft entstehen. Genau richtig, findet das Land, zu wenig, heißt es von der Gewerkschaft. Aktivist*innen, die die Polizei auf Demos erleben, sehen die Pläne kritisch. Sie wünschen sich nicht mehr, sondern eine andere Polizei.

„Die weitere Einsatzhundertschaft ist aus unserer Sicht nötig, weil die erste oft weg ist und im ganzen Bundesgebiet abgerufen wird“, sagte Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) den Kieler Nachrichten. Als Ersatz würden Beamte aus allen Regionen des Landes zusammengezogen, die dann vor Ort fehlten. Dadurch bliebe dort Arbeit liegen, es häufen sich Überstunden an, so die Ministerin. Allerdings: Wenn schon eine Hundertschaft im Bundesgebiet herumreist, statt zwischen Flensburg und Norderstedt eingesetzt zu werden, wozu braucht es noch eine zweite?

„Wenn das Land seine Bereitschaftspolizei zu Großeinsätzen in andere Bundesländer schickt, liegt das nicht daran, dass sie hier nichts zu tun hätte, sondern das Land erfüllt damit vertragliche Pflichten“, erklärt Ministeriumssprecher Dirk Hundertmark. Die Bereitschaftspolizei werde nicht nur zur Sicherung von Großereignissen oder Demonstrationen eingesetzt, sondern auch zur Verkehrskontrolle oder zur Überprüfung der Corona­schutzmaßnahmen. Im Laufe der vergangenen zehn Jahre sei die Belastung tendenziell gestiegen. Die neue Hundertschaft würde die örtlichen Dienststellen entlasten.

Dass die Polizei mehr Stellen erhält, hatten die Jamaika-Parteien im Koalitionsvertrag vereinbart. Die Ordnungskräfte sollen als „Bürgerpolizei“ in der Gesellschaft verankert sein, dazu sei es unerlässlich, mehr Polizei auch in der Fläche einzusetzen, heißt es. Bis 2023 sollen landesweit 755 Stellen mehr als im Jahr 2015 vorhanden sein. Dazu sollen 500 Posten neu geschaffen werden, darunter 123 für die Hundertschaft. Weitere Stellen, die ursprünglich wegfallen sollten, bleiben besetzt. Der Aufbau soll schrittweise passieren. Die Gewerkschaft der Polizei wünscht sich allein für die Hundertschaft 160 Stellen und kritisiert das Tempo des Ausbaus: „Mit den geplanten 50 zusätzlichen Einstellungen in den nächsten beiden Jahren ist es bei Weitem nicht getan“, sagte der Landesvorsitzende Torsten Jäger.

„Die innenpolitische Aufrüstung, die wir gerade erleben, hat ein beängstigendes Tempo an den Tag gelegt“

Hanna Poddig, Autorin und Aktivistin

Aber braucht es mehr Polizei, damit sich alle Menschen sicherer fühlen, wie es das Ziel der „Bürgerpolizei“ sein soll? Nein, sagt Hanna Poddig. Die Autorin und Aktivistin hat sich zuletzt gegen die Abholzung des Flensburger Bahnhofswaldes engagiert. „Die innenpolitische Aufrüstung, die wir gerade erleben, hat ein beängstigendes Tempo an den Tag gelegt“, sagt Poddig. Das mache sie nicht nur an der Verschärfung der Polizeigesetze fest, sondern auch an der hohen Präsenz bei Einsätzen. Für die Räumung des Bahnhofswaldes seien neben der Eutiner Hundertschaft auch Einheiten aus Hamburg und Niedersachsen in Flensburg gewesen. Poddig hält das Aufstocken für „die genau falsche Richtung“. Stattdessen verweist sie auf die „Defund the police“-Debatte in den USA. Dort wird diskutiert, der Polizei Geld zu entziehen und damit zivile Strukturen besser auszustatten.

Hannes Wadle hat in Neumünster zahlreiche Demos gegen Nazi-Aufmärsche organisiert und sieht die Polizei differenziert: „Die Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen funktionierte gut, aber einigen in der Hundertschaft gefiel nicht, dass wir ihnen Probleme machten.“ Generell sei sein Eindruck, dass – auf jeden Fall bis zur Aufdeckung des NSU – für die Mehrheit der Be­am­t*in­nen der Feind links gestanden habe. Ob es für die Deeskalation sinnvoll sei, wenn künftig noch eine Hundertschaft eingesetzt wird, sei schwer zu sagen: „Wir bräuchten eine wissenschaftliche Untersuchung zu politischen Einstellungen der Polizei“, sagt Wadle. „Aber das hat Horst Seehofer ja abgelehnt.“

Ob eine Hundertschaft professioneller agiert als zusammengestellte Gruppen? „Gut ausgebildet sind alle“, betont Ministeriumssprecher Hundertmark. Aber wie im Sport könne es sein, dass „eine Mannschaft, die oft gemeinsam trainiert, auch besser zusammenarbeitet“. Poddig sieht die Frage ambivalent: „Die Kasernierung der Hundertschaften führt eher zu gefestigteren Feindbildern, etwa gegen Linke, und das Selbstverständnis ist nicht deeskalativ, sondern auf-die-Fresse.“ Allerdings könnten sich „Dorf­sheriffs“ aus Überforderung von Angst leiten lassen: „Das führt wiederum zu einer anderen Art von Gefährdung.“