Unser gestörtes Verhältnis zur Natur: Ein ganz normaler Nachbar

Einfach wahrzunehmen, dass eine Welt existiert, in der das Tier Homo sapiens sapiens eine Spezies unter vielen ist, fällt uns wirklich schwer.

Ein Roter Milan (Milvus milvus) kreist über einer Wiese in Nordsachsen und hat neben einer Maus einen Grashalm in den Fängen

Ein Roter Milan nutzt die Erntearbeiten, um aufgeschreckte und freigelegte Nager zu jagen Foto: DPA

Die Sonne knallte vom wolkenlosen Himmel, der Wald strahlte in frischem Grün, und auf den Weiden brummten die Insekten und Traktoren. Wir schleppten für ein paar Tage unsere Rucksäcke über das „Grüne Band“ entlang der ehemaligen Staatsgrenze zwischen Bayern und Thüringen. Wie gut, wenn der Sohn Biologie studiert: „Das da ist ein Rotmilan!“, sagte unser Ältester. Einer? Gleich vier der großen Raubvögel kreisten über uns. Und mein Hirn formulierte ganz von selbst die Frage: So viele Rotmilane – wo sind denn hier die Windkraftanlagen?

Es gab keine. Und ich war ein bisschen entsetzt über mein Gehirn. Es ist offenbar schon so professionell deformiert, dass es diese eleganten Jäger, die da so laut- und schwerelos auf uns herabsahen, nur in Verbindung mit Problemen denken kann. Rotmilan heißt Tod am Windrad, heißt Gegner der Energiewende, heißt Problem, heißt interessante Geschichte. Zum Glück war es da zwischen Truckendorf und Görsdorf total langweilig.

Seltsam ist es schon. Wir nehmen Tiere in der Natur und im Stall eigentlich nur wahr, wenn sie ein Problem sind oder haben. Regelmäßig berichten wir über die Rote Liste und tote Arten, über Tiere und Pflanzen, die kurz vor dem Aussterben stehen oder gerade ausgestorben sind. Bären werden in Käfigen missbraucht.

Kühe werden im Leben schlecht behandelt und vor dem Tod gequält. Gefolterte Marderhunde und Fledermäuse übertragen Corona. Das alles sind nur Meldungen aus den letzten paar Tagen.

Das Beste der Natur

Dann nehmen wir die Umwelt noch wahr: wenn sie uns stört oder gefährlich wird. Borkenkäfer killen unsere Wälder. Heuschrecken fressen Ostafrika leer. Waldbrände töten Millionen von Tieren in Australien. Das Beste, was der Natur in unseren Nachrichten passieren kann, sind exotische Begebenheiten, etwa die Zikaden, die derzeit die US-Ostküste überfallen, nachdem sie 17 Jahre im Boden geschlafen haben.

Einfach wahrzunehmen, dass da draußen und hier drinnen eine Welt existiert, in der das Tier Homo sapiens sapiens eine Spezies unter vielen ist, fällt uns wirklich schwer. Die Ameisen auf unserem Balkon, die meine Familie ausrotten will – gehören die da nicht einfach hin? Nicht, wenn sie über unsere Teller laufen, meint meine Familie.

Gestörtes Verhältnis

Die Mäuse im Schrebergarten, die Wildschweine an der Joggingstrecke im Wald, der Fuchs an den Mülltonnen – könnten wir die nicht einfach in Ruhe lassen? Ein gutes Verhältnis zu den Lebewesen um uns herum gibt es wohl erst, wenn wir sie weder ausrotten noch knuddeln wollen, sondern sie einfach als Nachbarn betrachten, mal nett, mal nervig, aber man muss mit ihnen auskommen.

Das gab es natürlich auch auf unserer Tour. Die Frösche in der Pfütze, der Hase neben dem Kolonnenweg, die Schaf-Stampede, die uns am letzten Tag überflutete. Und dann war da noch dieser Kuckuck direkt über unserem Zelt. Morgens um fünf ging das los mit dem Geschrei und hörte gar nicht mehr auf. Ein ganz normaler blöder Nachbar.

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Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).

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