Kunst übers Riechen: Lauter dufte Ausstellungen

Geruch ist der Sinn der maximalen Nähe. Acht Museen in Bremen und Bremerhaven verschaffen ihm jetzt einen fulminanten Auftritt mit zehn Ausstellungen.

Eine Frau riecht vor einem bunten Hintergrund am Handgelenk einer anderen Frau, ein Mann sieht ihnen zu

Kunst für die Nase: Brian Goeltzenleuchters „Sillage“ in einer Ausstellung in Los Angeles 2014 Foto: Städtische Galerie Bremen

BREMEN taz | Na, wie riecht es gerade? Gut oder schlecht vielleicht, blumig, frisch oder muffig – das war’s auch schon fast mit Geruchs-Adjektiven. Vielleicht riecht es auch nach etwas? Ganz romantisch nach Druckerschwärze, Kaffee, nach Sonnenlicht auf Holz oder weniger romantisch nach dem eigenen Atem unter der Maske. So oder so denken wir im Alltag nicht oft über Geruch nach, höchstens beim Parfumkauf, wenn im Zug die Klimaanlage ausgefallen ist oder wenn aktuell Menschen ihren Geruchssinn durch eine Covid-Infektion verlieren. Noch seltener sprechen wir darüber. Umso besser, dass sich in Bremen gerade zehn Museen dem verborgenen, lange vernachlässigten Sinn annähern – aus der Perspektive der Kunst. Die landesweite Ausstellungsreihe „Smell it! Geruch in der Kunst“ läuft seit Mai und bleibt teilweise bis Anfang September.

Riechen hat in der westlichen Kulturgeschichte nie ein besonders hohes Ansehen genossen. Bereits in der Antike musste er sich hinter dem edleren Sehen und Hören anstellen. In der Aufklärung begann dann sein vorerst steilster Abstieg: Bei Kant ist Riechen und Ästhetik nicht vereinbar, weil der gebührende Abstand zum Objekt fehlt. Auch Hegel ist kein Fan.

Das bleibt bis in die 1970er der vorherrschende Tenor: Zu wahrer Kunst muss man Distanz halten können. Ästhetisches Vergnügen ist abwägend, kühl und kognitiv. Das konnte der als animalisch und primitiv verschrieene Geruchssinn nie leisten. Denn er ballert Eindrücke und Emotionen über Rezeptoren in der Nasenschleimhaut direkt ins Gehirn, ohne langes Nachdenken und Abwägen. Der einzige prominente Geruchsenthusiast bleibt lange Nietzsche, der im Geruchssinn eine einzigartige Verbindung zwischen Körper und Geist sah.

Seit den 1950er-Jahren gibt es allerdings Hoffnung für feine Näschen. Was Kunst ist, ist mittlerweile deutlich großzügiger definiert als noch vor der Jahrhundertwende. Zur Malerei, Bildhauerei und Musik gesellten sich neue Kunstformen wie Performance-Art: Eine Chance für den Geruch, die Künst­le­r*in­nen nutzten. Otobong Nkanga thematisiert in ihren Werken Geruch im Kontext von Kolonialismus, wie in der Installation „Anamnesis“ von 2018 – und in Deutschland ist Sissel Tolaas bekannt.

Riechende Ausstellungswelt

Die in Berlin lebende Künstlerin hat unter anderem den Geruch der Schlachtfelder im Ersten Weltkrieg für ein Dresdner Museum nachempfunden. Geruchskunst oder Olfactory-Art hat sich als kleine Kunstform etabliert. Nachlesen kann man diese interessante Geschichte zum Beispiel im Buch „Art Scents“ von Larry Shiner.

„Das ist ein Bereich, der mal eine Bühne verdient“, sagt Saskia Benthack. Sie koordiniert die Ausstellungsreihe „Smell it!“. Deren Ziel sei es gewesen, die Relevanz des Themas weiter zu stärken. Vor allem „in der sonst geruchslosen Ausstellungswelt“, sagt die Kultur- und Kunstwissenschaftlerin.

Die Idee zur Reihe gab es schon seit 2018. So lange hat es gedauert, die verschiedenen Perspektiven, Veranstaltungen und Ausstellung zu koordinieren. Einmal musste der Start auch wegen Corona verschoben werden. Die Anregung kam seinerzeit von Ingmar Lähnemann, dem Kurator der Städtischen Galerie.

Ergebnis ist ein in dieser Form einzigartiger, landesweiter Cluster von zehn individuellen Ausstellungen, einer wissenschaftlichen Vortragsreihe und einem Rahmenprogramm. „Über den Sommer hinweg kann man sich mit ganz verschiedenen Ideen beschäftigen“, sagt Benthack, „Motor des Projekts waren die ganz verschiedenen Perspektiven.“

Ergebnis der jahrelangen Planung ist eine wirklich bunte Mischung: Von schweren Ölgemälden in der Kunsthalle, die einen Fischmarkt zeigen, bis zu Unschuld in Seifenform im Zentrum für Künstlerpublikationen. Ausgestellt wird in der Kunsthalle, in der Weserburg, der Städtischen Galerie, dem Gerhard-Marcks-Haus, dem Paula-Modersohn-Becker-Museum, dem Zentrum für Künstlerpublikationen, beim Kunstverein Bremerhaven, im Künstlerhaus Bremen – und das „kek“-Kindermuseum hat Mitmachexponate und Dufthäuser in ganz Bremen verteilt. Wer will, kann sich durch ganz Bremen riechen – und riecht danach selbst entsprechend. Denn die Düfte und Aromen bleiben in der Kleidung hängen. Selbst die Dusche am Abend bekommt sie nicht ganz raus.

Die einzelnen Objekte in den Ausstellungen sind sehr unterschiedlich. Manchmal wird Geruch von den Künst­le­r*in­nen rein konzeptionell und manchmal tatsächlich praktisch verwendet. Das zeigt sich besonders deutlich im Zentrum für Künstlerpublikationen, dort finden Be­su­che­r*in­nen beides: Marcel Duchamps „Air de Paris“, eine kleine, durchsichtige Glasampulle, steht dort gegenüber von kleinen Parfumprobefläschen von Peter de Cupere. Wer will, kann einen Probeflakon mit einem Tropfen nach Rasen duftendem Parfum kaufen – „One Drop of Freedom“. Der Erlös wird in Bremen an die Initiative Fluchtraum gespendet, die jungen Geflüchteten hilft.

Bei der Ausstellung „Macht“ von Luca Vitone in der Weserburg soll es genau danach riechen – und tatsächlich hängt in der Luft ein staubiger Duft, den man zuerst nicht bemerkt und der einem dann langsam den Hals zuschnürt. In den Ausstellungen geht es oft um die unglaubliche, emotionale Kraft von Gerüchen, wie sie Zeit und Raum transzendieren, und um ihre Flüchtigkeit. So wie in den wunderschönen fotografischen Stillleben von Barbara Haiduck mit dem Titel „Les fleurs tristes“. Sie hat Blumensträuße auf Fotopapier gelegt und sie verrotten lassen. Das empfindliche Papier zeigt nicht nur den Abdruck der Pflanzen, sondern hält auch eine Aura des Gases um die Blumen herum fest, das sie beim Verwelken ausstoßen – ein besseres Vanitas-Bild hat es wohl nie gegeben.

In der Geruchskunst hängen Schönes und Ekliges näher zusammen als beim Betrachten eines Gemäldes oder einer Skulptur. Das „Ultimate Beneficial Pipeline Construction System 2.0“ in der Städtischen Galerie von Laura Pientka sind Keramikröhren, auf die sie Melasse schüttet, die aussieht wie der Inhalt von Kanalrohren. Die Position wird mit entsprechendem Geruch und Sound begleitet – vielleicht nicht für erste Dates zu empfehlen, oder gerade deswegen. Die spanische Philosophin Marta Tafalla ist ohne Geruchssinn auf die Welt gekommen. Im Artikel „The World Without Olfactory Dimension“ beschreibt sie, wie das ist. Sie schreibt, dass für sie die Welt wahrscheinlich weniger hässlich ist, aber auch weniger schön.

Der Geruch des Kolonialismus

Dass „Smell it!“ gerade in Bremen stattfindet, ist sehr passend. Die Hansestadt hat lange von Kolonialismus und Handel mit der ganzen Welt profitiert. Bis vor Kurzem roch es auf der linken Weserseite nach Schokolade aus der Hachez-Fabrik und bei richtigem Windstand nach Cornflakes. Geblieben sind die Düfte der Kaffeeröstereien und immer mal wieder legt sich Bierdunst aus der Beck’s-Brauerei über die City. „Bremen riecht“, sagt ­Benthack. Durch die Ausstellung wieder mehr, denn einige Firmen haben ihre Produktionen mittlerweile verlegt.

„Smell it!“ ist aber ein toller Anlass, um das Bundesland nach langer, coronabedingter Ein­igelung wiederzuentdecken – und das nicht nur mit dem durch Zoom und Homeoffice überstrapazierten Sehsinn. Einziges Problem: die Masken, die Be­su­che­r*in­nen natürlich weiterhin tragen müssen. Auch wenn sie getragen werden müssen, lassen sich manche Gerüche schlecht wahrnehmen, ohne sie kurz zu lüften.

„Smell it!“ hat ungefähr den gleichen Effekt aufs Geruchsvermögen wie ein Kinobesuch auf das Sehen. Alles riecht schärfer, deutlicher, voller, wenn man aus den Museen wieder nach draußen kommt. Und, wie riecht es gerade?

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