Lizenz zum Töten

Vor 30 Jahren endete der Prozess um den ersten „finalen Rettungsschuss“ in Hamburg. Redakteur einer kommunistischen Zeitung wurde zu Geldbuße verurteilt, weil er die Erschießung eines Geiselnehmers „staatlich geplanten Mord“ nannte

Die Polizisten feuern noch auf den am Boden liegenden Geiselnehmer

von Bernhard Röhl

Am 18. April 1974 überfällt der Student Huberto Emilio Martin-Gonzales die Commerzbank-Filiale am Steindamm. Er liefert sich eine Schießerei mit der Polizei und nimmt Angestellte als Geiseln. Als er zusammen mit einer Geisel die Bank verlässt, wird er von Polizisten aus kurzer Entfernung erschossen. Während Innensenator Hans-Ulrich Klose (SPD) und Polizeipräsident Redding die Todesschüsse ausdrücklich billigen, spricht Der Metallarbeiter, Zeitung des Kommunistischen Bundes (KB), von einem „staatlich geplanten Mord“. Der verantwortliche Redakteur Kai Ehlers erhält einen Strafbefehl wegen Verleumdung und Beleidigung der Polizei. Als er sich weigert, die Summe zu bezahlen, kommt der erste „finale Rettungsschuss“ Hamburgs im Frühjahr 1975 doch noch vor Gericht. Ein Ermittlungsverfahren gegen den Schützen hatte die Staatsanwaltschaft eingestellt.

Der 18. April ist ein Donnerstag. Als der Mann mit Strumpfmaske, Ledertasche und Pistole um 12.30 Uhr die Filiale am Steindamm 50 betritt, löst ein Bankangestellter stillen Alarm aus. Der Drucker im Polizeipräsidium Beim Strohhause spuckt die Adresse aus, ein Peterwagen rast los, zwei Polizisten stürmen mit gezogenen Pistolen die Bank. Martin-Gonzales, 28 Jahre alt, kolumbianischer Staatsbürger, erschießt einen Beamten. Der andere kann verletzt fliehen.

Der Bankräuber bleibt mit sieben Angestellten als Geiseln zurück. Er verlangt ein Fluchtauto mit Funkanlage und Fahrer. Im Nachbarhaus trifft sich unterdessen die Polizeiführung: Polizeichef Redding, Staatsrat Ralf Dahrendorf, der Leiter des Mobilen Einsatzkommandos (MEK), Hermann Gruschke, und als Einsatzleiter Kriminaldirektor Hans Zühlsdorf. Sie lassen das Gebiet zwischen Hauptbahnhof und Steindamm absperren und in den Straßen Pulverteich und Kleiner Pulverteich ganze Häuser räumen. 70 Peterwagen, drei Züge Bereitschaftspolizei, 80 Mann Kripo und das MEK werden beordert. Auf Dächern postieren sich Polizisten.

Um 15.40 Uhr lässt die Polizei nach schwierigen Verhandlungen mit dem Geiselnehmer einen Fluchtwagen vorfahren. Ein Beamter der Sonderfahndung stellt sich als Fahrer zur Verfügung. Nur mit einer Badehose bekleidet, steht er mit erhobenen Händen vor dem Auto. Der Bankräuber schickt drei Geiseln voraus. Kurz darauf tritt er selbst vor die Tür. Er hält einem Mann ein Schlachtermesser an den Hals und merkt nicht, dass neben dem Eingang drei Scharfschützen des MEK auf ihn lauern. Als Martin-Gonzales kurz das Messer absetzt, schießt ihn der vorderste Polizist in den Kopf. Die beiden anderen feuern auf den am Boden liegenden Geiselnehmer. Auch die Geisel wird schwer getroffen. Die Bilder der anwesenden Fotografen und des Fernsehens gehen um die Welt.

„Man hat den einzigen Augenblick, in dem der gefährliche Täter angreifbar war, nicht verstreichen lassen können“, rechtfertigte Redding in der Welt seine Zustimmung. Angeblich war nicht festzustellen, aus welcher Waffe die Kugel stammte, die die Geisel schwer verletzte. Ein Verfahren gegen die drei MEK-Schützen wird eingestellt.

Der KB kommentierte den Vorgang in einem Flugblatt zum 1. Mai 1974 mit den kräftigen Worten: Das MEK habe, „nachdem seine Kandidaten zur Übung 200.000 Schuss auf Pappkameraden abgefeuert hatten, vor knapp zwei Wochen am Steindamm den Genickschuss am lebenden Objekt“ demonstriert. „Es war hier offensichtlich, dass ein staatlich geplanter Mord durchgeführt wurde – unter dem Mantel der Rettung der Geisel.“ Und im Metallarbeiter erschien ein Foto von MEK-Beamten mit gezogenen Pistolen. Darunter stand: „Sie werden abgerichtet zum Mord.“

Presserechtlich verantwortlich war in beiden Fällen der Metallarbeiter-Redakteur Kai Ehlers. Am 26. November 1974 erhielt er vom Amtsgericht den Strafbefehl in Höhe von 1.800 Mark, ersatzweise 90 Tage Haft. Ehlers lehnte ab und kam am 21. März 1975 vor Gericht. Vergeblich beantragte sein Anwalt Uwe Mäffert die Vernehmung des Todesschützen. Weder der Polizeipräsident wurde vorgeladen noch der Schießausbilder, der der Polizei in der Illustrierten Quick vorwarf, sie habe die Geisel in Gefahr gebracht. Es blieb an Einsatzleiter Zühlsdorf hängen, auf Mäfferts bohrende Fragen Antworten zu finden.

Zühlsdorf gab zwar zu, es sei der Entschluss gefasst worden, die Gefahr am Ort des Geschehens zu beseitigen. Trotzdem wollte er nichts von dem geplanten Einsatz der drei Schützen neben dem Bankausgang gewusst haben. Die Frage, ob die Beamten aus eigener Verantwortung schießen konnten, wurde vom Richter zurückgewiesen. Auf die Frage des Angeklagten, weshalb noch auf den am Boden liegenden Geiselnehmer geschossen wurde, meinte Zühlsdorf: „Weiß ich nicht. Ich habe nicht geschossen.“ Anwalt Mäffert nannte ihn einen „völlig untauglichen Zeugen“. In seinem kurzen Plädoyer lehnte Staatsanwalt Reumann den Rechtfertigungsgrund nach § 193 (freie Meinungsäußerung) ab. Am 1. Juli 1975 verurteilte Richter Klemmt Kai Ehlers zu einer Geldstrafe von 1.500 DM wegen Beleidigung und Verleumdung der Polizei.

Der KB stellte in einer Presseerklärung fest, dass in den vorangegangenen vier Jahren mehr als 70 Personen von der Polizei erschossen und die Schützen entweder freigesprochen oder auf Bewährung verurteilt wurden.