Überlastete Berliner Bürgerämter: „So kommen wir nicht weiter“

Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD) will mit einem 10-Punkte-Plan die Überlastung der Bürgerämter abbauen. Einer der Punkte: 100 neue Mitarbeiter.

Portrait von Oliver Igel

Steht mitten im Rauch: Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD) Foto: Massimo Rodari/imago

taz: Herr Igel, kürzlich haben sich die Bezirke mit Innenstaatssekretärin Sabine Smentek zur Krise in den Bürgerämtern getroffen. Berlinweit gibt es einen Rückstau von 250.000 Anträgen. Was wurde verabredet?

Oliver Igel: Es stand schon vorher fest, dass die Bezirke für einen begrenzten Zeitraum mehr Geld bekommen sollen. Zugesagt sind 2,5 Millionen Euro für alle zusammen. Leider steht noch nicht fest, wie die genauen Konditionen sind, um an dieses Geld heranzukommen.

250.000 Terminanfragen stauen sich bei den Berliner Bürgerämtern. Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte die Bezirke deshalb Mitte Juni zu einem Krisentreffen geladen. Dabei wurde unter anderem über breitere Öffnungszeiten gesprochen, etwa eine Öffnung der Bürgerämter an Samstagen, ebenso darüber, Termine stärker zu überbuchen, also zu einem gewissen Anteil mehrfach zu vergeben. Hintergrund sind häufige Absagen. Etwa 15 bis 20 Prozent der Termine würden nicht wahrgenommen.

Ein geplantes neues Bürgeramt in Mitte soll zudem beim Abbau des Terminstaus helfen. (dpa)

Wer legt das fest?

Staatssekretärin Smentek will mit der Finanzverwaltung ins Gespräch kommen. Es gab Andeutungen, dass wir aus diesem Budget etwa Überstunden auszahlen können. Das ist der erste konkrete Ansatz, der Hoffnung macht, die Terminlage in den Bürgerämtern zu verbessern.

Wie soll das gehen?

Wenn Beschäftigte bereit sind, neben ihrer Wochenarbeitszeit zusätzlich zu arbeiten, bezahlt, nicht auf Überstundenbasis, würden Samstagstermine einen echten Mehrwert bringen. Das heißt, die Öffnungszeit in der Woche wird nicht reduziert, weil Überstunden abgebaut werden müssen. Eine Sechstage-Woche, das geht natürlich nicht auf Dauer.

Wie stehen die Beschäftigten dazu?

Ich habe noch keine Signale, aber ich weiß von Mitarbeitern, dass sie bezahlten Überstunden offener gegenüberstehen als dem Abbummeln. Wenn mehrere Bezirke kurzfristig eine Samstagsöffnung realisieren, wird das sehr schnell spürbar sein.

Wie lange sind die Wartezeiten auf Termine zurzeit?

Ich weiß von Bürgern, die schon seit Wochen versuchen, einen Termin zu bekommen, manche sogar schon seit Monaten. Manche haben Glück, die meisten haben aber Pech. Auf der einen Seite sind das noch die Nachwirkungen des Lockdowns. Dann beginnt jetzt die Reisezeit, wo mehr Menschen ein gültiges Personaldokument benötigen. Und dann haben die Bürgerämter auch noch damit zu tun, die Wahlen vorzubereiten.

Sie haben ein 10-Punkte-Papier veröffentlicht, in dem Sie 100 neue Mitarbeiter für die Bürgerämter fordern.

Oliver Igel (43) SPD, gebürtiger Köpenicker, studierter Literaturwissenschaftler, ist seit 2011 Bürgermeister in Treptow-Köpenick.

Die 2,5 Millionen Euro Soforthilfe sind mehr als ein Tropfen auf einen heißen Stein. Aber wenn wir einen guten Teil davon für Überstunden verbrauchen, bleibt nicht viel für zusätzliche Kräfte übrig. Durch die Überstunden verspreche ich mir wirklich Fortschritte. Aber wichtiger wäre, wir bekämen zusätzlich neues Personal. Wir wollen nicht nächstes Jahr vor der gleichen Situation stehen.

Als Schlüssel für die Verteilung der 100 Stellen schlagen Sie das Windhundprinzip vor. Wie soll das gehen?

In den Senatsverwaltungen gibt es immer Leute, die aus irgendwelchen Beträgen komplizierte Rechenmodelle erstellen: wie viele Mitarbeiter nach Bevölkerungszahlen auf welche Bezirke verteilt werden. Da sage ich: Lasst das doch einfach. Wir sollten besser fragen, welcher Bezirk kann zu welchem Zeitpunkt wie viele Mitarbeiter neu einstellen?

Wer zuerst kommt, kriegt zuerst?

Genau. Der Punkt ist doch: Jedes Bürgeramt, ob nun in Köpenick oder Spandau, ist für jeden Berliner offen. Damit ist es völlig wurscht, wo die Mitarbeiter hinkommen. Natürlich können nicht 100 neue Mitarbeiter nach Treptow-Köpenick kommen. Aber es geht doch darum, so schnell wie möglich so viele wie möglich zu gewinnen und zu qualifizieren.

Was sagen die anderen Bezirke zu dem Vorschlag?

Ich habe alle zehn Punkte am vergangenen Mittwoch in der Runde aller Stadträte vorgetragen. SPD-seitig ist mein Papier da quasi mit unterschrieben. Bei der Senatsverwaltung für Inneres gab es allerdings Zurückhaltung. Da stehen ja auch ein paar Vorschläge drin, wo die sich bewegen muss.

Inwiefern?

Die Bürgerämter müssen in Vorbereitung der Wahlen zum Beispiel auch Unterschriftenprüfungen vornehmen. Wir prüfen beispielsweise auch die Unterschriften für das Volksbegehren Deutsche Wohnen enteignen. Ich habe vorgeschlagen, dass das die Senatsinnenverwaltung für einen vorübergehenden Zeitraum übernehmen könnte, damit sich die Bürgerämter auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können.

Und?

Grenzenlose Begeisterung! (lacht) Mir ist gesagt worden, dass das nach Lage des Gesetzes eine Aufgabe der Bezirke sei. So kommen wir aber nicht weiter.

Vielleicht brennt die Hütte noch nicht genug?

Also ich stehe mitten im Rauch.

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