Laschet und sein Wahlprogramm: Lächeln reicht nicht

CDU-Chef Armin Laschet ist dauerfreundlich in alle Richtungen, will aber nur die Reichen beglücken. Politisch ist das erstaunlich dürftig.

Kreis aus Elektrozapfsäulen auf rotem Grund

Ohne genügend Zapfsäulen keine Elektroautos und umgekehrt Illustration: Jeong Hwa Min

CDU-Chef Armin Laschet könnte genauso gut in der FDP sein. Zwischen den Wahlprogrammen der Liberalen und der Union ist kaum ein Unterschied auszumachen; Differenzen finden sich höchstens in so unwesentlichen Details wie beim künftigen Luftverkehr: Die Union will „Flugtaxis“ fördern, während die Liberalen von einem europäischen Weltraumbahnhof träumen, auf dem dann „kleine Trägerraketen“ der „New-Space-Unternehmen“ abheben können.

Laschet gilt als ideologiefreier Moderator – genau deswegen ist die Union jetzt im Lager der FDP gelandet. Laschet muss der Basis zeigen, dass auch er konservativ sein kann. Die CDU ist tief gespalten, wie die jahrelange Suche nach einer Merkel-Nachfolge gezeigt hat. Am Ende hat sich der moderate Flügel zwar durchgesetzt, mit Laschet an der Spitze, aber die Konsequenz ist, dass die Konservativen nun permanent befriedet werden müssen. Schließlich ist ihr Anführer, Friedrich Merz, mit beachtlichen 47 Prozent gescheitert. Der Riss geht genau durch die Mitte der CDU.

„Konservativ“ heißt bei der CDU schon lange nicht mehr, gläubiges Kirchenmitglied zu sein – sondern die Welt ausschließlich aus der Warte der Reichen und der Unternehmer zu betrachten. Merz klang schon immer wie die FDP, nun ist auch der Laschet-Flügel dort angekommen.

Die Union verstand sich eigentlich immer als Volkspartei, doch das jetzige Wahlprogramm ist radikal: Es ist reine Klientelpolitik für die Wohlhabenden. Damit die unteren Schichten dies nicht so deutlich merken, wurden 140 Seiten verfasst, die meist vage bleiben. Doch inmitten dieser endlosen Floskelprosa finden sich einige knallharte Aussagen. So will die Union den „Solidaritätszuschlag für alle“ abschaffen. Das klingt zwar gerecht, doch wird nicht erwähnt, dass nur noch die obersten 5 Prozent der Erwerbstätigen den „Soli“ zahlen, der 5,5 Prozent von der Einkommensteuer beträgt. Wird der Soli ganz gestrichen, profitieren also nur die Wohlhabenden: Sie bekämen 10 Milliarden Euro im Jahr geschenkt.

Diese Großzügigkeit haben die Reichen gar nicht nötig, denn sie wurden schon äußerst üppig bedient. Ein paar Beispiele: In den vergangenen zwanzig Jahren wurde der Spitzensatz bei der Einkommensteuer von 53 auf 42 Prozent gesenkt; die Körperschaftsteuer für Unternehmen fiel auf 15 Prozent; auf Zinsen und Dividenden muss nur noch eine Abgeltungsteuer von 25 Prozent gezahlt werden; und die Erbschaftsteuer wurde so reformiert, dass Firmenerben meist gar nichts abführen müssen, selbst wenn sie milliardenschwere Unternehmen übernehmen.

Die Reichen wurden umfangreich bedacht – obwohl sie sowieso ständig reicher werden. Vom Wachstum der vergangenen zwanzig Jahre haben vor allem die Wohlhabenden profitiert. Seit der Jahrtausendwende sind die realen Einkommen des reichsten Zehntels um 25 Prozent gestiegen, während die Durchschnittsverdiener nur auf ein Plus von etwa 12 Prozent kamen. Das ärmste Zehntel hat sogar verloren: Sie erhalten jetzt 2 Prozent weniger als vor zwanzig Jahren.

Doch obwohl es den deutschen Reichen bestens geht, soll nicht nur der Soli abgeschafft werden – auch die Unternehmensteuern sollen noch weiter fallen und zwar gleich um 5 Prozentpunkte. Die Details sind zu kompliziert, um sie hier näher auszuführen, aber die wahrscheinlichste Variante dürfte sein, dass die Körperschaftsteuer von derzeit 15 auf lächerliche 10 Prozent sinken soll. Kapitaleigner bekämen damit weitere 17 Milliarden Euro geschenkt, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ausgerechnet hat.

Das ist absurd. Der internationale Trend geht genau in die andere Richtung: Die G7-Staaten haben erst kürzlich eine globale Mindeststeuer für Konzerne von 15 Prozent beschlossen, und US-Präsident Joe Biden will die Unternehmensteuern in seinem Land noch deutlich stärker anheben.

Während die Union also genau darlegt, wie sie die Reichen beglücken will, wird der große Rest der Bevölkerung mit vagen Ankündigungen abgespeist. Wolkig heißt es, dass auch „kleinere und mittlere Einkommen“ bei der Steuer entlastet würden. Was immer das heißen soll: Viele Beschäftige könnten schon deswegen nicht profitieren, weil sie kaum Einkommensteuern zahlen – sie verdienen zu wenig.

Damit nicht auffällt, dass sich die Union nur um die Reichen kümmert, fährt die Partei eine „Grüne Socken“-Kampagne: Sie spielt sich als Schutzmacht des „kleinen Mannes“ auf, den sie gegen die Zumutungen des Klimaschutzes bewahrt. Nur mit der Union, so der Subtext, kann man weiter nach Mallorca fliegen und ungebremst Fleisch essen – als ob die anderen Parteien das verbieten wollten.

Die Union offeriert also eine Mogelpackung: Man macht auf Volkspartei, bedenkt aber nur eine reiche Minderheit. Das ist nur scheinbar ein Paradox, denn die Union bedient einen altbekannten Reflex der Unter- und Mittelschichten: Sie neigen zum Selbstbetrug. Niemand will sich eingestehen, bestenfalls zu den Durchschnittsverdienern zu gehören – stattdessen sehen sich fast alle als Teil der Elite. Man ist vielleicht nicht reich, fühlt sich dem Reichtum aber nah. Der Traum vom Aufstieg ist zu schön, um ihn aufzugeben, und also nimmt man willig hin, dass vor allem die Wohlhabenden entlastet werden. So erstaunlich es scheint: In den unteren Schichten holt ausgerechnet die CDU die meisten Stimmen. Die Union ist die eigentliche Arbeiterpartei in Deutschland, nicht die SPD oder die Linke.

Einziger Trost: Die Union führt zwar in den Umfragen, ist aber von einer eigenen Mehrheit weit entfernt. Zudem müssen Steuerreformen nicht nur den Bundestag passieren, sondern auch vom Bundesrat abgesegnet werden. In der Länderkammer haben Grüne, Linke und SPD jedoch eine sehr solide Vetomacht. Daher dokumentiert das Unions­programm vor allem zweierlei: Der Merz-Flügel hat das Sagen, und ansonsten hält man die eigenen Wähler für ziemlich doof.

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Laschet selbst scheint sowieso zu glauben, dass es reicht, über alle Widersprüche hinweg zu lächeln. Doch diese Wohlfühlstrategie könnte daran scheitern, dass die Widersprüche allzu offensichtlich sind. Selbst die Union kann den Klimawandel nicht mehr leugnen – aber Klimaschutz kostet Geld. Daher bleibt ein Rätsel, wie Laschet gleichzeitig die Steuern für die Reichen senken, die „schwarze Null“ einhalten und ein „Modernisierungsjahrzehnt“ ausrufen will. Wachstum allein wird jedenfalls nicht reichen, um die nötigen Milliarden für dieses „Laschet-Programm“ zu beschaffen.

Sogar konservative Ökonomen melden Zweifel an, ob Laschet rechnen kann. Gabriel Felbermayr vom Kieler Institut für Weltwirtschaft ließ wissen, dass es derzeit „nicht vorrangig“ sei, die Unternehmensteuern zu senken oder den Soli abzuschaffen. Auch Kanzlerin Merkel fiel ihrem CDU-Chef indirekt in den Rücken, als sie kürzlich auf dem Industrietag vor den versammelten Firmenbossen sagte, für den Klimaschutz müsse man „in den nächsten Jahren gigantische Summen ausgeben“.

Klimaschutz als Henne-Ei-Problem

Genau dieser Meinung sind auch viele Unternehmen. Klimaschutz ist für sie keine ferne Möglichkeit mehr, sondern knallharte Realität. Audi steigt ja nicht komplett auf E-Antriebe um, weil man schon immer vom Elektroauto geträumt hat – sondern weil sich Verbrennermotoren in China oder Kalifornien demnächst nicht mehr verkaufen lassen.

Doch vom Export allein können die deutschen Autokonzerne nicht leben – also muss auch der heimische Markt für E-Fahrzeuge geeignet sein. Elektroautos werden in Deutschland aber nur boomen, wenn sich die Gefährte schnell und überall laden lassen. Ladesäulen lohnen sich jedoch häufig gar nicht, weil es noch zu wenige E-Autos gibt. Klimaschutz ist oft ein Henne-oder-Ei-Problem: Es muss alles gleichzeitig vorhanden sein, sonst tut sich gar nichts.

„Marktlösungen“, bei der Union so beliebt, können daher nicht funktionieren. Private Anbieter werden die Ladesäulen nicht flächendeckend aufbauen, eben weil noch nicht genug E-Autos vorbeifahren. Also muss der Staat einspringen und die Infrastruktur vorfinanzieren. Mit dem „Laschet-Programm“ ist dies aber nicht möglich, weil es an der „schwarzen Null“ festhält.

Zudem tragen E-Fahrzeuge nur zum Klimaschutz bei, wenn sie Ökostrom nutzen. Doch grüner Strom ist knapp – und wird immer knapper, je mehr Fabriken, Heizungen und Autos auf Strom umgestellt werden sollen. Wie SPD-Finanzminister Olaf Scholz kürzlich vorgerechnet hat, würde allein die Stahlindustrie zwischen 4 und 8,5 Giga­watt installierte Leistung benötigen, wenn sie mit Strom läuft. Das ist in etwa so viel, wie die Offshore-Windparks derzeit liefern. Noch energieintensiver ist die Chemieindustrie: Wenn sie klimaneutral produzieren soll, würde sich der heutige Strombedarf Deutschlands glatt verdoppeln.

Fördermittel im Promillebereich abgerufen

Es sind also noch sehr viele Windräder aufzubauen und Solarpaneele zu installieren. Allerdings muss der Strom nicht nur produziert werden – sondern auch abfließen. An Leitungen fehlt es aber auch: Die Netze müssten mindestens 8.000 Kilometer umfassen, doch derzeit gibt es noch nicht einmal 2.000 Kilometer. Das Wort „Herausforderung“ ist da noch ein Euphemismus.

Zudem wird es nicht reichen, wenn der Staat einfach nur Geld zur Verfügung stellt und die Subventionsgießkanne auspackt. Er muss auch aktiv planen und eingreifen. Ein gutes Beispiel ist die „nationale Wasserstoffstrategie“: 9 Milliarden Euro hat die Bundesregierung bereitgestellt, um diesen Energieträger der Zukunft zu fördern. Doch das Geld fließt einfach nicht ab. Bisher sind nur Fördermittel im Promillebereich abgerufen worden. Wieder einmal zeigt sich, dass die „Marktlösung“ nicht funktioniert; mit Subventionen allein kommt man nicht weiter.

Der Handlungsdruck ist also enorm – wird aber von der Union ignoriert. Dort hat man sich entschieden, auf einen Kandidaten zu setzen, der immer lächelt und angeblich ein Teamplayer ist. Es beginnt also ein interessantes Experiment: Die nächsten drei Monate bis zur Bundestagswahl werden zeigen, ob permanentes Lächeln reicht, um Kanzler zu werden.

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ist taz-Wirtschafts­redakteurin. Ihr neuestes Buch „Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind“ erschien 2019 im Westend Verlag.

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