SPD-Landeschef beobachtet: Sachsens Geheimdienst sammelt alles

Der sächsische Verfassungsschutz speicherte jahrelang Unverfängliches über Abgeordnete wie SPD-Landeschef Martin Dulig. Die Betroffenen sind sauer.

Der sächsische SPD-Chef Martin Dulig bei einem Pressetermin in Dresden

Sachsens SPD-Chef Martin Dulig ist über den Verfassungsschutz empört Foto: Robert Michael/dpa

BERLIN/DRESDEN taz | Der sächsische Verfassungsschutz steht in der Kritik – mal wieder. Anlass sind Speicherungen unverfänglicher Äußerungen von Landtagsabgeordneten und SPD-Wirtschaftsminister Martin Dulig, welche die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtags am Dienstag in einem Bericht deutlich kritisierte. Dulig sprach von einem „ungeheuerlichen Vorgang“.

Die Parlamentarische Kontrollkommission des sächsischen Landtags legte am Dienstag zu den Datenspeicherungen einen Bericht vor. Vorausgegangen waren Abfragen mehrerer Abgeordneter beim sächsischen Verfassungsschutz, was dort über sie gespeichert ist.

Der Linken-Fraktionschef Rico Gebhardt etwa erhielt darauf ein Schreiben mit sechs Punkten. Notiert vom Geheimdienst wurde dort, dass er im Landtag „mehrere Anträge, Dringliche Anträge und Große und Kleine Anfragen“ für seine Partei stellte. Oder seine Bemerkung: „Wir wollen nicht zurück in die Zeit des 'Kalten Kriegesʻ, den wir überwunden glaubten.“

Harmlose Zitate

Zu SPD-Landeschef Martin Dulig vermerkte der Verfassungsschutz wiederum, dass dieser in einer Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung zu Rechtsextremismus in Ostdeutschland auftauche. Dort werde er zitiert, dass auch die CDU eine Verantwortung dafür trage, welche Zustände heute in Sachen Rechtsextremismus herrschten. Die CDU habe das Problem 25 Jahre lang verharmlost und relativiert. Zudem habe Dulig im Oktober 2018 auf Facebook eine „Ansprache an die Sächsinnen und Sachsen“ gepostet.

Zu dem Grünen-Abgeordneten Valentin Lippmann notierte der Verfassungsschutz, dass er sich gegenüber einer Nachrichtenagentur „kritisch“ über die Umstände der im November 2020 aus dem Ruder gelaufenen Querdenker-Demonstration in Leipzig äußerte. Zu seiner Parteikollegin Christin Melcher wurde festgehalten, dass sie Erstunterzeichnerin der „Leipziger Erklärung – Zeit für Zivilcourage“ war. Zum Linken-Abgeordneten Marco Böhme hieß es, er sei ein Unterstützer des Aktionsnetzwerks „Leipzig nimmt Platz“ und habe zu Protesten gegen ein Neonazifestival in Ostritz aufgerufen.

Linken-Fraktionschef Gebhardt hatte schon im November 2020 seinen Fall öffentlich gemacht und die Speicherung seiner Aussagen beim Verfassungsschutz kritisiert. „Was ist daran anstößig?“, fragte er damals.

„Nicht hinnehmbar“

Auch die Kontrollkommission hält die Speicherung all dieser Vermerke des Verfassungsschutzes nun für „klar rechtswidrig“. Es sei „augenfällig“, dass diese nicht dem Verfasssungsschutzgesetz entsprächen, weil keine der Äußerungen für eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung stehe. Warum sie gespeichert worden seien, dafür sei eine „halbwegs plausible Erklärung kaum mehr möglich“.

Offenbar aber sei jahrelang praktisch jede eingehende Information in das interne Domea-System elektronisch abgespeichert worden. Eine „zwingend gebotene Relevanzprüfung wurde nicht mit der erforderlichen Konsequenz und Stringenz durchgeführt“. Diese Praxis, so wird die Kontrollkommission deutlich, sei „nicht hinnehmbar“.

Verfassungsschutzchef schiebt Verantwortung ab

Auch Martin Dulig (SPD) zeigte sich am späten Dienstagnachmittag „fassungslos und empört“ über die Speicherungen. Es gehe in seinem Fall um „belanglose Daten“ und Kritik an der CDU – während etwa Angriffe auf sein Bürgerbüro offenbar nicht notiert wurden. „Es kann nicht sein, dass Menschen die sich demokratisch engagieren, kriminalisiert werden“, stellte Dulig klar. „Ich fühle mich da persönlich angegriffen.“

Sachsens Verfassungsschutzpräsident Dirk-Martin Christian schob die Verantwortung am Dienstag auf seinen Vorgänger Gordian Meyer-Plath, der im Sommer 2020 geschasst wurde. Er räumte ein, dass jegliches Schriftgut, das beim Landesamt eingehe, zunächst automatisch erfasst werde. Eine Relevanzprüfung erfolge erst später und sei bis Mitte 2020 „nicht fristgemäß“ durchgeführt worden.

So erklärten sich die Speicherungen zu Dulig und den anderen Abgeordneten. Diese hätten eigentlich „unverzüglich mit Posteingang gelöscht werden müssen, weil sie überhaupt keinen nachrichtendienstlichen Mehrwert besitzen“. Heute aber habe sich die Praxis geändert und die rechtmäßige Speicherung von Abgeordnetendaten „oberste Priorität“, versicherte Christian.

Der Grünen-Innenexperte Valentin Lippmann forderte dennoch, die Datenspeicherung beim Verfassungsschutz müsse „unverzüglich auf rechtsstaatliche Füße gestellt werden und über jeden Zweifel an der Rechtmäßigkeit erhaben sein“. Die Speicherungen in seinem Fall oder denen der anderen Abgeordneten seien „eklatant rechtswidrig“. Das dürfe es „bei einem Geheimdienst in keinem nur denkbaren Szenario geben“.

Auch Linken-Fraktionschef Rico Gebhardt erklärte: „Das, was über mich und andere Abgeordnete gespeichert wurde, zeigt mir nur, wie richtig wir in unserer Forderung liegen, dass diesen Innlandgeheimdienst kein Mensch braucht. Es ist wie immer: Der Geheimdienst macht nicht, was er soll, dafür aber das, was er nicht darf.“

Schon zuletzt hatte es beim sächsischen Verfassungsschutz Ärger um die Speicherung von Daten zu AfD-Abgeordneten gegeben. Auch wurde dem Landesamt wiederholt vorgeworfen, zu spät und zu schlecht rechtsextreme Strukturen in Sachsen zu erkennen.

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